Polen bestätigt Berichte:Anschläge auf Nord Stream: Erster Haftbefehl
von Oliver Klein und Julia Klaus
|
Erstmals nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines vor zwei Jahren gibt es einen Haftbefehl. Die Ermittler verdächtigen einen Ukrainer, einer der Taucher gewesen zu sein.
2022 waren Leitungen der Nord-Stream-Pipelines gesprengt worden. Nun gibt es erstmals einen Haftbefehl - gegen einen Ukrainer. Der Verdächtige soll einer der Taucher gewesen sein.14.08.2024 | 2:39 min
Im Fall der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee vor fast zwei Jahren gibt es nun einen Europäischen Haftbefehl. Die polnische Staatsanwaltschaft bestätigte, dass sie von der Bundesanwaltschaft den Auftrag zur Festnahme eines Verdächtigen erhalten habe. Das sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft in Warschau. Zuvor hatten mehrere Medien darüber berichtet.
Wen verdächtigen die Behörden? Wie ist der Stand der Ermittlungen? ZDFheute mit einem Überblick.
Wer ist der Verdächtige?
Der Verdacht fällt laut der polnischen Staatsanwaltschaft auf den Ukrainer Wolodymyr Z.. Er lebte nach Informationen von ZDFheute ab Anfang 2022 offenbar mit seiner Familie in Warschau, wie eine Online-Biografie seiner Frau nahelegt. Z. ist Tauchlehrer, arbeitete für eine Tauschule in Kiew. Auf Anfrage von ZDFheute teilte die polnische Staatsanwaltschaft mit, dass der Europäische Haftbefehl bereits im Juni beantragt wurde. "Die polnische Staatsanwaltschaft unternahm Schritte, um den Aufenthaltsort der genannten Person in Polen zu ermitteln", hieß es.
Z. habe jedoch nicht verhaftet werden können, da er sich Anfang Juli in Richtung Ukraine abgesetzt hätte. Der polnische Grenzschutz hätte zu diesem Zeitpunkt "keine Informationen und Grundlagen für die Festnahme von Wolodymyr Z." gehabt. Der Verdächtige sei da noch nicht in der Datenbank von Gesuchten gewesen.
Die ganze Welt fragt sich: Wer hat die Nord-Stream-Pipelines gesprengt? War es die Ukraine? Antworten im Faktencheck.18.03.2024 | 18:43 min
In einem Telefonat mit Medien zeigte sich der Mann überrascht von dem Vorwurf und bestritt, an dem Vorfall beteiligt gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft wollte sich auf Anfrage zunächst nicht äußern.
Die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 wurden am 26. September 2022 durch mehrere Sprengungen beschädigt und unterbrochen. Die Explosionen wurden in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert und wenig später vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen der Nord-Stream-Pipelines entdeckt.
Durch Nord Stream 1 war zuletzt jedoch ohnenhin kein Gas mehr geflossen: Russland hatte die Lieferung eingestellt, mit Verweis auf technische Probleme und westliche Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Nord Stream 2 war wegen der politischen Streitigkeiten noch nicht in Betrieb.
Gibt es weitere Verdächtige?
Nach Recherchen mehrerer Medien stehen auch zwei weitere ukrainische Staatsangehörige unter Verdacht, an der Sabotage beteiligt gewesen zu sein, darunter eine Frau. Sie arbeitet in einer Tauchschule, in der auch der Verdächtige als Tauchlehrer beschäftigt war. Gegen sie liegt aber kein Haftbefehl vor.
Gegenüber ZDF Frontal beteuert sie schriftlich: "Ich habe nichts mit den Nordstream-Explosionen zu tun." Vom 2. September 2022 bis April 2023 sei sie in Kiew in der Ukraine gewesen. Über Wolodymyr Z. schreibt sie:
Ob ihr Freund Z. etwas mit der Sabotage zu tun hat, wisse sie nicht.
Wie ist der Stand der Ermittlungen?
Die Behörden mehrerer Länder nahmen Ermittlungen in dem Fall auf. Dänemark und Schweden stellten die Verfahren inzwischen allerdings ein, nur noch Deutschland ermittelt.
Lange war unklar, wer hinter den Sprengstoff-Anschlägen auf die Nord-Stream-Piplines steht. In Schweden wurden die Ermittlungen eingestellt – Henner Hebestreit berichtete.07.02.2024 | 1:12 min
Bisherige Ermittlungen hatten eine Segeljacht im Visier gehabt, auf der im Juli 2023 Sprengstoffspuren entdeckt wurden. Es wurde vermutet, dass die "Andromeda" möglicherweise zum Transport des Sprengstoffs für die Sabotage zum Einsatz kam.
Die Ermittler gehen offenbar davon aus, dass das Sabotage-Kommando an Bord des Bootes mutmaßlich aus fünf Männern und einer Frau bestand. Die Anmietung soll die Gruppe unter Vorlage gefälschter Papiere vollzogen haben. Die nun veröffentlichten Informationen stützen sich den jetzt veröffentlichten Berichten zufolge auch auf "Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes".
Wer steckt hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines? Für deutsche Ermittler verdichten sich die Spuren in Richtung Ukraine - eine Spurensuche auf der Ostsee.25.08.2023 | 36:08 min
Wie reagiert die Bundesregierung?
Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, betonte auf Nachfrage von Journalisten in Berlin, die Ermittlungen hätten keinen Einfluss darauf, ob und in welchem Umfang Deutschland die Ukraine auch in Zukunft unterstützen werde. Denn sie änderten "nichts an der Tatsache, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt", fügte er hinzu.
Ralf Stegner (SPD), Geheimdienst-Kontrolleur im Parlamentarischen Kontrollgremium, zeigte sich gegenüber ZDFheute erfreut über den Haftbefehl:
Mit Blick auf Polen sagte Stegner, er habe den Eindruck gehabt, dass die Nordstream-Sprengungen in Polen "mitunter als heroischer Akt gesehen" worden sei. "Die vorige polnische Regierung schien zudem kein großes Interesse an Aufklärung zu haben."
Der Grünen-Geheimdienstexperte Konstantin von Notz warnte vor voreiligen Schlüssen. Gegenüber den Funke-Zeitungen begrüßte er den Ermittlungsfortschritt, fügte aber hinzu: "Wir sind jedoch lange davon entfernt, die gesamte Geschichte zu verstehen, denn bei der Beteiligung von staatlichen beziehungsweise quasistaatlichen Akteuren sind solche Ermittlungen maximal schwierig."