Tiergarten-Mord: Russland zahlte Anwalt des Verurteilten
Exklusiv
Über die Stiftung Pravfond:Tiergarten-Mörder: Russland zahlte Anwalt
von C. Huppertz, B. Obermayer, R. Schaar und E. Simantke
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Über die Stiftung Pravfond finanziert Russland Rechtsberatung in Europa. Der Promi-Anwalt des "Tiergartenmörders" kassierte so Zehntausende Euro, wie ZDF-frontal-Recherchen zeigen.
Der Gerichtssaal vor der Verhandlung des Tiergartenmords im Oktober 2020.
Quelle: dpa
Ein großbürgerlicher weißer Altbau an einer der teuersten Adressen Berlins. Hier in der Fasanenstraße, hinter schattigen Kastanien und Platanen, hat die Anwaltskanzlei Unger ihren Sitz. Robert Unger, ein hagerer Mann mit Brille, gilt als Promi-Anwalt.
Er hat Egon Krenz verteidigt, den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, den CDU-Funktionär Rüdiger Landowski im Berliner Bankenskandal, aber auch Größen aus der Film- und Kulturbranche.
Ungers aufsehenerregendstes Mandat aber war wohl die Verteidigung im sogenannten Tiergarten-Mord, eine Tat, die der Richter in seinem Urteil russischen "Staatsterrorismus" nannte. Moskau bestritt bis zum Schluss jede Verbindung zum Angeklagten und der Tat.
Interne Dokumente aus einer von Moskau finanzierten Stiftung zeigen nun: Der russische Staat hat sehr viel Geld auf den Tisch gelegt, um dem Mörder den renommierten Strafverteidiger Unger zur Seite zu stellen.
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Die Dokumente wurden dem dänischen TV-Sender DR von einer europäischen Geheimdienstquelle zugespielt. 15 Medien aus zwölf Ländern haben sie geprüft und ausgewertet, darunter ZDF und "Spiegel". Die Dokumente wurden verschiedenen Experten vorgelegt, die die Papiere für authentisch halten.
Laut Leak: Honorar für zehn Verhandlungstage von 60.000 EUR
Nach dem Mord an einem tschetschenischen Exil-Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin im Sommer 2019 hatte Moskau viel dafür getan, den Verdacht eines Auftragsmordes verschwimmen zu lassen.
Auch Rechtsanwalt Unger bestritt während des Prozesses vehement, dass der Angeklagte überhaupt so heiße, wie es Strafverfolger und Journalisten ermittelt hatten: Wadim Krassikow, Veteran einer russischen Killertruppe. Unger beteuerte wie Russlands Behörden, dass es sich bei seinem Mandanten um einen russischen Bauingenieur namens Sokolow handelte, der keine Verbindungen zum russischen Staat hatte.
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Nach 56 Verhandlungstagen entschied das Berliner Kammergericht im Dezember 2021: Ungers Mandant war jener Wadim Krassikow - und er war schuldig der heimtückischen Tötung des Georgiers Zelimkhan Khangoshvili und unterwegs im Dienste offizieller Stellen. Das Urteil: Eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Wer nun die geleakten Dokumente durchsieht, stößt auf ein von Unger unterzeichnetes und mit Kanzlei-Stempel versehenes Schreiben. Darin ist etwa sein Honorar für die letzten zehn Verhandlungstage in Höhe von 60.000 Euro notiert. Daraus ergäbe sich ein Tagessatz von 6.000 Euro. Bei 56 Verhandlungstagen käme man demnach auf weit mehr als 300.000 Euro für die Dauer der Verhandlung.
Auf einem Schreiben ist das Honorar für Anwalt Unger für die letzten zehn Verhandlungstage in Höhe von 60.000 Euro notiert.
Quelle: ZDF frontal
Aus den Unterlagen geht ebenfalls hervor, dass Unger auch kurze Zusammenfassungen über wichtige Ereignisse an einzelnen Verhandlungstagen samt Namen und teilweise auch Zeugenaussagen übermittelte. In einem seiner Berichte taucht auch der Name eines russischen Investigativ-Reporters auf, der gegen Ungers Mandanten aussagte und inzwischen vom russischen Geheimdienst FSB gesucht wird. 2021 musste er aus Russland fliehen.
