Magersucht bei Männern: Verborgenes Leiden an Anorexie
Magersucht bei Männern:Verborgenes Leiden an Anorexie
von Malin Ihlau
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Magersucht gilt als typische Frauenkrankheit. Doch durch die Konfrontation mit Schönheitsidealen bei Instagram und Co nimmt die Krankheit vor allem bei jungen Männern zu. Weltweit.
Viele denken, nur Frauen werden magersüchtig. Doch auch bei jungen Männern nimmt die Krankheit zu. Heiko hat erst spät erfahren, dass er magersüchtig ist, und ist nun in Therapie.19.06.2023 | 6:07 min
Statistisch gesehen erkranken von 1.000 Menschen 14 Frauen an Magersucht und zwei Männer. Bei Jungen und Männern wird die Diagnose allerdings oft sehr spät gestellt - viele Ärztinnen und Ärzte unterschätzen die Anzeichen für eine Essstörung bei ihnen. Da die Essstörung als typisch weiblich gilt, haben Männer auch eine höhere Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen.
Eine frühe Diagnose ist aber wichtig, um Mangelerscheinungen und Spätfolgen für die Gesundheit von Körper und Seele zu verhindern. Und damit die Krankheit nicht chronisch wird.
Wie äußert sich eine Magersucht beim Mann?
Eine Magersucht bei Männern äußert sich ähnlich wie bei Frauen. Typisches Anzeichen ist ein starker Gewichtsverlust oder anhaltendes Untergewicht. Im Internet kursieren zahlreiche Magersucht-Bilder: Männer mit hohlen Wangen, stockdünnen Armen und hervorstehenden Rippen.
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Was für Außenstehende oft sehr verstörend wirkt, sehen die Betroffenen nicht als krankhaft an. Denn sie leiden oft auch an einer gestörten Körperwahrnehmung. Im Spiegelbild sehen sie ein verzerrtes Ich. Das heißt, sie sehen sich selbst immer noch als zu dick an. Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, zuzunehmen und zu dick zu sein, ist sehr groß.
Einfluss von Social Media auf Magersucht
Thomas J. Huber, Chefarzt der Klinik am Korso in Bad Oeynhausen, einem Fachzentrum für gestörtes Essverhalten, sieht in der Magersucht mehr als nur eine Oberflächenkrankheit.
Es sei der Wunsch, "Erfolgserlebnisse zu haben, mit sich zufrieden sein zu können", erklärt er. "Und da sind Social Media für beide Geschlechter sehr einflussreich. Weil wir ständig konfrontiert sind in Social Media mit der Sonnenscheinseite von Menschen."
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Wenn Magersucht einen Lebensinhalt bietet
Magersucht könne den Betroffenen einen Lebensinhalt geben und Erfolgsgefühle schenken, wenn sie beispielsweise ein bestimmtes Gewichtsziel erreichen. Wenn die Betroffenen den ganzen Tag mit dem Thema Magersucht beschäftigt seien, "dann müssen sie nicht über andere Probleme nachdenken", erklärt Huber.
Die Gedanken eines magersüchtigen Mannes kreisen ständig um Essen und das eigene Aussehen. Daher kontrollieren Betroffene ihre Ernährung rigoros und entwickeln Rituale wie:
Kalorien zählen
langsames Essen
Kleinschneiden der Nahrung oder
Essen nach bestimmten Zeitplänen.
Viele Männer mit Magersucht treiben auch sehr viel Sport, um noch mehr Gewicht zu verlieren. Oft geht die Magersucht auch mit psychischen Erkrankungen wie etwa Depression, Zwangsstörungen oder Angststörungen einher.
Manche Männer leiden auch an einer sogenannten Muskelsucht, also dem Streben nach einem perfekt definierten, muskulösen Körper. Sie trainieren sehr häufig, achten sehr auf proteinhaltige Nahrung und würden sich nicht als magersüchtig einordnen.
Eine Muskelsucht ist keine klassische Essstörung, auch wenn die Symptome und die Krankheitsentwicklung einer Magersucht ähnlich sind. Jungen und Männer mit Muskelsucht empfinden dabei ihren Körper als nicht muskulös oder stark genug. Durch übermäßiges Training und rigorose Ernährungspläne versuchen die Betroffenen, Körperfett zu reduzieren und so die Muskelmasse ihres Körpers zu steigern - selbst, wenn sie bereits durchtrainiert sind. Typisch ist dabei ein übertriebenes Streben nach Perfektion.
