Benzodiazepine: Partydrogen auf Rezept

    Benzos auf Rezept:Benzodiazepin: Überdosis mit tödlichen Folgen

    von Christina-Maria Pfersdorf
    |

    Starke Beruhigungs- und Schmerzmittel wie Benzodiazepine werden auch als Partydroge missbraucht. Ein gefährlicher Trend. Denn oft werden sie ganz legal verschrieben.

    Frau sitzt auf einer Bank im Grünem mit Blick auf eine Grabstelle.
    Eine Mutter will andere Eltern warnen und das Bewusstsein für den Missbrauch von Schmerz- und Beruhigungsmitteln schärfen.26.06.2023 | 4:59 min
    Als Marco gefunden wurde, war er schon mehrere Tage tot. Die Ursache: Eine Überdosis Tramadol, ein synthetisches Opioid, das als starkes Schmerzmittel eingesetzt wird. In seinem Blut wurden neben Alkohol und einem Medikament gegen Psychosen auch Benzodiazepine gefunden, starke Beruhigungsmittel, die er vom Arzt verschrieben bekommen hat. Ein tödlicher Cocktail.

    Teufelskreis: Psychose, Panikattacke, Benzos

    Tanja Albroscheits Sohn war Medikamenten-abhängig und 23 Jahre alt, als er starb. Seitdem ist Tanjas Leben ein anderes:

    Innerlich bin ich eigentlich zerstört.

    Tanja Albroscheit, verlor Sohn durch Medikamentenmissbrauch

    Doch schon zuvor ging sie durch die Hölle, versuchte vergeblich Marco zu helfen. Ihr Sohn war in einem Teufelskreis: "Die Substanzen haben Psychosen und Panikattacken ausgelöst, gegen die er die Benzodiazepine schluckte. Hatte er keine, bekam er Entzugserscheinungen, die wieder zu Psychosen geführt haben."




    Wirkung von Benzodiazepinen

    Wie Marco konsumieren viele Jugendliche Medikamente wie Benzodiazepine oder Opiate zunächst als Partydrogen. Sie dämpfen die eigene Wahrnehmung und unangenehme Empfindungen. Benzos kommen oft ins Spiel, wenn es ums "Runterkommen" geht. Sie blockieren Ängste und wirken entspannend.
    Das Problem: Die Substanzen machen schnell abhängig. Sie sind nicht nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich, sondern werden auch ganz legal von Ärzten verschrieben. Abhängige werden kreativ, um an Rezepte zu gelangen. Sie ziehen von Praxis zu Praxis und erfinden Krankheitsgeschichten.

    Laut Bundesgesundheitsministerium sind in Deutschland schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Im Epidemiologischen Suchtsurvey von 2021 geht man davon aus, dass sogar bei etwa 2,9 Millionen Menschen in Deutschland ein problematischer Medikamentengebrauch vorliegt.

    In seinem Bericht von 2022 schreibt der Bundesdrogenbeauftragte, dass im vergangenen Jahr 482 Menschen in Verbindung mit psychoaktiven Medikamenten gestorben sind.

    Auch jungen Menschen werden diese Substanzen verstärkt verschrieben: Allein bei den gesetzlichen Krankenkassen wurde für das Jahr 2021 gemeldet, dass unter 18-Jährigen 3,4 Millionen Tagesdosen an Benzodiazepinen, Z-Drugs und Opioiden verabreicht wurden.

    Problem: Benzos gibt es auf Rezept

    Viele Ärzte fragen nicht genug nach. Das kritisiert auch Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie und Ärztlicher Direktor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim:

    Die meisten Ärzte kennen das Problem.

    Prof. Dr. Falk Kiefer, Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie

    "Aber für viele gibt es neben dem Erwartungsdruck der Patienten oft zu wenig Zeit für eine intensive Hinterfragung des Verordnungswunsches und eine Besprechung von Alternativen dazu", erklärt er weiter.
    Manche verschreiben die Substanzen auch auf Privatrezepten. Marco hat sich die sogar gefälscht.
    Prof. Dr. Falk Kiefer
    Prof. Dr. Falk Kiefer, Präsident Deutsche Gesellschaft ‎für Suchtforschung und ‎Suchttherapie, klärt über die Gefahren des Medikamentenmissbrauchs sowie der Einstiegesdroge Cannabis auf und hat Tipps für Eltern von betroffenen Jugendlichen.26.06.2023 | 10:20 min

    Spezielle Rezepte für Betäubungsmittel?

    Seine Mutter Tanja Albroscheit kann nicht verstehen, warum diese Wirkstoffe nicht auf speziellen Betäubungsmittelrezepten verschrieben werden müssen, um den Missbrauch einzudämmen. Ketamin zum Beispiel unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz, ebenso wie die meisten Benzodiazepin-Präparate. Ärzte dürfen sie auf ganz normalen Rezepten verordnen.
    Der Psychiater und Psychotherapeut Kiefer sieht hier für die Benzodiazepine keinen Änderungsbedarf, denn diese sind für viele Patienten in Krisen wichtig:

    Wenn sie sinnvoll eingesetzt werden, sind Benzodiazepine in Akutsituationen extrem hilfreich für Patientinnen und Patienten.

    Prof. Dr. Falk Kiefer, Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie

    Bundesinstitut sieht keinen Handlungsbedarf

    Der Ausschuss, der diese Regelung überprüft, unterliegt dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM. Auch hier sieht man aktuell keinen Handlungsbedarf. Auf ZDF-Anfrage heißt es: "So wird u. a. in den Fach- und Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln auf die Missbrauchsgefahr von einzelnen Arzneimitteln hingewiesen, so dass sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen und Patienten entsprechend sensibilisiert werden."



    Und bezüglich der Frage, ob Ketamin nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen sollte, bezieht sich das BfArm auf einen Beschluss aus dem Jahr 2014:
    "Mit Hinweis auf eine nur geringe Zahl von Abzweigungen aus legalen Quellen und einem hohen Bedarf der Substanz im medizinischen Bereich sah der Ausschuss keinen Anhalt für eine Unterstellung unter die betäubungsmittelrechtlichen Regelungen, die wiederum zu erheblichen Kostensteigerungen bei Importeuren, Herstellern, Händlern, Apotheken, Ärztinnen und Ärzten sowie im Rettungswesen führen würde."
    Tabletten
    Wie wirksam sind Antidepressiva?15.05.2023 | 5:14 min

    Aufklärung über Missbrauch an Schulen

    Tanja Albroscheit hat sich mit anderen betroffenen Eltern vernetzt. Sie wollen über die Geschichten ihrer Kinder das Problem an die Öffentlichkeit bringen und Aufklärung an Schulen leisten:

    Wenn wir durch unsere Aktionen nur ein Leben eines jungen Menschen retten können, dann haben wir viel erreicht.

    Tanja Albroscheit, verlor Sohn durch Medikamentenmissbrauch

    Jugenddrogenberater
    :Benzos: Experte warnt vor Sucht auf Rezept

    Der Jugenddrogenberater Matthias Rost warnt vor zunehmendem Missbrauch verschreibungspflichtiger Schlaf- und Beruhigungsmittel, sogenannter Benzos. Warum junge Menschen sie nehmen.
    Eine Hand voller Tabletten

    Mehr zu Medikamenten und Drogen

    Weitere Gesundheits-Themen