Montagsdemos und Energiekrise: Kommt der Protest-Herbst?

    Montagsdemos und Energiekrise:Wird es einen Protest-Herbst geben?

    von Julia Klaus
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    Der Ostbeauftragte der Linkspartei ruft zu Montagsdemos gegen steigende Energiepreise auf. Die werden derzeit jedoch von Corona-Kritikern besetzt. Kommt der Herbst der Proteste?

    Archiv: Polizeibeamte versperren den Teilnehmern an der "Friedenswanderung" in Magdeburg den Weg. Aufgenommen am 08.01.2022
    Polizisten versperren den Teilnehmern einer Demo in Magdeburg den Weg (Foto vom Januar 2022).
    Quelle: picture alliance / dpa / Paul Zinken

    2,419 Cent - das war der Auslöser für Sören Pellmann. Kaum war die Höhe der Gasumlage verkündet, warb der Linken-Politiker für "neue, lautstarke Montagsdemos". Der Leipziger Bundestagsabgeordnete, der auch Ostbeauftragter seiner Partei ist, weiß genau, woran er da anknüpft: Die Geschichte der Montagsdemos begann mit der friedlichen Revolution in der DDR. Es folgten 2004 Proteste gegen Hartz IV, ab 2014 die migrationsfeindlichen Pegida-Aufmärsche und nun die montäglichen Corona-Demos.
    Pellmann begründet seine Initiative gegenüber ZDFheute so:

    Im 'heißen Herbst' müssen wir gemeinsam mit allen Demokratinnen und Demokraten in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis auf die Straße gehen. (...) Das tun wir am besten an jedem einzelnen Wochentag - gern auch an den Montagen.

    Sören Pellmann, die Linke

    Tweet von Sören Pellmann
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    Pellmann weiß: Derzeit werden die Montagsdemos vor allem von Querdenkern besetzt. Sein Parteifreund, der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, warnte vor einer Nähe zu Rechtsextremen bei Montagsdemos. Dennoch peilt Pellmann einen Demo-Auftakt für den 5. September in Leipzig an - unterstützt von Parteichefin Janine Wissler.

    Was braut sich da zusammen?

    Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, damit zusammenhängend die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise - das sind gleich drei Krisen und Belastungen, die im Herbst noch drängender werden könnten.
    Der Bundesverfassungsschutz sieht zwar "keine Anzeichen für flächendeckende staatsfeindliche Proteste oder gar gewalttätige Massenkrawalle". Doch ostdeutsche Landesämter zeigen sich besorgt: In Brandenburg fürchtet man einen "Wut-Winter". Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident warnte im Gespräch mit ZDFheute gar vor einer "explosiven Stimmung, die leicht eskalieren könnte".
    Der Protestforscher Edgar Grande ist etwas vorsichtiger. Ob es ein Herbst mit flächendeckenden Protesten werde, hänge von mehreren Faktoren ab. Er sieht drei mögliche Protest-Treiber:
    • etablierte Oppositionsparteien wie die Linke und die AfD,
    • extreme Gruppierungen und Kleinstparteien wie die "Freien Sachsen" in Ostdeutschland,
    • neue Netzwerke, die sich insbesondere im Zuge des Corona-Protests gebildet haben.

    Je wirksamer die Treiber werden, desto breiter kann der Protest in der Fläche werden. Es könnte sich aber auch ein ostdeutscher Protest entwickeln, denn hier sehe ich die meisten Mobilisierungsversuche.

    Edgar Grande, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

    Grande verweist auch auf eine Zahl, die er und sein Team in einer noch unveröffentlichten Umfrage ermittelt haben: 22 Prozent gaben an, dass sie keinerlei Vertrauen in die Bundesregierung haben. Dort liege enormes Mobilisierungspotenzial, so der Forscher.

    Ostdeutschland: Freie Sachsen loben Pellmann

    "In Ostdeutschland und speziell in Sachsen sitzt ein Protest-Nukleus", sagt der Rechtsextremismus-Experte David Begrich.

    Aus der Forschung wissen wir, dass Ostdeutsche ihre Meinung eher auf der Straße kundtun. In Westdeutschland wird sie mehr in gesellschaftlichen Großorganisationen kanalisiert.

    David Begrich, Rechtsextremismus-Experte beim Verein Miteinander e.V.

    Erwartet uns also ein ostdeutscher Protest-Herbst? Auch Begrich kann das nicht mit Sicherheit sagen. Doch: "Das Potenzial ist besonders in Ostdeutschland vorhanden."
    Im Zuge der Corona-Proteste hat sich im Osten die Kleinstpartei "Freie Sachsen" herausgebildet, die mittlerweile vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird. Laut einem am Mittwoch veröffentlichten Papier beobachtet das Amt bei der Regionalpartei derzeit eine "Kursverschiebung": Neben der Corona-Kritik rückten soziale Fragen in den Vordergrund.
    Dazu passt auch, dass die Freien Sachsen den Ostbeauftragten Pellmann im Messenger Telegram als "mutigen Abgeordneten der Linken" loben.
    Auch Teile der AfD möchten angesichts steigender Energiepreise mobilisieren. So ruft die Landtagsfraktion in Magdeburg zu einer Montagsdemo auf - ebenfalls am 5. September. Das Thema: "Preisexplosion stoppen". Begrich glaubt, dass dies ein Testballon sein könnte:

    Die Sommerferien sind dann vorbei - man will schauen, wie viele Menschen sich zu der Montagsdemo mobilisieren lassen.

    David Begrich, Rechtsextremismus-Experte beim Verein Miteinander e.V.

    Was ist legitimer Protest - und was nicht?

    Der Krieg, die finanzielle Belastung, die Corona-Zahlen - das alles könne Angst auslösen, so Forscher Grande. "Es ist völlig legitim, Sorgen als Protest zu verbalisieren", sagt er.

    Wenn sich Protest aber radikalisiert - etwa Politiker bedroht werden oder es Anschläge auf Gasspeicher gibt - dann ist es kein legitimer Protest mehr.

    Edgar Grande, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

    Eine Radikalisierung findet oft online statt, weiß der Datenanalyst Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Besonders unreguliert ist der Messenger Telegram, auf dem viele Verschwörungserzählungen ungehindert verbreitet werden. Holnburger beobachtet schon länger, wie dort die Energiekrise diskutiert wird.

    Es gibt sogenannte Akzelerationalisten - das sind Personen, die durch Krieg und Krisen eine Gesellschaft destabilisieren wollen, weil sie sich einen Umsturz erhoffen.

    Josef Holnburger, Datenanalyst Cemas

    Folgt auf einen protestreichen Herbst auch ein protestreicher Winter? Und findet der in der Fläche statt oder mit ostdeutschem Zentrum? "Das hängt auch davon ab, wie die Politik die Sorgen aufnimmt und mit welchen Maßnahmen sie gegensteuert", ist Protestforscher Grande sicher.

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