Auch Verletzungen oder körperliche Beschwerden halten sie nicht davon ab, weiterhin Sport zu treiben. Mitunter nehmen Männer mit dieser Verhaltensstörung Medikamente ein, um das Wachstum der Muskeln zu steigern. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper geht zudem oft gleichzeitig mit Ängsten, Minderwertigkeitsgefühlen, Scham, Selbstabwertung oder Depressionen einher. Dreht sich im Leben eines Mannes alles darum, einen möglichst muskulösen und definierten Körper zu haben, kann sich daraus eine Essstörung wie zum Beispiel eine Magersucht entwickeln.
Therapie kann ambulant oder in der Klinik erfolgen
Je früher die Magersucht erkannt wird, desto besser sind die Chancen auf eine vollständige Heilung. Die Art der Therapie hängt unter anderem davon ab, wie schwer ausgeprägt die Magersucht ist. Sie kann ambulant oder in einer Klinik erfolgen.
Bei lebensbedrohlichem Untergewicht oder sehr schlechtem Allgemeinzustand ist mitunter auch eine Zwangsbehandlung nötig. Ziele der Behandlung sind vor allem, das Gewicht zu normalisieren, das krankhafte Essverhalten zu ändern und persönliche oder familiäre Probleme mithilfe einer Psychotherapie zu lösen.
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Ursachen männlicher Magersucht
Die Ursachen für Magersucht bei Männern sind ähnlich wie bei Frauen. In der Regel wirken verschiedene Faktoren zusammen, die sich gegenseitig beeinflussen.
genetische Faktoren (in einigen Familien treten Essstörungen häufiger auf als in anderen)
Veränderungen im Hormonsystem (etwa der Geschlechtshormone wie Testosteron)
körperliche Faktoren wie Unter- oder Übergewicht oder das Alter
soziokulturelle Faktoren wie bestimmte Schönheitsideale
familiäre Faktoren wie etwa Trennung der Eltern, Gewalt, auffallendes Essverhalten oder negatives Körperbild anderer Familienmitglieder, hoher Erfolgs- und Leistungsdruck, Depression oder Suchterkrankung eines Elternteils
persönliche Faktoren wie ein geringes Selbstwertgefühl, ein hoher Leistungsanspruch an sich selbst, Hang zum Perfektionismus, geringe Stressresistenz oder traumatische Erlebnisse wie sexueller Missbrauch
Körperliche Folgen der Magersucht
Neben seelischen Auswirkungen gibt es auch körperliche Folgen: Das dauernde Hungern führt zu Mangelerscheinungen und Symptomen wie Konzentrationsstörungen, Kreislaufbeschwerden, Herzrhythmusstörungen oder einem verlangsamten Herzschlag. Auch Potenzprobleme können entstehen.
Viele Betroffenen ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld komplett zurück, vernachlässigen Hobbys oder Arbeit und sind gleichgültig oder reagieren sehr gereizt. Zudem steigt das Risiko zu sterben oder Selbstmord zu begehen. Menschen mit Magersucht haben ein mehr als fünffach höheres Risiko zu sterben als Gleichaltrige ohne die Erkrankung.
In der Regel gibt es keine geschlechtsspezifische Behandlung der Magersucht. In bestimmten Bereichen wäre es allerdings sinnvoll, Angebote auf Männer auszurichten. Denn viele Männer sind es nicht gewohnt, sich über ihre Gefühle auszutauschen.
Gruppentherapien, an denen nur Männer teilnehmen, erleichtern es den Betroffenen zum Beispiel, über Probleme zu sprechen. Das ist in vielen Einrichtungen aber nicht möglich. Hinzu kommt, dass spezielle männliche Themen wie etwa das männliche Selbstbild und das damit verbundene Streben nach Stärke und Kontrolle nicht ausreichend zur Sprache kommen.
Die Gefahr bei einer Magersucht ist, dass das soziale Umfeld aufhört zu existieren. Die Freunde von damals sind weg. Der Betroffene vereinsamt. Da sind besonders Männer betroffen. Magersüchtige Frauen treffen sich viel mehr in Foren, über Social Media tauschen sie sich aus. Für Männer gibt es kaum Selbsthilfegruppen. Laut Experte Thomas J. Huber hat Magersucht massive Auswirkungen: "Psychisch ist eine Magersucht nicht vereinbar mit einem zufriedenen Leben. Ich werde in der Regel sehr unglücklich."
Malin Ihlau ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Niedersachsen.