Kreml-Leaks: Wie Putin die Russland-Wahl manipuliert

    Exklusiv

    Neues Leak aus dem Kreml:"Informationskrieg" für Putins Wiederwahl

    von C. Huppertz, J. Halbe, E. Simantke und J. Bartz
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    Interne Dokumente zeigen, wie der Kreml Wladimir Putins Wiederwahl sicherstellen will. Im Fokus: ein "Informationskrieg" und die "patriotische Erziehung" in den besetzten Gebieten.

    Putin, Überwachungsstaat
    Wenn am 17. März 2024 in Russland die Präsidentschaftswahl stattfindet, soll um die erwartete Wiederwahl von Wladimir Putin möglichst wenig dem Zufall überlassen werden.27.02.2024 | 9:45 min
    Wenn Mitte März in Russland die Präsidentschaftswahlen stattfinden, soll rund um Wladimir Putins erwartete fünfte Wiederwahl möglichst wenig dem Zufall überlassen werden. Das belegen interne Unterlagen aus der russischen Präsidialverwaltung, die ZDF frontal und dem "Spiegel" vorliegen.
    Demnach investiert die Regierung hunderte Millionen, um Putins Wahlsieg sicherzustellen. Insbesondere soll die Bevölkerung in den besetzten Gebieten beeinflusst und kontrolliert werden.
    Boris Nadeschdin
    Mitte März findet in Russland die nächste Präsidentschaftswahl statt. Die Wahlkommission hat die Kandidatur von Boris Nadeschdin aber abgewiesen. 08.02.2024 | 1:08 min

    Prioritäten: Wahlen, Info-Krieg, besetzte Gebiete

    Das Kreml-Leak - Budgets, Exceltabellen, Strategiepapiere und Präsentationen - reicht von 2020 bis Dezember 2023. Die Dokumente stammen direkt aus der Präsidialverwaltung, aus dem Verantwortungsbereich von Sergej Kirijenko.
    Kirijenko ist stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung und verantwortlich für Putins Innenpolitik. Er gilt als Strippenzieher hinter Putins Wiederwahl 2018 und als dessen enger Vertrauter. Die Dokumente aus dem Leak wurden der estnischen Plattform "Delfi" zugespielt, die sie mit dem ZDF, dem "Spiegel" und anderen Medien teilte und gemeinsam auswertete.
    In einer Art Nachtragshaushalt benennt der Kreml drei Bereiche, die für 2024 Priorität haben sollen: "Präsidentschaftswahlen", "Informations- und Ideologiekrieg" sowie "Neue Regionen". Letzteres ist Kremlsprech für besetztes ukrainisches Gebiet. Die anstehende Wahl ist die erste, bei der auch dort der russische Präsident gewählt werden soll.

    Präzise zugeschnittene Propaganda für die Wahl

    Im Zentrum der Planungen stehen vermeintlich unabhängige Organisationen, die tatsächlich aber mit Unterstützung des Kremls gegründet und finanziert sind. Eine ist das "Institut für Internetentwicklung", kurz IRI. Seit 2020 koordiniert es auf Anweisungen aus Moskau die Produktion von "Inhalten zur geistigen und moralischen Bildung junger Menschen". Seitdem hat sich das Budget versiebenfacht. Der IRI-Direktor spricht offen darüber, dass die Gelder zur Finanzierung "nationaler Inhalte" bereitgestellt würden.
    Das ist dem Kreml laut den geleakten Dokumenten einiges wert: IRI erhält für das Jahr 2024 umgerechnet 179 Millionen Euro. Es ist der mit Abstand größte Posten in dem an erster Stelle priorisierten Projekt "Wahlen" - mehr als ein Drittel des für den Bereich vorgesehenen Gesamtbudgets von etwa 434 Millionen Euro. Geld, das auch in präzise zugeschnittene Propaganda für die Präsidentschaftswahl fließt.
    Jungendliche in der Kleidung von Kriegsveteranen des Zweiten Weltkriegs
    Geheim in Russland: Wer russischer Propaganda nicht folgt, wird zum Staatsfeind erklärt.07.06.2023 | 18:21 min

