Geschwister: Was diese Beziehung für unser Leben bedeutet
Psychologen erklären:Geschwister: Was sie uns bedeuten
von Jenna Busanny
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Die Beziehung zwischen Geschwistern existiert ein Leben lang. Sie erlebt Höhen und Tiefen, was sowohl bereichernd als auch herausfordernd sein kann.
Auch wenn es manchmal Konflikte gibt, so gehören sie doch zu den wichtigsten Menschen in unserem Leben: Geschwister. Warum ist diese Beziehung so bedeutend?
Quelle: dpa
Sich lieben, sich streiten, sich gegenseitig herausfordern - Geschwisterbeziehungen verändern sich im Laufe des Lebens. In vielen Fällen lassen sich Regelmäßigkeiten beobachten, doch allgemeingültige Aussagen seien gerade in der Geschwisterforschung mit großer Vorsicht zu genießen, sagt Harald Werneck, Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe von der Universität Wien:
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Geschwister: Enge Bindung am Anfang und Ende
"Oft verläuft eine Geschwisterbeziehung u-förmig: besonders im Kindesalter und später im höheren Alter ist die Binding sehr eng", erklärt Franz-Josef Neyer vom Institut der Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Im Kindesalter sind Geschwister, deren Altersunterschied nicht so groß ist, meist Spielkameraden. Der Fokus liege auf familiären Aktivitäten. In der Adoleszenz kämen andere Freunde dazu, die Beziehung wird weniger intensiv. Ebenfalls im Erwachsenenalter, wenn Geschwister vielleicht ihre eigenen Familien haben, entfernen sie sich auch räumlich voneinander.
Der Grundstein der Beziehung wird früh gelegt
Wernecks Beobachtungen sind ähnlich. Er weist darauf hin, dass der Grundstein für die Beziehung sehr früh von den Eltern gesetzt wird: Wie wird das Erstgeborene auf das Geschwisterkind vorbereitet?
Drohungen wie "bald musst du alles teilen", können kontraproduktiv und der Beginn einer ausgeprägten Geschwisterrivalität sein. "Gehen Eltern behutsam mit der Situation um und kündigen das Geschwisterkind freudig, als potentielle Bereicherung, etwa als neuen Spielpartner an, ebnen sie damit einen ganz anderen Weg", so Werneck.
Eltern greifen oft zu früh ein, wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen Geschwistern kommt, findet Harald Werneck. Geschwisterkinder lernen miteinander soziales Verhalten: Sie testen Grenzen aus, schauen, wie weit sie gehen können und welche Konsequenzen ihr Verhalten haben kann.
"Lassen Sie Ihre Kinder auch einmal etwas unter sich ausstreiten, das gehört zum Lernprozess dazu", rät der Experte. Aber: Kommt es zu systematischer, chronischer und einseitiger Unterdrückung eines Geschwisterkindes, sollten Eltern eingreifen.
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Eine gesunde Geschwisterbeziehung
Ist der Altersabstand zwischen den Geschwisterkindern gering, führe dies oft zu einer intensiveren Bindung, so Werneck. Das kann sowohl positiv als auch negativ erlebt werden.
Ein ausgewogenes Maß an Intimität und Distanz müsse ausgelotet werden. Eine funktionale Abgrenzung ist laut des Psychologen sehr wichtig:
Gemeinsamkeiten finden, Interessen teilen und zusammen etwas erleben,
aber auch eigene Interessen entwickeln und Freunde haben, bei denen sich das Geschwisterkind nicht einmischt.
Das erste Kind ist selbstbewusst, das mittlere diplomatisch, das letzte draufgängerisch - solche und ähnliche Thesen zu Persönlichkeiten, die aus Geschwisterpositionen hervorgehen, gibt es viele. Aber diese Theorien wurden mittlerweile widerlegt.
"Die heutige Forschung zeigt, dass Geschwisterpositionen keine Auswirkung auf unsere Persönlichkeit als Erwachsene haben", sagt Franz-Josef Neyer. Es könne sein, dass es einige dieser Unterschiede zwischen Geschwistern gibt, aber diese haben dann eher etwas mit dem Altersunterschied zu tun als mit der Reihenfolge.
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Rivalität zwischen Geschwistern
Rivalität unter Geschwistern ist normal, sagt Psychologe Neyer. Jeder müsse seinen Platz im Leben finden und da gehöre der Umgang mit Rivalität einfach dazu. Einzelkinder müssen dies auch lernen - in einem anderen Umfeld. Die Sorge mancher Eltern, ihre Kinder nicht alle gleich behandeln zu können, hält er für unbegründet.
Eltern sollten ihren Kindern idealerweise das geben, was sie jeweils individuell brauchen und als fair empfinden, rät auch Werneck. Das mache auch bei der Geschwisterrivalität einen großen Unterschied - sie könne so bereits im Keim erstickt werden.
Warum nicht einfach die Kinder fragen, was sie brauchen? Sie in altersgerechter Form - und ohne sie zu überfordern - mit einzubeziehen, funktioniert laut dem Psychologen häufig besser als gedacht.
Selbst bei zerstrittenen Geschwistern, die den Kontakt abgebrochen haben, ist die Beziehung nicht einfach weg, sagt Franz-Josef Neyer: "Es werden immer Geschwister bleiben. Man wird sie nicht vergessen."
Wer sich versöhnen will, sollte den Mut haben, den ersten Schritt zu wagen. "Distanzieren Sie sich von Ihrem Groll und gehen Sie einen Schritt auf Ihre Schwester oder Ihren Bruder zu", rät der Experte. Es gehe dann darum, es neu zu versuchen und auch mal Konflikte auszuhalten. Machen Sie sich klar: Geschwisterbeziehungen sind die längsten, die man haben kann. Daher sollte man sie pflegen.
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