Juli Zeh: "Das sind keine Angriffe auf die Demokratie"
Interview
Schriftstellerin Juli Zeh:"Das sind keine Angriffe auf die Demokratie"
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Die Schriftstellerin Juli Zeh fordert: Bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit für die aktuellen Übergriffe auf Politiker. Je größer das Entsetzen, desto mehr würden die Täter gefeiert.
Die aktuellen Angriffe auf Politiker seien keine "Angriffe auf die Demokratie", sagt die Schriftstellerin Juli Zeh im ZDF. Es seien "klar erfassbare Straftaten", sagt sie.12.05.2024 | 3:49 min
ZDFheute: Nicht nur Politiker werden angegriffen, sondern seit Langem auch Rettungskräfte, Schiedsrichter, Bahnmitarbeiter. Haben wir nicht längst ein gesamtgesellschaftliches Problem?
Juli Zeh: Ja, daran, dass sich diese Form von Angriffen gegen so verschiedene Leute richtet, auch gegen Politiker verschiedener Parteien, sieht man schon, dass das Frustabbau ist.
Ich glaube, dass Leute sich da einfach abreagieren an Vertretern eines Systems, das sie leider und völlig zu Unrecht inzwischen als komplett dysfunktional und unglaubwürdig empfinden.
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Juli Zeh, Schriftstellerin
ZDFheute: Welche Erklärungsansätze haben Sie denn? Warum haben so viele so eine verdammt kurze Zündschnur?
Zeh: Was man schon zur Kenntnis nehmen muss, ist, dass den Leuten in den letzten zehn Jahren wirklich viel zugemutet worden ist. Und damit meine ich nicht nur Corona, sondern ich meine auch, dass wir im Land wahnsinnig viele Baustellen haben, die in die existentiellen Lebensbereiche rein regieren: Krankenhäuser, Schulen, öffentlicher Nahverkehr, Renten, Pflege.
Nach dem schweren Angriff auf den SPD-Europapolitiker Ecke in Dresden häufen sich die Meldungen über Attacken auf Politiker und Wahlhelfer. Fast täglich müssen sie die aggressive Stimmung auf der Straße erleben.11.05.2024 | 6:42 min
Da ist so ein krasser Handlungsbedarf und da passiert so wenig, dass Menschen auch nicht ganz zu Unrecht das Gefühl haben, dass Politik zunehmend am Bürger vorbei gemacht wird und mehr eigene Ziele verfolgt, die dann ständig erklärt werden müssen.
Leute wollen aber nicht als Kinder behandelt werden, die wollen, dass man ihre Interessen vertritt. Dafür sind demokratische Politiker auch da. Und ich glaube, da ist wirklich auch ein Missverständnis auf Seiten der Politik, für wen sie eigentlich arbeiten.
Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Juli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren. Nach dem Abitur studierte sie Jura in Passau und Leipzig mit den Schwerpunkten Völkerrecht und Nation Building. 1998 legte sie in Leipzig das Erste, 2003 das Zweite Juristische Staatsexamen ab. 2010 promovierte sie in Saarbrücken zum Thema "Übergangsrecht". 2018 wurde sie zur ehrenamtlichen Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Im selben Jahr wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Noch während ihres Studiums belegte Zeh Vorlesungen am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, ihr Diplom erhielt sie im Jahr 2000. Ihr Debüt-Roman "Adler und Engel" erschien 2001 und wurde bis heute in 35 Sprachen übersetzt. Danach publizierte sie in regelmäßiger Folge Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke. Für ihr Werk wurde Zeh vielfach ausgezeichnet. Ihr hochgelobter Gesellschaftsroman "Unterleuten" (2016) stand über ein Jahr auf der "Spiegel"-Bestsellerliste und wurde 2020 verfilmt. Ihre jüngsten Romane sind "Corpus Delicti" (2020), "Über Menschen" (2021) und "Zwischen Welten" (2023).
ZDFheute: Viele sprechen jetzt von Angriffen auf die Demokratie. Stimmen Sie zu?
Zeh: Ich würde die Täter nicht adeln im Sinne einer politischen Botschaft. Denn das machen nicht nur Rechte, das machen Linke auch. AfD-Politiker werden genauso angegriffen. Also wir müssen wirklich gucken, wie wir dem begegnen und wir dürfen denen auf keinen Fall einen solchen Stellenwert verleihen, indem wir die als Demokratieprobleme betrachten. Das sind die nicht.
Das sind keine Angriffe auf die Demokratie, das sind vandalistische, dümmliche, bescheuerte Straftaten, denen man mit aller angemessenen Härte des Justizsystems zu begegnen hat.
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Juli Zeh
ZDFheute: AfD-Politiker sind im Vergleich zu anderen Parteivertretern tatsächlich am stärksten betroffen von Körperverletzungen. Wie viel trägt die AfD durch ihre hetzerische Sprache selbst dazu bei?
Zeh: Jeder, der sich so einer hetzerischen Sprache bedient, trägt dazu bei. Kann sein, dass es rechts noch schlimmer ist als links, kann ich nicht beurteilen.
Ich kenne aber wirklich einen Haufen Leute, die es inzwischen völlig okay finden, sowohl im Internet, als auch am Kneipentisch - auch Politiker machen das - den politischen Gegner zu beschimpfen, zu denunzieren oder sogar wirklich gewalttätige Vokabeln zu benutzen. Da reicht es auch nicht, immer auf andere zu zeigen und zu sagen, guck mal, die AfD macht das, sondern man muss sich selber kontrollieren.
Jeder von uns muss selber darauf aufpassen, wie er mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind. Auch wenn man die Meinung unsäglich findet: Man muss wieder lernen, eine Form von Respekt zu finden.
Quelle: ZDF
Nach den Sommerinterviews starten wir am Sonntag, den 15. September wieder mit "Berlin direkt". Schwerpunkte sind die wirtschaftliche Situation und der Streit um die Migrationspolitik - dazu führt Daniel Pontzen ein Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz.
ZDFheute: Die Innenminister wollen jetzt das Strafrecht verschärfen. Was würde das Ihrer Meinung nach bewirken?
Zeh: Man demonstriert damit zum einen: Es ist furchtbar und wir sind komplett handlungsunfähig. Finde ich kein gutes Signal. Zum anderen demonstriert man damit: Unser Justizsystem ist zu schwach, das ist alles dysfunktional, wir müssen viel härter werden. Auch das ist ein falsches Signal.
Immer nach stärkeren oder anderen Straftatbeständen zu schreien, ist aus meiner Sicht ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
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Juli Zeh
Richtig wäre zu sagen: Was da passiert, das sind klar erfassbare Straftaten, dafür gibt es Paragrafen, dafür gibt es tolle Richterinnen und Richter, die sie anwenden. Bitte nicht mehr Aufmerksamkeit für solche Täter als sie verdienen. Nicht zum Politikum hochstilisieren, für die jetzt auch noch die Gesetze geändert werden müssen. Das generiert nur Nachahmer.
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Denn das vergessen wir immer: Je mehr wir entsetzt sind, desto mehr werden die in ihren Cliquen gefeiert. Und deswegen muss man gelassen bleiben und mit dem Bestehenden, was man hat, angemessen reagieren.
Das Interview führte Christiane Hübscher, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
von Hilke Petersen, Verena Garrett und Steffanie Riess
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