Telefonische Krankschreibung: Wird die Regelung missbraucht?

    Lindner fordert Abschaffung:Wird die Telefon-Krankschreibung missbraucht?

    von Marie-Julie May und Oliver Klein
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    Lindner will die telefonische Krankschreibung abschaffen, weil sich zu viele Menschen krankmelden würden - und erntet massive Kritik. Wird die Regelung massenhaft missbraucht?

    Bundesfinanzminister Christian Lindner
    Krankschreibung per Telefon sollte Bürokratie abbauen, doch der steigende Krankenstand zwingt die Regierung laut Finanzminister Lindner zum Handeln.13.09.2024 | 0:12 min
    Es ist so einfach: Wer sich nicht fit fühlt und eine Krankschreibung braucht, muss sich nicht zum Arzt schleppen und sich in ein überfülltes Wartezimmer zu anderen kranken Patienten setzen - ein Anruf beim Hausarzt reicht. Diese Regelung gibt es seit der Corona-Pandemie, sie wurde im Dezember 2023 dauerhaft eingeführt.

    Lindner für Abschaffung der Telefon-Krankschreibung

    Die telefonische Krankschreibung hat also viele Vorteile für die Patienten und Patientinnen - aber Finanzminister Christian Lindner (FDP) würde sie gerne wieder abschaffen. Er wolle niemandem vorwerfen, die Regelung auszunutzen, so Lindner. Es gebe aber leider "eine Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war". Der Finanzminister will damit Unternehmen entgegenkommen, die über hohe Krankenstände klagen.

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    FAQ

    Lohnfortzahlung kostet Arbeitgeber Rekordsumme

    Tatsächlich haben sich die Kosten für Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall seit 2010 auf 76,7 Milliarden Euro verdoppelt - eine Rekordsumme. Diese Zahl hat das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie ausgerechnet.
    "In den Jahren 2022 und 2023 waren die durchschnittlichen Krankheitstage je Beschäftigten in Deutschland außergewöhnlich hoch und sind gegenüber den Vorjahren spürbar gestiegen", schreibt das Ministerium auf Anfrage von ZDFheute. Das hätte "einen deutlichen Effekt auf die deutsche Wirtschaft" gehabt. 
    Tatsächlich war die Zahl der durchschnittlichen Krankheitstage laut Statistischem Bundesamt zuletzt deutlich gestiegen: Von 11,2 im Jahr 2021 auf 15 im Jahr 2022 und sogar 15,2 im vergangenen Jahr. "Eine Studie der BKK hat aufgezeigt, dass sich fast 60 Prozent der befragten Beschäftigten krankschreiben lassen, wenn eine Krankschreibung möglich ist, obwohl keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt", heißt es in der Mail des Ministeriums weiter.
     Ein Mann hält ein Taschentuch in einer Hand und ein Telefon mit dem Schriftzug "Arzt" in der Anderen. Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet über dauerhafte Möglichkeiten zu telefonischen Krankschreibungen. Patientinnen und Patienten sollen sich bei leichteren Erkrankungen künftig generell telefonisch von ihrer Arztpraxis krankschreiben lassen können.
    Patienten können sich seit Dezember 2023 wieder telefonisch krankschreiben lassen.08.12.2023 | 2:15 min

    2022 und 2023 außergewöhnlich viele Krankheitsfälle

    Sind die Fehlzeiten also vor allem deshalb so hoch, weil die Deutschen jetzt häufiger blau machen, wie das Finanzministerium insinuiert? Die von Lindner beobachtete Korrelation bedeutet noch keine Kausalität - denn es gibt mehrere andere Gründe, die den Anstieg der Krankheitstage erklären.
    In beiden Jahren 2022 und 2023 gab es tatsächlich eine außergewöhnlich hohe Zahl von Krankheitsfällen, bedingt durch besonders heftige der Grippe- und Erkältungswellen. Nach Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) gab es in beiden Jahren immer wieder Phasen mit mehr akuten Atemwegserkrankungen als sonst üblich.
    Ein Mitarbeiter einer Arztpraxis notiert etwas auf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
    Der Krankenstand am Arbeitsplatz ist laut der Krankenkasse DAK das zweite Jahr in Folge auf einem Rekordhoch. Demnach meldete sich 2023 jeder Angestellte im Schnitt 20 Tage krank.19.01.2024 | 0:27 min
    "Die Werte liegen aktuell deutlich über den Werten der Vorsaisons", hieß es beispielsweise im Wochenbericht von Anfang Oktober 2022, Ende 2023 nannte das RKI in seinem Wochenbericht die Anzahl der Erkrankungen "diese Zeit noch ungewöhnlich hoch". Fast neun Millionen Menschen waren zu dem Zeitpunkt krank, schätzt das RKI - mehr als jeder Zehnte in Deutschland.

    Elektronische Übermittlung lässt Zahlen steigen

    Einer der Gründe für die hohe Zahl von Krankheitsfällen: Die verstärkten Hygienemaßnahmen und geringen Kontakte während der Corona-Pandemie. Das Immunsystem kam über längere Zeit kaum mit neuen Viren in Kontakt, so kam es zu einem "Nachholeffekt". 
    Auch das IW räumt ein, dass eine demografische Entwicklung eine Rolle spielt: In alternden Belegschaften ist damit zu rechnen, dass manche Krankheitsbilder gehäuft auftreten, die mit zunehmendem Alter öfter vorkommen - und regelmäßig auch längere Abwesenheiten zur Folge haben, heißt es in der Studie.
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    Noch einen weiteren Grund erklärt Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, auf Anfrage von ZDFheute:

    Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass sich die gestiegene Zahl der Krankschreibungen in großen Teilen auf die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zurückführen lässt.

    Verbandschef der Hausärztinnen- und Hausärzte

    Seit Juli 2022 werden Krankschreibungen nämlich elektronisch an die Krankenkassen gemeldet, während davor die gelben Zettel von den Patienten selbst an die Versicherer geschickt wurden. So würden nun auch Krankschreibungen erfasst, die die Kassen früher nie erreicht haben, erklärt Beier.
    Dass die Zahl der Krankheitstage deutlich gestiegen ist, hat also verschiedene Gründe - und liegt nicht in erster Linie daran, dass Patienten sich leichter telefonisch krankmelden können. 

    Hausärzte befürworten Regelung

    Doch Verbandschef Beier geht noch weiter und warnt davor, die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung abzuschaffen. Für ihn sei das "fehlgeleiteter Aktionismus", die Einführung der Regelung eine absolut sinnvolle Entscheidung. Sie führe zu weniger Wartezeit in den Praxen und verringere das Ansteckungsrisiko.
    Quelle: mit Material von dpa

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