Sabotage: Wie Russland einen geflüchteten Ukrainer anwarb

    Moskaus Schattenkrieg in Europa:Ukraine-Flüchtling als Saboteur für Russland?

    von J. Bartz, K. Belousova, N. Metzger, K. Skowron, U. Stoll
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    Russische Telegram-Kanäle rekrutieren "Wegwerf-Agenten" für Anschläge in Europa. Beschuldigt wird auch ein ukrainischer Flüchtling aus Hessen. Frontal über den Fall Serhij S.

    Brennendes Einkaufszentrum "Marywilska"
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    Es ist der 31. Januar 2024, als die polnische Polizei am Busbahnhof von Breslau zuschlägt: Der Mann, den sie an diesem Tag festnimmt, heißt Serhij S. Er ist ein ukrainischer Geflüchteter, der eigentlich in Deutschland lebt - und eine Sabotageaktion im Auftrag Russlands geplant haben soll.
    Bis heute sitzt S. in Untersuchungshaft in Polen, ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Die polnische Justiz wirft ihm vor, von einem russischen Nachrichtendienst angeworben worden zu sein und einen Brandanschlag auf eine Farbenfabrik in Breslau vorbereitet zu haben. In Unterlagen der Ermittler, die ZDF frontal vorliegen, heißt es: "Die Brandanschläge kamen jedoch nicht zur Ausführung, weil S. in der Republik Polen festgenommen wurde."

    In Warschau brennt das größte Einkaufszentrum Polens nieder. In London geht ein Lagerhaus mit Hilfsgütern für die Ukraine in Flammen auf. Am Flughafen Leipzig entzündet sich eine als Paket getarnte Brandbombe – gerade sollte es in ein Frachtflugzeug verladen werden.

    "Hier ist es nur ein glücklicher Zufall, dass das Paket noch am Boden in Brand geriet und nicht während des Fluges der Maschine", sagte der damalige Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang bei einer Anhörung am 10. Oktober. 

    Der britische Geheimdienstchef Richard Moore macht Russland verantwortlich: "Wir haben kürzlich eine erschütternd rücksichtslose russische Sabotagekampagne in Europa aufgedeckt. Sie soll Angst vor den Folgen der Ukraine-Unterstützung schüren und die Entschlossenheit des Westens auf die Probe stellen."

    Wie Serhij S. auf Telegram angeworben wurde

    Die Spur des mutmaßlichen Saboteurs führt von Neustadt in Hessen nach Polen, ins Baltikum und zu Telegram-Kanälen, auf denen gezielt Saboteure angeworben werden - um Europa und die Unterstützer der Ukraine zu schwächen.
    2023 floh S. gemeinsam mit seiner Ehefrau Aljona F. und deren Tochter vor Russlands Krieg in der Ukraine. Über Moldau kamen sie nach Neustadt in Hessen. Dort hat ZDF frontal mit Alona F. sprechen können. Demnach sei Serhij über einen Telegram-Kanal namens "Lucky Strike" angeworben worden und daraufhin nach Polen gereist.
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    Welchen Plan hatte der mutmaßliche Saboteur?

    "Er kam nach Breslau, besuchte den Ort, an den er gehen sollte, und machte Fotos", erzählt sie. 4.000 Euro sollen die Anwerber von "Lucky Strike" Serhij S. für einen Anschlag geboten haben. Doch Aljona F. betont, ihr Mann habe nie einen Brandsatz oder Ähnliches legen wollen. Vielmehr habe er vorgehabt, seine Auftraggeber mit gestellten Fotos zu täuschen.
    Sie habe darum in Neustadt Fotos von verbranntem Holz gemacht und ihrem Mann geschickt. Die Bilder finden sich in Ermittlungsunterlagen. "Er hat mich gebeten, Fotos zu machen, um vorzugeben, dass er die Tat begangen hat. Dann hat er sie an diese Leute weitergeleitet und ist von dort weggegangen", sagt Aljona F.

    Er war dumm, weil er Geld wollte. Das ist seine Schuld.

    Aljona F. über den Sabotage-Plan ihres Partners

    Wollte S. den Anschlag wirklich nur vortäuschen? Die polnischen Ermittler haben Zweifel. Ihnen zufolge wurden bei dem Festgenommenen "brennbare Materialien in Form von flüssigen und festen Feueranzündern" gefunden. Der polnische Anwalt von Serhij S. reagierte nicht auf eine Anfrage von ZDF frontal.
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    Was ist über die Auftraggeber der Sabotage bekannt?

    Klar ist: Bevor Serhij S. nach Breslau reiste, hatte er Kontakt mit mindestens einem russischen Telegram-Kanal, wurde von diesem angeworben. Als der Anschlag von S. ausblieb, kontaktierten die Hintermänner die Ehefrau Aljona F. über den Kanal "Lucky Strike". Wie "Lucky Strike" an ihre Nummer gekommen sei, wisse sie nicht.

