Migrationsdebatte: Zurückweisung an der Grenze legal?

    FAQ

    Landesweite Grenzkontrollen:Ist die Zurückweisung an der Grenze legal?

    von Marie-Julie May
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    Innenministerin Nancy Faeser hat vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet. Was ist rechtlich möglich? Und wie reagieren die Nachbarländer? Ein Überblick.

    Ein Bundespolizist hält auf der A64 mit einer Kelle einen Reisebus an.
    Ein Bundespolizist kontrolliert an der A64.
    Quelle: dpa/Harald Tittel

    Seit dem islamistisch motivierten Anschlag in Solingen im August wird wieder hitzig über die Asylpolitik in Deutschland gestritten. Die Union hat von der Bundesregierung wiederholt Zurückweisungen von Geflüchteten an den deutschen Grenzen verlangt. Ein Migrationstreffen zwischen Regierung und Opposition blieb ohne Einigung.
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte im Vorfeld vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet. Die Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Doch was ist erlaubt? Und welche Konsequenzen haben die landesweiten Grenzkontrollen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Wie sollen die Grenzkontrollen umgesetzt werden?

    Faeser schlägt eine Art Grenzverfahren vor, um Schutzsuchende von der Einreise nach Deutschland abzuhalten. Die Bundespolizei soll künftig an der Grenze prüfen, ob bei einem Schutzgesuch ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Sie soll zudem auch prüfen, ob Haftkapazitäten zur Verfügung stehen und Haft beantragen, um ein Untertauchen der Person zu vermeiden.
    Innenministerin Faeser zu Grenzkontrollen
    Nancy Faeser ordnet Kontrollen an allen deutschen Grenzen an.
    Quelle: dpa

    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll in diesen Fällen das sogenannte Dublin-Verfahren beschleunigt einleiten - mit dem Ziel, dass der oder die Betroffene bereits von dort aus wieder in den europäischen Staat zurückgeschickt wird, der zuständig ist. Der Aufenthalt in einer "Einrichtung" ermögliche den Zugriff auf die Person, hieß es. Dieses Modell entspreche dem geltenden nationalen und europäischen Recht, hieß es aus Regierungskreisen.

    Das Dublin-Verfahren regelt, dass jeder Asylbewerber nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen darf, den er als erstes betreten hat. So soll sichergestellt werden, dass jeder Asylantrag nur von einem EU-Mitgliedstaat geprüft wird. Die Dublin-III-Verordnung gilt seit 2014 in den EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein.

    Hält ein Mitgliedstaat einen anderen für zuständig, kann er ein Übernahme- beziehungsweise Wiederaufnahmeersuchen stellen. Stimmt dieser Staat zu, erhält der Antragsteller einen entsprechenden Bescheid. Er kann einen Eilantrag dagegen stellen; andernfalls vereinbaren die Mitgliedstaaten die Überstellung.
    Wird sie nicht binnen sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit an jenen Mitgliedstaat über, der um Übernahme ersucht hat. Taucht der Antragsteller unter oder befindet er sich in Strafhaft, kann sich diese Frist verlängern. In bestimmten Fällen sieht Dublin III eine Abschiebehaft vor, etwa bei ungeklärter Identität, verspäteter Antragstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.

    Die Verordnung der EU in voller Länge finden Sie hier.

    Quelle: KNA

    Was ist das Ziel der Kontrollen?

    Ziel sei neben der Begrenzung der irregulären Migration auch der Schutz der inneren Sicherheit vor den aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität. Die zusätzlichen Kontrollen sollen am 16. September beginnen und zunächst sechs Monate andauern.

    Wäre die Zurückweisung an der deutschen Grenze legal?

    "Wenn eine Person sich illegal aufhält, kann sie grundsätzlich in Kooperation mit dem angrenzenden Staat zurückgewiesen werden", sagt Constantin Hruschka, Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht.
    "Der illegale Aufenthalt endet, wenn die Person einen Asylantrag stellt, weil sich dann ein bedingtes Aufenthaltsrecht ergibt. Grundsätzlich besagen die Dublin-Regeln, dass Asylsuchende auch an der Grenze nicht abgewiesen werden dürfen." Allerdings zweifelt Hruschka daran, dass die Grenzkontrollen überhaupt rechtmäßig sind.

