Viele Staaten haben Streumunition und Antipersonenminen wegen ziviler Opfer und Blindgänger verboten. Nun steigen mehrere Nato-Staaten aus den Verträgen aus. Was macht Deutschland?
Überreste von russischen Raketen, darunter auch viele Träger für Streumunition, in der ukrainischen Stadt Charkiw. (Archivbild)
Quelle: dpa
Europa rüstet auf gegen die Bedrohung aus Russland. Auf dem ganzen Kontinent werden Rüstungsgüter nachbestellt, die man nach Ende des Kalten Krieges aufgegeben hatte. Dabei erwägen mehrere Staaten der Nato auch, Waffentypen wieder zu beschaffen, die man wegen ihrer verheerenden Wirkung sogar verboten hatte: Streumunition und Antipersonenminen.
Am 6. März ist Litauen als erster Staat weltweit aus der internationalen Konvention zum Verbot von Streumunition, dem sogenannten Oslo-Übereinkommen, ausgetreten. Verteidigungsministerin Dovile Sakaliene sagte im litauischen Radio, man sei im Ernstfall bereit, "absolut alles einzusetzen".
Am Dienstag kündigten nun die Verteidigungsminister Estlands, Litauens, Lettlands und Polens gemeinsam an, auch aus der Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen aussteigen zu wollen. Seit der Unterzeichnung habe sich die "Sicherheitslage fundamental verschlechtert", heißt es in der Mitteilung unter Verweis auf Russland. Man werde den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten weiter beachten. Besiegelte Sache ist die jüngste Ankündigung zum Ottawa-Austritt noch nicht - das Aufkündigen solcher völkerrechtlichen Verträge ist üblicherweise Aufgabe von Staats- und Regierungschefs.
Mitteilung des litauischen Verteidigungsministeriums
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Als Streumunition, oder -bomben werden eine ganze Reihe an Munitionsarten bezeichnet, die eine große Zahl an kleiner explosiver Submunition über einem Gebiet verteilen. Damit eignen sie sich besonders gut, um große Konzentrationen an Zielen, Konvois, oder Artilleriestellungen anzugreifen.
Neue Milliardenausgaben zur Aufrüstung sind geplant, um Deutschlands Verteidigung zu sichern und unabhängiger zu machen. Doch wo mangelt es derzeit und was benötigt die Bundeswehr?05.03.2025 | 2:53 min
Viele Staaten ächten ihren Einsatz, insbesondere in bewohnten Gebieten, da die auch "Bomblets" genannte Submunition in einem großen Radius willkürlich auch Zivilisten treffen kann. Seit je her ist auch die große Zahl an zurückbleibenden Blindgängern ein Problem. Kriege von Afghanistan bis Vietnam hinterließen noch nach Jahrzehnten nicht explodierte Sprengsätze, denen jedes Jahr Hunderte Menschen zum Opfer fallen. Fast alle hiervon sind Zivilisten.
Das Beseitigen ist aufwändig und teuer. Auch moderne technische Lösungen zum automatischen Entschärfen der "Bomblets" nach gewisser Zeit bieten keine absolute Sicherheit.
In Polen ist die Sorge vor einer Abkehr der USA von Europa besonders groß. Das osteuropäische Land an der Ostflanke der Nato hat zuletzt deutlich aufgerüstet.06.03.2025 | 1:50 min
Was genau ist vielen Staaten verboten?
Inklusive Litauen haben 124 Staaten das 2010 in Kraft getretene "Übereinkommen über Streumunition" unterzeichnet. Darin verpflichten sie sich, Streumunition nicht einzusetzen, zu entwickeln, zu produzieren oder zu verkaufen. Eine noch größere Zahl an Staaten hat die ähnliche Verbote umfassende Ottawa-Konvention unterzeichnet. Neben den USA sind die baltischen Staaten und Polen damit die einzigen westlichen Staaten, die Antipersonenminen zulassen.