    Sie suchten nach Serhij, aber ich wusste nicht, was mit Serhij passiert war, also fragte ich: 'Wer sind Sie?' Sie sagten: 'Wir wollen wissen, wo Serhij ist'.

    Aljona F.

    Hinter dem Telegram-Kanal "Lucky Strike" steckt offenbar eine Gruppe, die sich "Stab der Partisanenbewegung Smersch" nennt. Der Name nimmt Bezug auf den gleichnamigen militärischen Nachrichtendienst der Sowjetunion zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
    In einem Beschreibungstext heißt es: "Wir suchen Leute, die Proteste in Europa und den USA organisieren." Und: "Wir suchen auch Partisanen, die bereit sind, Brandanschläge zu verüben." In den Ermittlungsunterlagen heißt es klar, dass Auftraggeber der Sabotage in Breslau der "russische Nachrichtendienst" sein soll.
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    Weitere Telegram-Kanäle suchen Saboteure

    Und "Lucky Strike" scheint nicht der einzige Versuch über Telegram-Kanäle Saboteure zu rekrutieren. In der estnischen Hauptstadt Tallin recherchieren die Journalisten Marta Wunsch und Artur Isumrudow vom Nachrichtenmagazin "Delfi" zu russischen Anwerbeversuchen über Telegram.
    Auf einem Telegram-Kanal ehemaliger Söldner der Gruppe Wagner stießen sie auf Werbung für den Kanal "Privet Bot". Auch der sucht ganz offen Saboteure. Mit einem Fake-Profil gelang es den Journalisten, Einblick in die Anwerbeversuche zu bekommen.

    Was willst Du am liebsten machen: ukrainische Militärtechnik anzünden, einen Lastwagen anzünden, der Militärtechnik transportiert, einen Faschisten töten, der im Baltikum lebt?

    Zitat aus dem Anwerbe-Chat mit "Privet Bot"

    "Sie wollen tatsächlich, dass vermeintliche Faschisten bei uns liquidiert werden. Es ist also völlig klar, dass es für sie kein Problem ist, jemanden zu töten oder einen Mord in Auftrag zu geben", sagt Wunsch. Inzwischen ist der Telegram-Kanal in der EU abgeschaltet.
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    Russland versucht, Verantwortung zu verschleiern

    Das Putin-Regime versuche zu verschleiern, dass russische Geheimdienste hinter Sabotagefällen stecken, sagt der frühere Vize-Präsident des Bundesnachrichtendienst (BND) Arndt Freytag von Loringhoven. "Der Zweck dieser Anwerbungen ist, dass die Verantwortlichkeit von den Urhebern abgelenkt werden können."

    Da ist es natürlich sehr viel günstiger, eine Person ohne Zugehörigkeit damit zu beauftragen, als einen Agenten eines der russischen Geheimdienste, auf dessen Hintergrund man leichter kommen könnte.

    Arndt Freytag von Loringhoven, ehem. Vize-Präsident BND

    "Wegwerf-Agenten" erleichtern Sabotage-Kampagnen

    Sogenannte "Wegwerf-Agenten", die über das Internet für geringe Geldsummen rekrutiert werden, machten Sabotage-Kampagnen einfacher als je zuvor, betont der Bundeswehr-Offizier Sönke Marahrens. Bis Herbst 2024 war er Direktor am Europäischen Kompetenzzentrum für die Bekämpfung Hybrider Bedrohungen in Helsinki.
    "Früher mussten sie als Agentenführer einen Spion oder einen Saboteur anwerben, sie mussten ihn bezahlen, sie mussten sein Vertrauen ermitteln und sie mussten ihn über einen längeren Zeitraum führen", sagt Marahrens. Jetzt genüge eine Webseite. "Für geringe Summen kann ich einen Erfolg erzeugen", berichtet Marahrens.

    Und wenn bekannt wird, das war jetzt ein ukrainischer Flüchtling, dann sinkt natürlich in der Bevölkerung die Unterstützungsleistung. Für einen russischen Agentenführer ist das sogar ein Doppelschlag.

    Sönke Marahrens, Experte für hybride Bedrohungen

    Telegram-Recherche
    :Sabotage-Anwerbung: Spur führt nach Russland

    In Europa häufen sich Sabotageakte, immer wieder finden Ermittler Spuren nach Russland. ZDF-frontal-Recherchen zeigen nun, wie Recruiter auf Telegram Saboteure anwerben.
    von C. Huppertz, A. Izumrudov, I. Lozovsky, B. Obermayer, H. Roonemaa, M. Vunš, F. Schmid
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    Exklusiv

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