ADHS als Kirmes im Kopf - Symptome auch bei Erwachsenen
Symptome auch bei Erwachsenen:ADHS als Kirmes im Kopf
von Maria Leidinger
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Angelina Boerger hat erst mit 29 Jahren erfahren, dass sie ADHS hat. Bei Mädchen und Frauen wird die Störung oft nicht entdeckt. Nun klärt sie auf und räumt Vorurteile aus dem Weg.
Oft wird angenommen, dass ADHS kaum bei Mädchen vorkommt und im Erwachsenenalter verschwindet. Die Symptome bleiben jedoch oft unentdeckt, wodurch die Diagnose gar nicht oder erst sehr spät gestellt wird. So wie bei Journalistin Angelina Boerger.06.10.2023 | 4:24 min
"Ich durchdenke alles", beschreibt Angelina Boerger die Gedanken in ihrem Kopf. "Ich denke über alles nach, ich mache mir Pläne, aber ich bin dann wie gefangen in meinem Kopf. Paralyse nennt man das." Sie hat ADHS, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung.
Boerger: ADHS ist wie eine Kirmes im Kopf
Reize von außen, Gefühle und Gedanken - es fühlt sich für sie oft so an, als hätte sie eine Kirmes im Kopf: "Das Karussell ist wie mein Gehirn, das sich ständig dreht und keine Pause hat. Die Achterbahn symbolisiert das emotionale Auf und Ab."
Die Geisterbahn steht für sie für "die eher dunklen Tage und die Dinge, vor denen man Angst hat". Das Spiegelkabinett stellt die "Suche nach sich selbst" dar, erklärt Boerger.
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von Andreas Croonenbroeck und Nora Mahmoud
mit Video
Die Symptome von ADHS
Psychiaterin Alexandra Philipsen findet diese Beschreibung treffend. "Das würden wahrscheinlich viele Erwachsene teilen", sagt die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Uniklinikum Bonn. Sie kennt sich vor allem mit ADHS im Erwachsenenalter aus.
Die Kernsymptome von ADHS sind laut der Ärztin:
Das Aufmerksamkeitsdefizit - Probleme die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten
Die Hyperaktivität - bei Kindern motorische Unruhe, bei Erwachsenen innere Unruhe
Die Impulsivität - anderen ins Wort fallen, Ungeduld, spontan und impulsiv sein
Warum Mädchen schlechter diagnostiziert werden
Obwohl ADHS eine Entwicklungsstörung ist, also schon im Kindesalter auftritt, wurde Angelina Boerger erst mit 29 Jahren diagnostiziert. Was auf viele Frauen mit ADHS zutrifft. Während der typische "Zappelphilipp" eher diagnostiziert wird, fallen Mädchen mit ADHS öfter durchs Raster, erklärt Psychiaterin Philippsen. Mädchen seien in der Regel ruhiger und würden deshalb seltener diagnostiziert werden.
Die Wissenschaft ist außerdem lange davon ausgegangen, dass ADHS eine reine Kinderkrankheit ist.
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Diagnose "total entlastend"
Boerger hat nur durch einen Zufall davon gehört, dass ADHS auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben kann und wurde hellhörig. Als sie dann nach monatelangem Warten auf professionelle Hilfe die Diagnose in den Händen hielt, war das ein besonderer Moment für sie:
In diesem Moment habe für sie plötzlich ihre ganze Lebensgeschichte Sinn ergeben, sagt sie. "Ich hatte dieses Gefühl: Krass, es gibt eine neurologische, wissenschaftliche Erklärung dafür, wieso mein Hirn so tickt, wie es tickt und das ist in Ordnung."
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ADHS-Diagnose: "Wie eine zweite Geburt"
Seit der Diagnose lernt sich Boerger noch mal ganz anders kennen. "Es war für mich ein Stück weit wie eine zweite Geburt", sagt sie. "Weil ich verstanden habe, was mit mir los ist." Sie entdeckt ihre Grenzen und ihre Stärken - auch durch professionelle Hilfe.
"Es gibt die vier Säulen der Behandlung", erklärt Psychiaterin Philipsen:
Psychoedukation, also die Aufklärung über ADHS
Medikation wie Ritalin
Therapie, in der Regel verhaltenstherapeutisch
Lebensstilfaktoren: körperliche Aktivität, Rituale, ausreichend Schlaf und vieles mehr.
Anders Arbeiten mit ADHS
Durch ihre ADHS-Diagnose hat Angelina Boerger ihr komplettes Berufsleben umgekrempelt. "Ich habe das große Privileg, dass ich mir mittlerweile eine Welt geschaffen habe, die sehr gut mit meinem Gehirn harmoniert", erzählt sie. Weil sie selbstständig ist, kann sie kreative Phasen ausnutzen, sich aber auch Pausen gönnen.
Die freie Journalistin informiert mittlerweile in den Sozialen Medien und in einem Buch über ADHS im Erwachsenenalter. "ADHS ist leider immer noch ein stigmatisiertes Thema, was sehr viele Vorurteile hat", berichtet sie.
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Angelina Boerger will ADHS nicht missen
Boerger betont deshalb auch: Ihr Hirn tickt nicht schlechter, es tickt einfach nur anders. "Ich möchte ADHS nicht missen, obwohl es mir viele Tage erschwert und Probleme bereitet und mich in meinem Alltag auch behindern kann", sagt sie. "Aber es steckt für mich auch so viel Positives da drin".
Maria Leidinger ist Redakteurin bei ZDFheute und bei der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".