    Experte: Manipulation vor den Wahlen

    Den zweiten priorisierten Bereich hat Putins Präsidialverwaltung mit "Informations- und Ideologiekrieg" überschrieben. Auch hier werden laut Leak an Putin-treue Organisationen Millionen für den Wahlkampf verteilt. Der größte Posten - mehr als 69 Millionen Euro in 2024 - geht an "Dialog Regionen". Laut Leak sollen mit dem Geld sogenannte "Regionale Verwaltungszentren" in den besetzten Gebieten aufgebaut werden.
    Die Vorgabe aus dem Kreml: "gezielte Werbung" und "wichtige analytische Produkte für die Wahlvorbereitung", so eine interne Notiz. Weder der Kreml noch die Organisationen haben auf Anfragen reagiert.
    "In gewisser Weise wird versucht, die Wahlmanipulation an den Wahltagen zu minimieren, durch etwas, was man als Vorabmanipulation bezeichnen könnte", kommentiert Historiker und Russland-Experte Mark Galeotti die Recherchen.
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    Die geheimen Waffen russischer Cyberkrieger 11.05.2023 | 28:55 min

    Deutscher Regisseur als "Meinungsführer" gelistet

    Im Leak taucht auch ein deutscher Name auf: Der Regisseur Wilhelm Domke-Schulz wird in einer internen PowerPoint-Präsentation als beispielhafter "Meinungsführer" eingeschätzt. Das Dokument beschreibt, wie solche "Meinungsführer" bei der Produktion von "emotionalen Inhalten" unterstützt werden sollen und wie ihre Reichweite in sozialen Netzwerken vergrößert werden kann.
    Regisseur Domke-Schulz, bis 2015 für den MDR tätig, ließ sich 2022 für den Telegram-Kanal Lomovka auf der annektierten Krim interviewen. Den gut 200.000 Abonnenten des Kanals erzählte er, in Deutschland würden Russen terrorisiert, Ukrainer bezeichnete er als "Faschisten". Domke-Schulz antwortete auf Anfrage, er wisse weder von der Präsentation, noch kenne er die entsprechende Organisation oder den Telegram-Kanal, auf dem das Interview mit ihm erschienen ist.




    Besetzte Gebiete im Fokus

    Die dritte Priorität für Putins Wahljahr 2024 sieht die Präsidialverwaltung in den besetzten Gebieten in der Ostukraine. Dort wollen die Kremlstrategen vor allem auf die Jugend Einfluss nehmen. Das Leak listet auffallend viele Geldtöpfe für Jugendzentren, Stipendien und Organisationen auf, die Jugendlichen "patriotische Erziehung" oder sogar militärische Fähigkeiten vermitteln sollen.
    Montage: Kinder werden an Waffen ausgebildet
    Schon Kinder in Russland werden für den Krieg gedrillt.25.07.2023 | 19:05 min
    Bis Ende 2025 sollen etwa 20 Prozent der jungen Leute zwischen 14 und 25 aus den besetzten Gebieten an einem Projekt von "Russland - Land der Möglichkeiten" teilnehmen, so die Vorgabe.

    Überwachung von Millionen Social-Media Profilen

    "Es geht im Grunde darum, alle Erinnerung an die Ukraine, das Ukrainisch-Sein, die ukrainische Geschichte zu verdrängen. Und hier will man in kürzester Zeit sicherstellen, dass die Verbindungen und auch die Erinnerung an die Ukraine gekappt werden", erklärt Osteuropa-Expertin Gwendolyn Sasse vom Berliner Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien.
    In den Dokumenten findet sich ein weiterer Beleg solch totalitärer Pläne: In den besetzten Gebieten soll eine Software zum Einsatz kommen, mit deren Hilfe - so heißt es zumindest in den vorliegenden Dokumenten - dort mindestens 85 Prozent der Social Media Profile überwacht werden sollen, "um über aufkommende Bedrohungen und neue destruktive Erscheinungen zu informieren".
    Glaubt man dem Dokument, kann das Programm bereits jetzt mehr als 50 Millionen Profile in sozialen Netzwerken kontinuierlich überwachen, das wäre etwa jeder dritte Russe.
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    Unter dem Druck Putins sind westliche Werte in der russischen Gesellschaft weitgehend verdrängt worden. Trotzdem gibt es noch mutige Menschen, die sich dagegen auflehnen.21.02.2024 | 11:32 min

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