Angriffe steigen an:Experte zu Messergewalt: Prävention stärken
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Fälle von Messergewalt nehmen zu. Doch was kann dagegen unternommen werden: Schärfere Waffengesetze, Verbotszonen oder was wäre sinnvoll? Antworten von dem Kriminologen Dirk Baier.
Innenministerin Faeser plant als Reaktion auf steigende Messergewalt eine Verschärfung des Waffenrechts und Umgangsverbote.11.08.2024 | 1:36 min
Die Zahl der Messerangriffe in Deutschland steigt an - und damit auch der Druck auf die Politik, eine passende Antwort auf diese Art der Gewalt in der Gesellschaft zu finden. So zeigt der Blick auf die Zahlen:
Allein im vergangenen Jahr kam es laut Polizeistatistik zu 8.951 Messerangriffen im Zusammenhang mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Ein Jahr zuvor waren es noch 8.160 Fälle. Zählt man Raubdelikte mit Messer hinzu, stehen für das Jahr 2023 unter dem Strich 13.844 Messerangriffe.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will den "Umgang mit Messern im öffentlichen Raum" daher nun einschränken. Und Kommunen sollen mehr Waffenverbotszonen einführen.
Quelle: phoenix
Messer sollen nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs statt bisher zwölf Zentimetern in der Öffentlichkeit mit sich geführt werden dürfen
Ausnahmen: etwa für Haushaltsmesser in geschlossenen Behältnissen nach dem Kauf
Gefährliche Springmesser sollen mit einem Umgangsverbot belegt werden
Kommunen sollen mehr Waffenverbotszonen verhängen
Der Kriminologe Dirk Baier von der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften forscht zu Messerattacken. Er erklärt mögliche Ursachen für den Anstieg der Fälle, was Täter gemeinsam haben und wo er Lösungsansätze sieht.
ZDFheute: Wieso nehmen die Fälle von Messergewalt zu?
Dirk Baier: Wir haben generell eine Zunahme von Gewaltkriminalität in der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Zunahme von Messerkriminalität ist im Prinzip Teil dieses Problems, doch derzeit haben wir noch keine griffige Erklärung dafür.
Eine könnte sein, dass soziale Ungleichheit wieder zunimmt: Das Leben ist teurer geworden.
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Als zweite Sache sehen wir, dass sogenannte Männlichkeitsorientierungen wieder zunehmen. Gerade junge Männer sind wieder eher der Meinung, sie müssen Stärke zeigen und andere einschüchtern - da ist ein Messer ein willkommenes Instrument.
Aus Befragungen wissen wir, bis zu jeder dritte männliche Jugendliche führt schon mal ein Messer mit sich. Und das Problem ist: Man kommt recht einfach ran.
Quelle: ZDF
... leitet das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Dieses befasst sich unter anderem mit den Fragen, wieso Menschen Straftaten begehen und wie Gesellschaft und Staat auf die Verbrechen reagieren. Zudem ist Dirk Baier Professor für Kriminologie an der Universität Zürich.
ZDFheute: Vor allem Fälle von Tätern mit ausländischen Wurzeln erhitzen die Gemüter. Aus Ihrer Sicht ist es jedoch nicht hilfreich, die Täter mit ihrer Staatsangehörigkeit in Verbindung zu bringen. Was verbindet sie stattdessen?
Baier: Das sind einerseits gewöhnlich Personen, die schlechter integriert sind, also die beispielsweise keine Berufstätigkeit oder keine Schulabschlüsse haben.
Sie sind zum Teil in großen Asylbewerberheimen untergebracht, wo man in Enge zusammenlebt, wo man auch sonst keine großen Perspektiven hat in der deutschen Gesellschaft.
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Und andererseits sind das diese Überzeugungen, dass ich als Mann zeigen muss, dass ich dominant und wehrhaft bin.
ZDFheute: In Stuttgart wird diskutiert, Waffenverbotszonen auszuweiten und anlasslose Kontrollen durchführen zu dürfen. Ist das ein Gegenmittel?
Baier: Temporär ist es, denke ich, fast alternativlos.
Man sagt: 'Bis hier und nicht weiter, wir nehmen das ernst und wir führen solche Verbotszonen ein.'
Deutsche Städte mit dauerhaften Waffenverbotszonen
ZDFheute Infografik
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Bundeskanzler Olaf Scholz fordert, Kriminalität verstärkt mit Waffenverbotszonen zu bekämpfen. Mehrere Städte haben solche Zonen bereits eingerichtet.
von Torben Heine und Jan Schneider
mit Video
ZDFheute: Auch konsequentere Abschiebungen in Fällen, wo dies möglich wäre, stehen im Raum. Könnten diese abschreckend wirken?
Baier: Wir wissen, dass Abschreckung grundsätzlich ein Prinzip ist, was wenig hilfreich ist, um Straftaten zu verhindern:
Ich denke, es ist notwendig, grundsätzlich über Maßnahmen nachzudenken, weil wir zurzeit auch in der Wissenschaft tatsächlich noch keine wirksame Maßnahme gegen Messerkriminalität haben.
Ich glaube nur, dass wir am Ende sehr sachlich draufschauen müssen und gucken, dass dieser Abschiebevorschlag nur für eine ganz kleine Gruppe an Tätern überhaupt relevant ist.
ZDFheute: Statt nach Abschreckung zu rufen: Wiekönnte stattdessen eine sinnvolle Prävention für Jugendliche aussehen?
Baier: Wichtig ist, den Zugang zu Messern zu verhindern. Also schärfere Kontrollen der Vertriebswege, beispielsweise über Internet.
Und zweitens braucht es weiterhin und vielleicht wieder intensivierter nach Corona, dass die Schulen Grundkompetenzen des Zusammenlebens vermitteln.
Also solche Dinge, von denen wir wissen, dass sie grundsätzlich Gewalt und Kriminalität verhindern und damit natürlich auch Messergewalt und Messerkriminalität.
Das Interview führte Jan-Frederik Fischer, Reporter im ZDF-Landesstudio Stuttgart.