Pirna: Ausstellung über Geflüchtete vor Eröffnung abgebaut

    Vor Eröffnung abgebaut:Pirna entfernt Ausstellung über Geflüchtete

    Thomas Bärsch
    von Thomas Bärsch
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    In Pirna steht eine "Interkulturelle Woche" an - und das Landratsamt lässt eine Ausstellung über Geflüchtete wieder abbauen. Sie habe "Unmut" unter den Betrachtern hervorgerufen.

    Blick auf die Altstadt von Pirna in Sachsen
    Das Landratsamt in Pirna hat veranlasst, eine Ausstellung über Geflüchtete abzubauen.
    Quelle: dpa

    Lenore und Werner Lobeck aus Schwarzenberg konnten die Nachricht aus Pirna erst nicht glauben. Seit Monaten touren sie mit ihrem Projekt durch Sachsen. "Es ist nicht leise in meinem Kopf - Eine Ausstellung von und mit Geflüchteten", so der Titel. Die Ausstellung gastierte schon in Aue, bei der Arbeitsagentur in Chemnitz, an einem Meißner Gymnasium und im sächsischen Landtag.
    Immer geschätzt und beachtet und immer ohne Probleme. Stolz prangen die Symbole und Wappen des Sächsischen Sozialministeriums und des Freistaats Sachsen auf der Liste der Geldgeber. Die "Interkulturelle Woche" in Pirna hätte sich bestens für die Ausstellung angeboten, dachten die Kuratoren, zumal zur Vernissage am 25. September auch Geflüchtete eingeladen waren, die an der Ausstellung mitgewirkt hatten.

    Landratsamt sagt Ausstellung in Pirna ab

    Stand jetzt allerdings wird so ein Termin nicht stattfinden. Kurz nach dem Aufbau der Text- und Bildtafeln erhielten die Lobecks vom Landratsamt eine verstörende Mail, geschrieben im Auftrag des Landrats. Die Ausstellung habe bereits in den ersten Stunden nach ihrem Aufhängen "polarisiert" und unter den anwesenden Betrachtern "für eine aufgeheizte Stimmung" gesorgt. Deshalb habe man "entschieden, vom Hausrecht Gebrauch zu machen, und den sofortigen Abbau der Ausstellung zu veranlassen".
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    In der Ausstellung erzählen Geflüchtete von ihren Erfahrungen. Mit der Polizei oder in Unterkünften. So bringen sie das Gefühl zum Ausdruck, nur kontrolliert zu werden, weil sie schwarz seien. Oder dass sie sich in den Unterkünften "eingesperrt wie hinter einer Mauer" fühlten. Und dass sie für sich "kein Leben in Deutschland" sähen.

    Landrat: Ausstellung verstärkt Vorurteile

    "Solche Äußerungen", das erklärt das Landratsamt auf ZDFheute-Anfrage, "riefen verständlicherweise den Unmut und das Unverständnis von Bürgern und Mitarbeitern des Landratsamtes über die gezeigte Ausstellung hervor". Zu keiner Zeit habe das Landratsamt ein positives Feedback zu den zahlreichen Äußerungen der in unserem Land Schutzsuchenden erhalten, insofern "war die Ausstellung aus unserer Sicht nicht geeignet, Vorurteile abzubauen (…), sondern vielmehr, diese noch zu verstärken".
    Lenore und Werner Lobeck zeigen sich erschüttert. Davor, dass solche Bilder von Rechten oder Rassisten attackiert würden, sei man nie sicher, sagen sie. "Aber, dass ein Amt eines demokratischen Staates die Bilder einer Ausstellung, die um Verständnis für Geflüchtete wirbt und gegen Vorurteile spricht, aufgrund von "Beschwerden" wieder abnimmt, das hat eine völlig andere und neue Dimension."
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    Dachverband: "Fatales Signal an die Gesellschaft"

    Die Kuratoren bekommen Rückenwind. Für Beate Sträter vom Dachverband der Interkulturellen Wochen sendet der Abbau der Bildtafeln das "fatale Signal an die Gesellschaft, dass man die Sorgen und Nöte der Geflüchteten nicht sehen möchte. Stattdessen haben sie dankbar und ansonsten still zu sein." Beate Sträter versteht den Abbau aber auch aus anderer Perspektive nicht.
    Die Äußerungen zeigten doch, "dass eine Flüchtlingsunterkunft eben kein Hotel mit Vollpension ist - eine Erkenntnis, die auch zu einem besseren Verständnis führen kann". Zudem hätten viele Geflüchtete auch ihre Dankbarkeit für die Aufnahme in Deutschland zum Ausdruck gebracht. Der Dachverband fordert Pirna auf, die Entscheidung zurückzunehmen und anhand der Ausstellung auch den Austausch mit Geflüchteten zu suchen.
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    Das würde Sozialministerin Petra Köpping begrüßen. Die SPD-Politikerin zeigt sich wegen der Absage "entsetzt". "An vielen Orten in Sachsen wurde die Ausstellung bereits gezeigt und stieß immer auf Interesse. Aber nur in Pirna 'polarisieren' die Aussagen der Geflüchteten."

    Für eine gelingende Integration müssen wir uns mit der Lebenswirklichkeit der Geflüchteten auseinandersetzen.

    Sozialministerin Petra Köpping, SPD

    Amt will für etwaige Schäden aufkommen

    Ob es dazu kommt? Die Geschichte ist möglicherweise noch nicht zu Ende erzählt. Ein Satz im Schreiben des Landratsamts an die beiden Ausstellungsmacher lässt noch aufmerken. "Für Schäden", schreibt das Landratsamt, "die durch das Abnehmen entstanden sein sollten, kommen wir selbstverständlich auf." Eine Antwort auf unsere Anfrage, ob denn "beim Abnehmen" im Landratsamt "Schäden" entstanden seien - steht noch aus.

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