Der Versuch, mit Unger ins Gespräch zu kommen, endet an der Tür der Kanzlei. Schriftliche Nachfragen des ZDF ließ Unger mit Verweis auf seine anwaltliche Schweigepflicht weitgehend unbeantwortet. "Abstrakt" weise er aber darauf hin, dass die Stiftung erst im vergangenen Jahr sanktioniert worden sei. Auch sei der Krieg gegen die Ukraine zum Verfahrenszeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen.
Zum Fall des russischen Reporters verwies Unger darauf, dass dieser sich selbst exponiert habe im Prozess und durch seine journalistische Arbeit. Die Verhandlungen seien öffentlich gewesen, deshalb habe es "keinerlei Berichte von irgendwelchen Prozessteilnehmern" bedurft, um das Interesse "welcher Dienste auch immer an bestimmten Zeugen zu wecken."
Pravfond als mutmaßliche Tarnorganisation russischer Geheimdienste
Das Geld für Ungers Mandat kommt den geleakten Dokumenten zufolge von einer russischen Stiftung mit dem langen Namen "Stiftung für die Unterstützung und den Schutz der Rechte von im Ausland lebenden Landsleuten".
Die russische Stiftung ist mit staatlichen Geldern ausgestattet und wird meist Pravfond abgekürzt. Offiziell betreibt sie Rechtshilfezentren für im Ausland lebende Russen. Sie ist in 22 Ländern aktiv, auch in Deutschland. Diese deutsche Außenstelle wird finanziert über einen Verein in Erfurt. Pravfond wurde 2012 per Dekret des russischen Präsidenten ins Leben gerufen, um sich für die "Entwicklung der Demokratie" und "soziale Gerechtigkeit" einzusetzen. Im Juni 2023 wurde Pravfond von der EU sanktioniert, ebenso ihr Leiter Alexander Udaltsow.
Mehrere Nachrichtendienste berichten von Hinweisen, dass es sich bei Pravfond offenbar um eine Tarnorganisation russischer Geheimdienste handelt.
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Tatsächlich arbeiten in der Führungsriege der Stiftung mehrere Personen mit Geheimdiensthintergrund, zwei davon mit Bezug zum russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, einer ist ein sanktionierter Agent des russischen Militärgeheimdienst GRU. In der Sanktionsbegründung der EU heißt es, Pravfond erfülle "außenpolitische Ziele der russischen Regierung" und verbreite Kreml-Propaganda.
Wegen der Sanktionen gegen Pravfond dürfen mit der Stiftung weder Verträge eingegangen noch Gelder von der Stiftung angenommen werden. Genau das ist in Erfurt aber wohl weiterhin geschehen. Die Vorsitzende des Vereins für Integration Gagarin e.V. hat nach ZDF-Recherchen noch 2024 einen Vertrag über 45.000 Euro mit Pravfond unterzeichnet, um das deutsche Rechtshilfezentrum zu betreiben. Laut Viktor Winkler, Rechtsanwalt und Sanktionsexperte, ein "sehr wahrscheinlicher Sanktionsverstoß" mit womöglich strafrechtlichen Auswirkungen.
Dass die Summe laut den vorliegenden Unterlagen auf ein Moskauer Konto überwiesen werden sollte, könnte in den Bereich der Sanktionsumgehung fallen. Ein Gespräch lehnte der Vereinsvorstand ab, auf einen umfangreichen Fragenkatalog antwortete er lediglich, "einige Organisationen" hätten sich für die vom Verein vermittelte Rechtsberatung "interessiert" und "unter anderem mit Spenden unterstützt". "Zu keiner Zeit" habe der Verein Gegenleistungen für diese "Spenden" erbracht.
Experte: Pravfond Instrument für russische Interessen
Der britische Experte für russische Sicherheitspolitik Mark Galeotti sieht in Stiftungen wie Pravfond Vorfeldorganisationen der russischen Geheimdienste in Europa. Seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine seien viele russische Agenten aus europäischen Botschaften ausgewiesen worden. "Das hat ein Problem für Russland geschaffen", so Galeotti.
Seitdem sich in Russland die Haltung durchgesetzt habe, dass man sich in einer Art unerklärten Krieg mit dem Westen befinde, sei Pravfond zu einem Instrument pervertiert, um russische Interessen durchzusetzen, sagt Mark Galeotti. Vor allem: die von russischen Agenten im Ausland.
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