Startchancen-Programm: Startschuss für die Bildungswende?

    Startchancen-Programm beginnt:Der Startschuss für die Bildungswende?

    von Britta Spiekermann und Patrick Müthing, Thüringen
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    Mit dem Startchancen-Programm sollen Schulen in schwieriger Lage mehr Geld bekommen. Ziel: bessere Bildungschancen - unabhängig vom Elternhaus. Wie kommt das bei den Schulen an?

    Es ist Schulstart in Thüringen. Angela Gerst leitet die Martini-Grundschule in Mühlhausen. In der Turnhalle hat schon lange keiner mehr Sport gemacht.

    Unsere Turnahalle ist baufällig, alt, entspricht nicht mehr den Standards des TÜV.

    Angela Gerst, Schulleiterin

    Belastungen steigen

    Die Kinder müssen mit dem Bus zu einer anderen Halle gefahren werden. "Nein. Einsturzgefährdet ist die Turnhalle nicht. Das hoffe ich, mein Büro liegt direkt darüber". Seit über 30 Jahren ist Angela Gerst im Schulbetrieb und engagiert. Vielleich sogar mehr als je zuvor.

    Manchmal denken wir, wir gehen an der Belastung kaputt.

    Angela Gerst, Schulleiterin

    Neben vielen anderen kleinen, hat sie hat dieses eine große Ziel: "Hier geht kein Kind nach der Grundschulzeit raus, dass nicht lesen und schreiben kann."
    Rund 20 Milliarden Euro sollen an etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler fließen.
    In Brennpunktschulen benötigen viele Schüler zusätzliche Förderung, um zum Beispiel Deutsch zu lernen. Entstehende Kosten sollen mit dem Startchancen-Programm gedeckt werden.11.04.2024 | 1:40 min

    Investitionsprogramm soll Schulen unterstützen

    Genau dafür soll es für ihre Schule jetzt mehr finanzielle Unterstützung geben. Ab diesem Schuljahr wird die Martini-Grundschule durch das Startchancenprogramm gefördert. Bund und Länder einigten sich darauf, in den kommenden zehn Jahren je zur Hälfte insgesamt 20 Milliarden Euro in ausgewählte Schulen zu investieren.
    Bundesweit gehen die ersten 2.125 Schulen jetzt an den Start. Bis 2027 soll sich diese Zahl laut Bildungsministerium noch verdoppeln. Das hoch angesetzte Ziel: Bildungsungleichheit ausgleichen. Deshalb richten sich die Investitionen an Schulen, insbesondere an Grundschulen, deren Schülerinnen und Schüler vermehrt von Armut betroffen sind und aus Familien mit Migrationsgeschichte stammen.



    Vielleicht ist jetzt sogar eine neue Stelle drin.

    Angela Gerst, Schulleiterin

    Für die Thüringer Grundschule sei das Programm eine Chance und vor allem lang ersehnte Anerkennung für das Personal. Bislang konnten sie den Regelunterricht fast immer abdecken, darauf sind sie stolz - allerdings: fällt eine Lehrkraft aus, wird es eng im Dienstplan.
    Cover des nationalen Bildungsberichts
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    Lehrkräftemangel bleibt eine Herausforderung

    Thüringen leidet - wie alle anderen Bundesländer - unter massivem Lehrkräftemangel, viele Unterrichtsstunden fallen ersatzlos aus. Dieses Grundproblem wird das Startchancen Programm nicht lösen können. Aber es soll Entlastung schaffen.



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    Baustein in der Bildungswende?

    Es ist das wichtigste bildungspolitische Vorhaben der Ampel-Koalition, das nach zähem Ringen zwischen Bund und Ländern mit einem Jahr Verspätung jetzt starten soll. In die Schul-Ausstattung soll investiert werden, in die Sozialarbeit - und mit freien Budgets die Schulen selbst entscheiden können, wo gerade Geld gebraucht wird.

    Mit dem Startchancen-Programm wollen wir genau dort unterstützen, wo es am schwierigsten ist.

    Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

    Das Programm ist gezielt langfristig angelegt, denn die Not in den Schulen ist groß. Laut PISA-Studie beherrschen 30 Prozent der Kinder am Ende der vierten Klasse nicht die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen.
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    Bisher einzigartiges Programm

    Der Bildungsforscher Kai Maaz vom Leibniz-Institut sieht in dem Startchancen-Programm das Potenzial eines Game-Changers. Mit Blick auf die Migration sei die frühe Förderung der Sprachkompetenz der Königsweg, wolle man soziale Integration langfristig unterstützen

    Das ist das erste Programm, das wirklich systemisch versucht, die Ursachen von Bildungsungleichheit und Kompetenzsarmut anzugehen.

    Prof. Kai Maaz, Leibniz-Institut für Bildungsforschung

    Probleme bestehen schon lange

    Mit dem Begriff "Startchancen-Programm" kann Schulleiterin Gerst nicht viel anfangen. Schließlich seien sie schon seit Jahren "am Start". Die Kinder kämen mit vielfältigen Problemen, deutsche und Kinder aus Migrantenfamilien.
    Die Schulleiterin klagt nicht, sie hofft vielmehr, dass sich endlich mehr bewegt. Sie weiß, die Sanierung der Martini-Schule wird Millionen kosten und nicht durch das Programm abgedeckt werden - dort bleibe das Land in der Pflicht. Der Lehrerverband mahnt:

    Der Sanierungsstau wird damit nicht aufgehoben, da das Geld dafür nicht verwendet werden darf. Es soll für die unmittelbare Förderung von Kindern eingesetzt werden, zum Beispiel durch Personal und besondere Ausstattung.

    Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands

    Frau Gerst von der Martini-Grundschule im thüringischen Mühlhausen blickt mit Erwartungen und Skepsis auf das Startchancen-Programm. Passiert ist bis jetzt noch nichts. Für die Kinder sei die Schule viel mehr als nur eine Schule: "Wir sind doch ihr Halt".

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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