Anders als manch andere Regelung aus dem Völkerrecht gelten beide Verbote nur für die Staaten, die das Abkommen unterzeichnet haben. Dass die USA etwa der Ukraine 2023 Streumunition überlassen hat, ist völkerrechtlich also nicht verboten, da beide Staaten keine Unterzeichner des Streumunition-Abkommens sind. Im Zuge der öffentlichen Debatte um die US-Lieferungen stellte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg damals klar, dass der Einsatz von Streumunition eine individuelle Entscheidung der einzelnen Nato-Mitglieder sei. Jedoch stellten die USA der Ukraine auch Antipersonenminen zur Verfügung, obwohl die Ukraine das Ottawa-Abkommen unterzeichnet hat.
Beide Abkommen gelten als Meilensteine bei internationalen Abrüstungsbemühungen, auch weil sich viele Staaten in Afrika, Zentral- und Südamerika angeschlossen haben.
Streumunition ist besonders heimtückisch - gerade für die Zivilbevölkerung. 2023 kündigten die USA an, an die Ukraine liefern zu wollen. ZDFheute live mit einer Analyse.07.07.2023 | 25:42 min
Streumunition kommt in der Ukraine zum Einsatz
Im Ukraine-Krieg setzten sowohl Moskau wie auch Kiew auf Streumunition. Mehrere Vorwürfe von Kriegsverbrechen gegen Russland stehen dabei auch in Verbindung mit solchen Waffentypen. Darunter etwa der Angriff auf den Bahnhof der Stadt Kramatorsk am 8. April 2022 mit 63 getöteten Zivilisten.
Dass Russland diese Waffen einsetzt, führte Polens Ministerpräsident Donald Tusk bei einer Parlamentsrede am 7. März als Begründung an, dass auch sein Land den erneuten Einsatz solcher Waffen prüfe. Er werde dem Verteidigungsminister eine positive Beurteilung empfehlen, so Tusk. Auch Polens Unterstützung der Ottawa-Konvention gegen Antipersonenminen stellte Tusk zur Debatte.
Das ist nicht schön, auch nicht angenehm, das wissen wir. Das Problem ist, dass in unserer Nachbarschaft diejenigen, vor denen wir uns fürchten müssen, die, die am Krieg teilnehmen, darüber verfügen.
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Donald Tusk, polnischer Ministerpräsident
Wie steht Deutschland zu Streumunition?
Deutschland plant derzeit keine vergleichbaren Schritte, sondern hält am Verbot der umstrittenen Waffentypen fest. Das Bundesverteidigungsministerium teilte ZDFheute mit:
Die Bundesregierung setzt sich weiterhin für die Einhaltung der Rüstungskontrolle ein und plant keinen Austritt aus der Oslo-Konvention.
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Bundesverteidigungsministerium
Seine letzten Bestände an Streumunition hat Deutschland im November 2015 vernichtet; dieser Prozess hatte man 2001 begonnen.
Aufgrund der geplanten europäischen Aufrüstung rechnet Rheinmetall-Chef Papperger von einem Auftragsboom, er geht von einem Volumen von 300 bis 400 Milliarden Euro aus.12.03.2025 | 1:45 min
Eine Wiederbeschaffung von Streumunition und Antipersonenminen steht auch vor der praktischen Hürde, dass viele einstige Hersteller die Produktion aufgegeben haben beziehungsweise aufgeben mussten. Rheinmetall teilt auf seiner Webseite etwa mit, dass das Unternehmen inklusive Tochtergesellschaften keine Streumunition und andere "kontroverse Munitionen" entwickle oder produziere. "Darüber hinaus ist auch nicht beabsichtigt, dies zukünftig zu tun." Auf Nachfrage von ZDFheute wollte das Unternehmen die jüngste litauische Entscheidung nicht kommentieren.
Sollte man in den Staaten, die nun den Rückzug aus den Abkommen verkündet haben, tatsächlich demnächst eine Beschaffung anordnen, wird man sich vermutlich außerhalb Europas auf die Suche nach einem Hersteller machen müssen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) warnt in einer Pressemitteilung vor der Signalwirkung von Litauens Entschluss: "Der Rückzug aus jedem humanitären Vertrag lässt lebensrettenden humanitären Schutz verschwinden und untergräbt das Fundament des humanitären Völkerrechts."
Hinweis 18.03.2025, 9 Uhr: Der Artikel wurde nach Bekanntwerden der Austrittsankündigung mehrerer Nato-Staaten aus dem Ottawa-Abkommen angepasst.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.