Pistorius über Abschreckung: "Wie im Kalten Krieg"
Interview
Pistorius über US-Raketen:Abschreckung wie "aus dem Kalten Krieg"
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Boris Pistorius nennt die bald in Deutschland stationierten Langstreckenraketen eine "reine Vorsichtsmaßnahme" - vergleicht aber die Situation trotzdem mit dem Kalten Krieg.
Verteidigungsminister Pistorius äußert sich zu den Plänen der USA, Langstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren.11.07.2024 | 7:21 min
Ab 2026 werden in Deutschland amerikanische Langstreckenraketen und Marschflugkörper stationiert. Damit soll Russland abgeschreckt werden. Für Verteidigungsminister Boris Pistorius ist diese Entscheidung ein Ausdruck der von Bundeskanzler Olaf Scholz propagierten Zeitenwende, auf die Deutschland sich einlassen müsse.
Sehen Sie das ganze Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt der Verteidigungsminister über ...
... den Zweck von Langstreckenwaffen in Deutschland
"Die Waffen dienen der Abschreckung, nicht mehr und nicht weniger", sagt Pistorius über die bald in Deutschland stationierten Waffen der USA. Falls Deutschland angegriffen werden würde, könne man sich zukünftig auch auf einer gewissen Distanz "zur Wehr setzten".
Diese Langstreckenwaffen sollen in Deutschland stationiert werden:
Beim BGM-109 Tomahawk handelt es sich um einen Marschflugkörper. Auch wenn diese Flugkörper Raketen ähnlich sehen, sind sie doch etwas anderes. Während ballistische Raketen von ihrem Antrieb auf eine bogenförmige, ballistische, Flugbahn gebracht werden und dann auf ihr programmiertes Ziel "stürzen", haben Marschflugkörper einen permanenten Antrieb, oft kleine Tragflächen und fliegen in niedriger Höhe ihrem Ziel entgegen. Die Tomahwks sind rund 880 Kilometer pro Stunde schnell und haben eine Reichweite von mehr als 1.650 Kilometern. Es gab bis zum INF-Abrüstungsvertrag eine Tomahawk-Version, die Nuklearsprengköpfe tragen konnte. Dieser Typ wurde aber bis 1991 völlig abgerüstet. Die aktuellen Tomahawk-Marschflugkörper können während des Fluges auf neue Ziele umprogrammiert werden und verschiedene konventionelle Gefechtsköpfe tragen.
Die Standard Missile 6 (SM-6) ist eine Flugabwehr-Rakete zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern oder ballistischen Raketen (innerhalb der Erdatmosphäre). Die SM-6 ist mehr als 4.000 Kilometer pro Stunde schnell und hat eine Reichweite von mehr als 370 Kilometern. Es gibt Versionen die von Land, aus der Luft oder von Schiffen eingesetzt werden können. Obwohl die SM-6 originär eine Flugabwehr-Rakete ist, gibt es eine modifizierte Version für den Einsatz gegen Ziele am Boden. Diese Version ist nach Angaben von Experten für die Stationierung in Deutschland vorgesehen.
Die US-Hyperschallwaffen sind noch nicht serienreif – die Entwicklung scheint aber weit fortgeschritten. Darauf weisen erfolgreiche Test über dem Pazifik im März 2024 hin. Dabei wurde eine AGM-183 Air-launched Rapid Response Weapon (ARRW) von einem Langstrecken-Bomber des Typs B-52 auf Starthöhe gebracht, und erreichte nach der Trennung vom Trägerflugzeug mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit. In Rahmen eines weiteren Hyperschall-Projekts entwickelt die US Army die "Dark Eagle Long Range Hypersonic Weapon (LRHW)", ein landgestütztes System, dessen Flugkörper mehr als 6.000 Kilometer pro Stunde schnell sein sollen und deren Reichweite mit mindestens 2.750 Kilometern angegeben wird. Tim Thies vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg vermutet, dass die USA bei der angekündigten Stationierung mit "Dark Eagle" planen.
Quellen: ZDF, AFP, Reuters, globalsecurity.org
... die Abschreckungskapazität der Nato
Über die Abschreckungskapazität der Nato sagt Pistorius: "In Europa haben wir sie kaum, Deutschland gar nicht." Russland hingegen habe abschreckende Waffensysteme, beispielsweise in Kaliningrad, die Deutschland und andere europäische Staaten erreichen könnten, betont der Verteidigungsminister.
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Pistorius betont: Es gehe nur um die Abschreckung und um nichts anderes. Er spricht von einer "neuen Bedrohungslage". Der russische Präsident Wladimir Putin habe gezeigt, wozu er bereit und in der Lage sei.
Es gehe darum, der Bedrohung durch Putin "eine klare Abschreckungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft entgegenzusetzen".
... die Gefahr eines verheerenden Wettrüstens
Ängste vor einem verheerenden Wettrüsten könne der Verteidigungsminister natürlich verstehen.
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"Aber wir dürfen nicht ausblenden, dass letztlich das Rüsten bei gleichzeitiger Annäherung dazu geführt hat, dass man aus der Position der Stärke raus für viele Jahre Frieden sichern konnte und friedliche Koexistenz", führt Pistorius aus. Als nötige Schritte zählt er auf:
Klar sei: "Wir bedrohen niemanden, wir wollen niemanden attackieren."
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... die Zeitenwende
Die Zeiten, in denen man sich nicht mehr mit "all diesen Fragen von Bedrohungen" auseinandersetzen musste, seien "erst einmal vorbei", bedauert Pistorius. Mit den bald in Deutschland stationierten Langstreckenraketen wolle man "alles Mögliche dafür tun, dass es nie zu einem Konflikt kommt". Erst recht kein nuklearer Konflikt, betont der Verteidigungsminister.
Erstmals seit dem Kalten Krieg wollen die USA wieder Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren. Diese könnten dann auch Ziele weit im Inneren von Russland erreichen.