Urteil aus Straßburg erwartet:Klimaschutz als Menschenrecht?
von Jan Henrich und Sebastian Langer
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Jugendliche aus Portugal und Seniorinnen aus der Schweiz hatten für mehr Klimaschutz geklagt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte will heute entscheiden.
Aktivisten meinen schon länger: "Klimaschutz ist Menschenrecht". Jetzt entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Archivbild).
Quelle: imago
Mehrere Klimaklagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zusammengefasst, heute sollen die Urteile verkündet werden. Im Mittelpunkt steht dabei für das Gericht erstmalig die Frage: Bedeutet ein mangelnder Klimaschutz auch gleichzeitig eine Verletzung von Menschenrechten? Das Urteil könnte eine weitreichende Signalwirkung haben.
Seniorinnen fordern Überprüfung der Klimapolitik
Konkret geht es um drei Verfahren, die in Straßburg im vergangenen Jahr verhandelt wurden. Unter anderem hatte eine Gruppe Seniorinnen aus der Schweiz geklagt.
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Sie sehen ihr Recht auf Leben und ihr Recht auf Privat- und Familienleben durch die Klimaschutzpolitik ihres Landes verletzt. Die Schweiz würde nicht genug unternehmen, um klimaschädliche Emissionen einzudämmen.
Die Seniorinnen seien davon unmittelbar betroffen, so ihre Argumentation. Denn häufigere Hitzewellen würden sich insbesondere negativ auf die Gesundheit von älteren Frauen auswirken. Vor Schweizer Gerichten hatte die Gruppe zuvor mit ihrer Klage keinen Erfolg.
Portugiesische Jugendliche klagen gegen 32 Staaten
Auch sechs portugiesische Jugendliche im Alter zwischen 11 und 24 Jahren waren mit ihrem Anliegen nach Straßburg gezogen.
Ihre Klage richtet sich gleichzeitig gegen alle Mitgliedstaaten der EU sowie gegen Norwegen, Russland, die Schweiz, die Türkei und das Vereinigte Königreich. Ein Auslöser für ihre Klage seien die schweren Waldbrände in Portugal 2017 gewesen.
Sie argumentieren, der Klimawandel habe bereits heute schädliche Auswirkungen auf ihre körperliche und geistige Gesundheit. Dadurch seien sie in ihren Menschenrechten verletzt.
Beide Gruppen werden bei den Verfahren von namhaften Organisationen unterstützt, unter anderem Greenpeace und dem Global Legal Action Network.
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Mehrere rechtliche Fragen sind offen
Mit den Verfahren betritt der EGMR Neuland und steht erstmals vor der Frage, ob es ein Menschenrecht auf Klimaschutz gibt. Sollte der Gerichtshof die Frage bejahen, würde das eine Grundsatzentscheidung darstellen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit seinen 46 Mitgliedstaaten urteilt über Beschwerden, die sich auf Verletzungen der in der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte beziehen. Die Entscheidungen sind offiziell bindend, auch wenn die Durchsetzung der Urteile in den jeweiligen Ländern unterschiedlich gehandhabt wird. Im Normalfall stellt der Gerichtshof in seinen Urteilen fest, ob eine Menschenrechtsverletzung vorliegt und gibt den Staaten auf, diese zu beheben. Zusätzlich kann den betroffenen Personen auch ein Schadensersatz zugesprochen werden.
Der Ausgang der Verfahren ist allerdings offen. Es gibt mehrere rechtliche Hürden, an denen die Beschwerden scheitern könnten, ohne dass der Gerichtshof in der Sache entscheidet. Im Falle der portugiesischen Klimaklage besteht beispielsweise die Problematik, dass diese unmittelbar beim EGMR erhoben wurde, ohne dass zuvor, wie grundsätzlich vorausgesetzt, die nationalen Gerichte angerufen wurden.
Klimaklagen häufen sich
Gerichtsverfahren zur Klimapolitik hatten sich in den vergangenen Jahren gehäuft. Den Stein ins Rollen brachte ein Urteil des Bezirksgerichts in Den Haag im Juni 2015, mit dem die Regierung der Niederlande zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen verpflichtet wurde. Im Mai 2021 verurteilte ein niederländisches Gericht Europas größten Ölkonzern Shell, seine Treibhausgasemissionen erheblich zu senken. Ähnliche Urteile gibt es mittlerweile auch in Belgien.
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In Deutschland sorgte das Bundesverfassungsgericht im April 2021 mit seinem Klimabeschluss für Aufsehen. Das damalige Klimaschutzgesetz des Bundes wurde für teilweise verfassungswidrig erklärt, weil dieses klimapolitische Lasten zu stark auf künftige Generationen abgewälzt hatte.
Aktuell befasst sich das Bundesverwaltungsgericht mit einer Klage, die darauf abzielt, die Bundesregierung zu verpflichten, ein Sofortprogramm zum Klimaschutz aufzustellen.
Jan Henrich und Sebastian Langer sind Redakteure in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.