EU-Grenzkontrollen trotz Schengen: "Grenzen in den Köpfen"
Interview
Luxemburgs Innenminister Gloden:Kontrollen führen zu "Grenzen in den Köpfen"
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Deutschland kontrolliert verstärkt seine Grenzen - Luxemburgs Innenminister warnt vor Vertrauensverlust. Er will zum Schengen-Jubiläum keine Trauerfeier, sondern eine "Big Party".
Debatte über Grenzpolitik im Schengen-Raum: Innenministerin Nancy Faeser und Luxemburgs Innenminister Léon Gloden im Dezember 2024.
Quelle: picture alliance/dpa
In diesem Jahr feiert der Schengener Vertrag seinen 40. Geburtstag. Doch das Jubiläum ist überschattet von der Debatte über die zeitlich befristeten Grenzkontrollen, die Deutschland im vergangenen Jahr eingeführt hat. Bis zum Inkrafttreten des Asyl- und Migrationspakets der EU 2026 will Bundesinneministerin Nancy Faeser die Grenzkontrollen verlängern.
Auch in mehreren anderen Ländern wird kontrolliert. Protest kommt aus Luxemburg - das Land lehnt die Kontrollen im Schengen-Raum strikt ab. Innenminister Léon Gloden warnt im ZDFheute-Interview, dass diese Grenzpolitik für "neue Grenzen in den Köpfen" sorgen werde.
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ZDFheute: Wie ist Ihre Zwischenbilanz zu den Grenzkontrollen?
Léon Gloden: Es ist eine Frage des Vertrauens in den Schengen-Raum, auch in Europa. Das Vertrauen hat gelitten. Schengen ist eine der größten Errungenschaften, die wir haben.
Deshalb ist Luxemburg gegen diese Grenzkontrollen. Wir sind für Kontrollen an den Außengrenzen von Europa, aber nicht im Schengen-Raum. Wir sind die Großregion. Wir sind das kleine Europa in Europa. Jeden Tag kommen über 225.000 Pendler nach Luxemburg arbeiten. Allein aus Deutschland fast 55.000.
ZDFheute: Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, dass sie die Kontrollen verlängern will.
Gloden: Jetzt schon anzukündigen, dass man diese Grenzkontrollen verlängern wird, das führe ich auf den Wahlkampf zurück, der in Deutschland stattfindet. Das luxemburgische Parlament hat uns aufgefordert, Einspruch bei der Kommission einzulegen, sollte es zu einem offiziellen Antrag der Bundesrepublik kommen. Und das werden wir auch tun.
Der Kodex sieht vor, dass man entweder wegen Kriminalität oder anderen größeren Ereignissen Grenzkontrollen theoretisch einführen kann. Dann muss man aber den Beweis bringen, dass man sonst alles gemacht hat und es zu keinem Resultat führte.
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Die Maßnahmen müssen proportional sein. Ich glaube, dass die Verbindung, die die Bundesrepublik zwischen illegaler Immigration und Kriminalität herstellt, juristisch auf wackeligen Füßen steht.
ZDFheute: Deutschland verweist auf Erfolge im Bereich Schlepper, Straftäter, illegale Einwanderung etc. ist es da nicht nachvollziehbar, dass man weiter kontrollieren will?
Gloden: Natürlich müssen wir die illegale Immigration bekämpfen. Wir unterstützen alle Maßnahmen, die an den Außengrenzen Europas stattfinden. Aber wir sollten auch alle Mittel nutzen, die heute bestehen.
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All diese Computersysteme, wie RCS Schengen, Visa Schengen, Entry Exit System. Luxemburg ist da Musterschüler, viele andere Länder sind noch nicht so weit.
Ich habe das immer wieder auch in Brüssel gefordert. Dort sind wir dabei, den Asyl- und Immigrationspakt umzusetzen. Da werden Verschärfungen stattfinden.
ZDFheute: Warum ist es für Luxemburg so wichtig, dass die Grenzen offenbleiben?
Gloden: Für uns ist das eine essenzielle Frage. Wir haben zwar keinen Einbruch bei den Lieferketten und so weiter, aber es ist auch ein Problem der Work-Life-Balance der 250.000 Pendler. Die stehen länger im Stau, und es gibt immer noch Debatten über Homeoffice und Überstunden, die sie in Deutschland versteuern müssen. Das kommt alles zusammen.
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Wenn der Pendler am Ende des Tages zu der Schlussfolgerung kommt: 'Auch wenn ich vielleicht ein paar hundert Euro mehr verdiene, aber meine Lebensqualität leidet', dann stellt er sich zweimal die Frage, ob er nach Luxemburg arbeiten kommt.
ZDFheute: Rechtsnationale Parteien gewinnen an Terrain, zuletzt in Österreich - es gibt nicht mehr so viele Länder in der EU, die das so sehen wie Sie.
Gloden: Luxemburg hat nicht viele Freunde auf diesem Parkett, das stimmt, aber wir werden uns immer wieder dafür einsetzen, auch wenn es alleine sein muss.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass die 40-Jahre-Schengen-Feier dieses Jahr eine Trauerfeier wird, das muss eine Big Party werden.
Das Interview führte Susanne Freitag-Carteron, Leiterin des ZDF-Landesstudios Saarland.