KZ Buchenwald: Wagner nennt Israels Kritik an Boehm "absurd"

Interview

80. Jahrestag KZ Buchenwald :Wagner: Israels Vorwürfe gegen Boehm "absurd"

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Gedenkstätten-Leiter Wagner wirft Israel Einflussnahme auf die Gedenkfeier vor. Er habe die geplante Rede des Philosophen Boehm nun verschoben, um "Druck aus dem Kessel zu nehmen".

Eklat: Boehm "nicht ausgeladen"
"Herr Boehm ist ein absolut respektabler, internationaler Philosoph", sagt Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald. Doch man wolle die Gedenk-Veranstaltung nicht "instrumentalisieren".04.04.2025 | 8:21 min
Kurz vor dem Jahrestag der Befreiung am 11. April ist eine geplante Rede des deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald abgesagt worden. Grund sei ein sich anbahnender Konflikt mit der israelischen Regierung gewesen, erläuterte Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Boehm ist Enkel von Holocaust-Überlebenden und gilt als Kritiker der israelischen Regierung.
Wagner zeigte sich im ZDF-Morgenmagazin bestürzt über die israelische Einflussnahme auf die Feier. Zugleich mahnte der Historiker vor einer Verdrehung von Geschichte in Deutschland und kritisierte zunehmende Angriffe auf Holocaust-Gedenkstätten.

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Bildmontage: Zerschlagene Glasscheibe mit zerbrochenem Davidstern vor Holocaust-Mahnmal in Berlin.
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Wagner: "Druck aus dem Kessel nehmen"

Wagner erläuterte, die Gedenkstätte habe Boehm nicht ausgeladen. Sie habe seinen Auftritt verschoben, um Druck aus der Angelegenheit zu nehmen. "Omri Boehm ist ein absolut respektabler, großartiger, international renommierter Philosoph", betonte Wagner. Man habe sich eine ethisch fundierte und reflektierte Rede erwartet.
Doch es habe sich eine Auseinandersetzung mit Vertretern der israelischen Regierung abgezeichnet, in die auch Überlebende des Holocausts hineingezogen wurden. "Sie drohten, instrumentalisiert zu werden." Da dies vermutlich der letzte runde Gedenktag sei, an dem sie teilnehmen könnten, habe man nach einem Gespräch mit Boehm so entschieden, "um Druck aus dem Kessel zu nehmen".

Um ihnen einen Gedenktag zu ermöglichen, an dem sie im Mittelpunkt stehen und nicht ein Konflikt, der überhaupt nichts mit ihnen zu tun hat.

Jens-Christian Wagner, Leiter KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Kritik an Israels Regierung "muss möglich sein"

Die Vorwürfe der israelischen Botschaft, dass die Einladung eine Beleidigung für die Opfer sei und Boehm den Holocaust relativiere, wies Wagner deutlich zurück:

Das sind absurde Vorwürfe, die man tatsächlich zurückweisen muss. (...) Herr Boehm ist ein absolut respektabler deutsch-israelischer Philosoph.

Jens-Christian Wagner, Leiter KZ-Gedenkstätte Buchenwald

"Wir alle sind solidarisch mit dem Staat Israel", betonte Wagner. "Das Existenzrecht Israels darf nicht infrage gestellt werden. Aber es muss möglich sein, eine israelische Regierung auch kritisieren zu können."
Dies habe Boehm gemacht, so Wagner, und durch die israelische Botschaft sei nun ein innenpolitischer Konflikt aus Israel in die Gedenkfeier hineingebracht worden. "Das belastet nun diesen 80. Jahrestag, und das ist hochgradig bedauerlich"
Wagner erläuterte, er habe es in seinen 25 Jahren als Gedenkstättenleiter noch nicht erlebt - "weder von Israel noch von sonst jemandem, dass derart versucht wurde, auf die Auswahl von Rednerinnen oder Rednern Einfluss zu nehmen", so Wagner.
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Wagner: "Wir leben in einer Zeit des Rechtsrucks weltweit"

Der Historiker sieht seine Gedenkstätte zunehmend Angriffen und Hass ausgesetzt und erläutert die Gründe. "Wir leben in einer Zeit des Rechtsrucks weltweit. Das macht vor Deutschland nicht halt", sagte Wagner.
Man erlebe, dass aus den Reihen der AfD sowohl im Bundestag als auch in Thüringen "notorisch geschichtsrevisitonistische und Holocaust-verharmlosende Positionen vorgetragen werden, zum Teil sogar NS-verherrlichende Positionen". Das gehe an den Gedenkstätten nicht spurlos vorbei.

Wir spüren einen starken Anstieg von Angriffen auf Gedenkstätten.

Jens-Christian Wagner, Leiter KZ-Gedenkstätte Buchenwald

Dazu zählten etwa Absägen von Gedenkbäumen und Hakenkreuzschmierereien. "Wenn aus den Parlamenten heraus solche gegen die Gedenkstätten-Arbeit gerichtete Positionen vertreten würden, dann fühlen sich auch militante Neonazis ermutigt, aktiv zur Tat zu schreiten", erläuterte Wagner.
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Mehr Aufklärung im Internet statt "Fake History"

Der Leiter der Gedenkstätte sieht daher verstärkt Aufklärungsbedarf über die Deutsche Geschichte, vor allem bei der Jugend. "Wir müssen insbesondere im Internet aktiver werden", fordert er. Insbesondere Social Media sei ein Ort, "wo sich Desinformation, wo sich 'Fake History' rasant vebreitet".
Dem müsse man wissenschaftlich basierte Information entgegen setzen, sagte Wagner - und verwies auf den Blog "Geschichte statt Mythen", einem Projekt gegen Geschichtsrevisionismus der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Thüringer Gedenkstätten-Stiftung.
Das Interview führte Andreas Wunn, Leiter des ZDF-Morgenmagazins, . Zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Michaela Schmehl

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