    Forderung von Merz
    :Kann an der Grenze abgewiesen werden?

    CDU-Chef Merz hat in seinem Ultimatum an die Ampel eine klare Forderung gestellt: Bestimmte Asylbewerber sollen an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden. Geht das überhaupt?
    von V. M. Rolke und A. Tadey
    Bundespolizisten stehen anlässlich von Grenzkontrollen vor Beginn der Fußball-EM auf dem Rastplatz "Am Heideholz" an der Autobahn 17 nahe der deutsch-tschechischen Grenze.
    FAQ

    Welche Folgen drohen Deutschland bei rechtswidrigen Zurückweisungen?

    Entscheidet sich die Bundesregierung, Geflüchtete an der deutschen Grenze zurückzuweisen, könnte die Europäische Kommission eingreifen. Falls sie das Vorgehen als rechtswidrig ansieht, könnte sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten - eine Art Klage wegen Verstoßes gegen EU-Recht.
    Hruschka hält das auch beim Thema Grenzkontrollen nicht für ausgeschlossen:

    Umfassende Grenzkontrollen an allen Grenzen sind mit europäischem Recht nicht vereinbar. Das wird die Kommission so nicht stehen lassen, jedenfalls wenn es einen Dominoeffekt auf andere Staaten haben sollte.

    Constantin Hruschka, Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht

    Hruschka führt weiter aus: "Zumal diese Kontrollen letztlich aus einer überhitzten innenpolitischen Diskussion heraus entstanden sind. Das kann rechtlich nicht rechtfertigen, Kontrollen einzuführen."

    Wie reagieren die Nachbarländer auf die deutschen Grenzkontrollen?

    Die Nachricht aus Deutschland schlägt in Österreich eher niedrige Wellen, denn Deutschland kontrolliert bereits temporär seit 2015 an den Grenzen zu Österreich. Der österreichische Innenminister Gerhard Karner stellte aber klar, dass Österreich keine Personen aufnehmen werde, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Aus österreichischer Sicht gäbe es da "null Spielraum".
    Österreich: Kritik an neuen Grenzkontrollen
    Innenministerin Faeser ordnet Kontrollen an deutschen Grenzen an, um die Zahl unerlaubter Einreisen einzugrenzen. Österreich weigert sich, zurückgewiesene Migranten aufzunehmen.10.09.2024 | 1:52 min
    Derzeit sind Expert*innen unsicher, welche Gruppe von Migrant*innen der Minister gemeint haben könnte. Denn für solche, die in Deutschland aufgegriffen werden und die kein Asyl beantragt haben oder beantragen wollen, sagt die Pressesprecherin des UNHCR Ruth Schöffl, gibt es bereits ein Regularium der Rückführung nach Österreich.
    Sollten allerdings auch solche Migrant*innen aus Deutschland zurückgeführt werden, die Asyl in Deutschland beantragt haben, wäre das ein Bruch der Dublin-Regeln. Österreich könnte die Rücknahme in dem Fall grundsätzlich verweigern.

    Aktuell führt Deutschland an der grenze zu Frankreich Kontrollen durch, und zwar noch bis zum 30. September 2024. An den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz finden noch bis zum 15. Dezember Kontrollen statt. An der Grenze zu Österreich wird noch bis zum 11. November 2024 kontrolliert.

    Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hält die Pläne der Bundesregierung für inakzeptabel. Er werde schnellstmöglich mit allen Ländern Konsultationen aufnehmen, die von einem solchen Schritt betroffen wären, sagte Tusk.
    Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic im ARD-Morgenmagazin.
    Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Mihalic zeigte sich bei der Begrenzung der Migration gesprächsbereit. Sie mahnte aber, man müsse geltendes Recht einhalten.10.09.2024 | 0:31 min
    Mit Material von dpa und AFP.

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    Quelle: ZDF

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