Interview
Gabriel warnt vor Trump-Wahl:"Sind in keiner Weise vorbereitet"
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Sigmar Gabriel, während Trumps Präsidentschaft Außenminister und jetzt Chef der Atlantik-Brücke, sieht große Gefahren für die EU – und große Versäumnisse in der deutschen Debatte.
Als Trump die Präsidentschaftswahl gegen Joe Biden verlor, war die Erleichterung groß - zunächst. Doch Trump will erneut Präsident werden und seine Chancen stehen gut.28.01.2024 | 3:59 min
ZDFheute: Herr Gabriel, was würde eine Wiederwahl Trumps für Europa bedeuten?
Sigmar Gabriel: Die größte Gefahr ist, dass die USA ein noch tiefer gespaltenes Land werden. Womit die größte westliche Supermacht ausfiele. Das würde für die ganze Welt enorme Konsequenzen haben. Es würden sich ein paar autoritäre Mächte freuen. Aber für uns Europäer würde die Welt damit deutlich unsicherer.
ZDFheute: Vor allem mit Blick auf die Nato?
Gabriel: Er würde nicht austreten – dafür braucht er eine Zweidrittelmehrheit im Senat, die würde er nicht bekommen. Aber er kann anderes tun: Finanzmittel kürzen, den Botschafter abziehen, und durch Sprache und Handeln signalisieren, dass er sich nicht mehr so sehr an die Bündnisverpflichtung gebunden fühlt. Für Wladimir Putin wäre das eine Einladung: Er wird testen, ob die Nato noch zusammenhält. Und darauf sind wir in keiner Weise vorbereitet, aber auch nicht im Ansatz.
Sigmar Gabriel warnt vor Donald Trump. (Archivbild)
Quelle: Imago
ZDFheute: Woran mangelt es Ihrer Meinung nach?
Gabriel: Wenn der Verteidigungsminister sagt, die Bundeswehr müsse kriegstüchtig sein und dann die halbe Republik erschrickt und ihn bittet, in Zukunft das Wort "verteidigungsfähig" zu nutzen, dann merken Sie: Wir haben schon Angst davor, die richtigen Begriffe zu wählen, sprich: Wir sind weit davon entfernt zu sehen, dass Krieg auch gegen uns oder zumindest gegen Nato-Partner möglich wird, wenn der US-Präsident sagt: Ich schütze Euch nicht mehr.
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ZDFheute: Was halten Sie für notwendig?
Gabriel: Ich halte es für vernünftig, über die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu reden. Wir hatten in Westdeutschland 500.000 Soldaten unter Waffen im Kalten Krieg – jetzt 180.000. Die müssen dann gar nicht in Deutschland stehen. Die neue Ostflanke der Nato ist nicht in Deutschland, sondern im Baltikum, in Polen. Zudem weiß ich nicht, warum wir nicht anfangen mit Großbritannien zu reden. Wenn uns die USA verloren gehen, ist das in der Sicherheitspolitik unser wichtigster Partner: eine strategische Nuklearmacht, die wir brauchen werden.
ZDFheute: Hat man in der Bundesregierung die Gefahr einer Wiederwahl Trumps unterschätzt?
Gabriel: Das ist ja menschlich. Wir alle hoffen natürlich, dass das alles noch mal gut geht. Aber: Selbst eine Wiederwahl Joe Bidens würde uns nur Zeit verschaffen. Langfristig werden sich die Amerikaner, egal ob Biden oder Trump, viel stärker auf den Indopazifik konzentrieren, auf China. Das ist die große Konkurrenz. Wenn Putin den Krieg mit der Ukraine nicht angezettelt hätte, wäre diese Abwendung von Europa schon viel weiter. Also: Wir müssen eigenständiger werden – so oder so.
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ZDFheute: Diese Forderung gibt es spätestens seit der ersten Trump-Präsidentschaft. Warum fällt es Europa so schwer, sich um seine eigene Sicherheit zu kümmern?
Gabriel: Ich glaube, weil wir uns diese neue Welt immer noch nicht richtig vorstellen. Wir leben immer noch in relativ großem Wohlstand. Wir haben das Glück gehabt, dass die Amerikaner noch einmal unsere Interessen vertreten gegen Russland. Das hat viele in Sicherheit gewiegt. Und es ist ja auch nicht einfach, zu sagen: Liebe Bürgerinnen und Bürger, das ist zwar alles wunderbar hier, aber ein Teil unseres Wohlstands werden wir in Zukunft in die Verteidigungsfähigkeit investieren müssen. In unsere – und die der Osteuropäer.
ZDFheute: War dieser Mentalitätswechsel nicht Kern der "Zeitenwende", die Olaf Scholz ausgerufen hat?
Gabriel: Der Bundeskanzler hat das zwar zurecht Zeitenwende genannt, aber die Frage ist ja: Ist das in der Gesellschaft eigentlich angekommen?
Und die ist eben ganz anders als die letzten 30, 40 Jahre: viel unberechenbarer, ohne globale Ordnung, mit möglichen Kriegen, die uns betreffen können. All das muss man offen in der Bevölkerung debattieren. Und das tut die Politik zu wenig. Ein Satz und einmal 100 Milliarden verändern ein Land noch nicht.
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ZDFheute: Zurück zu Trump: Was müssten die Europäer nun tun – den Kontakt zum Trump-Lager noch stärker suchen?
Gabriel: Das wird wenig bringen. Trump wird dieses Mal nur noch Leute in wichtige Ämter lassen, die ihm total loyal ergeben sind. Was Europa tun müsste, ist erstens deutlich mehr dafür zu tun, dass wir als Wirtschaftsstandort eigenständiger werden. Auch den Euro mittelfristig zu einer echten alternativen Währung zu machen – wir hängen viel zu sehr vom Dollar ab. Und eben mehr für die Verteidigung zu tun. Willy Brandt, der Friedenskanzler, hat übrigens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investiert.
ZDFheute: Gibt es irgendetwas Positives an einer möglichen Trump-Präsidentschaft?
Gabriel: Dass sie nur vier Jahre dauert.
Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondent Daniel Pontzen.
Quelle: ZDF