Ursula von der Leyen sucht nach der Europawahl nach einer Mehrheit für ihre Wiederwahl.
Quelle: AFP
Der kleine Saal, den die Europäische Volkspartei (EVP) für ihre Wahlparty gemietet hat, ist am Sonntagabend zur Hälfte mit Journalisten gefüllt - die andere Hälfte: handverlesene junge Leute, die für Stimmung sorgen sollen. "Ursula, Ursula!", rufen sie, als die Spitzenkandidatin, die auf keinem Wahlzettel stand, auf die Bühne kommt.
Von der Leyen lässt sich feiern, aber das Bad in der Menge ist ihre Sache nicht. Sie hält eine erste kurze Ansprache - und tritt wieder ab: "Heute feiern, morgen arbeiten!"
Nach der Wahl kämpft Ursula von der Leyen weiter - um die Mehrheit im EU-Parlament. Die Kommissionspräsidentin braucht die Stimmen von mindestens drei Fraktionen.10.06.2024 | 2:29 min
Von der Leyen sucht nach einer Mehrheit
Die Arbeit beginnt de facto schon an diesem Abend. Ab sofort müssen von der Leyens Leute eine Mehrheit für die Wiederwahl suchen. Die Voraussetzungen dafür scheinen erstmal gut: Die konservative EVP stellt mit 186 Abgeordneten die größte Fraktion im
Europaparlament. Zusammen mit den Sozialdemokraten (135) und den Liberalen (79) - also den Fraktionen, die von der Leyen 2019 unterstützten - kommen sie auf 400 Sitze, deutlich über der erforderlichen Mehrheit von 361 Sitzen.
Neue Zusammensetzung des EU-Parlaments
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Selbst wenn man unterstellt, dass zehn Prozent der Abgeordneten dieser Koalition von der Leyen ihre Stimme verweigern, geben sich die Spin-Doktoren der Konservativen überzeugt: Das dürfte reichen.
Zumal schon am Wahlabend erste Signale aus den Reihen der Sozialdemokraten und Liberalen kommen, man sei offen für eine Zusammenarbeit der Fraktionen der Mitte. Ähnliches ist zu hören aus den Reihen der auf 52 Mitglieder geschrumpften Grünen-Fraktion im EU-Parlament.
In der europäischen Union ist der erwartete Rechtsruck eingetreten. Was das für die europäische Politik bedeutet, erklärt ZDF-Korrespondent Ulf Röller aus Brüssel.10.06.2024 | 1:45 min
Giorgia Meloni: Unklar, ob ihre Partei von der Leyen stützt
Damit wäre von der Leyen ein großes Dilemma los: Vor der Wahl war viel darüber spekuliert worden, dass sie auch auf Stimmen aus den Reihen der rechtspopulistischen italienischen Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni setzen könnte. Meloni selbst hatte die Wahl in
Italien mit ihrer ultrarechten Partei Fratelli d’Italia deutlich gewonnen. Am Morgen nach der Wahl lässt sie in einem Radiointerview zunächst offen, ob ihre Abgeordneten von der Leyen unterstützen würden.
Stimmungsbild aus Italien vor den EU-Wahlen: Italiens Parteien könnten bei der Zukunft der EU eine zentrale Rolle spielen. Mima-Reporter Andreas Postel berichtete. 04.06.2024 | 4:43 min
Wichtiger für von der Leyen aber dürfte die Frage sein, ob ihre Kandidatur von den Regierungen der zwei größten Länder unterstützt wird: also von Bundeskanzler
Olaf Scholz (
SPD) und Frankreichs Staatspräsident
Emmanuel Macron. Beide hatten die
Europawahl dramatisch verloren, von beiden gab es bis Montagmittag noch keine Aussage zu von der Leyen.
Kursänderung durch Erstarken rechter Parteien?
Trotzdem: Aller Voraussicht nach steuert Ursula von der Leyen nach der Wahl auf eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin zu - und zwar wie 2019 mit derselben Mehrheit der Mitte. Doch was aussieht wie ein "Weiter so", könnte sich in der Praxis als harter Kursschwenk entpuppen.
Zwar haben die rechten Fraktionen trotz ihres Erstarkens keine Blockade-Mehrheit im EU-Parlament, ihre Wahlerfolge aber setzen vor allem die konservative Fraktion unter Druck. Von der Leyens Prestigeprojekt der ersten Amtszeit, der "Green Deal", dürfte mit Sicherheit keine Neuauflage erfahren. Auch in der
Flüchtlingspolitik stehen die Zeichen auf Verschärfung.
FPÖ und Rassemblement National könnten zur Herausforderung werden
Der größte Druck dazu aber wird nicht aus dem EU-Parlament kommen - sondern aus dem noch wichtigeren Gremium, dem Rat der Mitgliedstaaten. Hier steht ein empfindlich geschwächter deutscher Kanzler neben einem französischen Präsidenten, der womöglich bald mit einem Premier aus den Reihen des rechten Rassemblement National wird leben müssen. Auch in
Österreich könnte der Rechtsruck noch in diesem Jahr die FPÖ an die Macht spülen.
Ihre erste Herausforderung - eine Mehrheit für ihre Wiederwahl zu organisieren - dürfte Ursula von der Leyen daher noch bestehen. Die viel größere Frage aber wird sein, wie sie Mehrheiten für ihre bisherige Politik findet.
Trotz ihres Wahlsiegs müssten die europäischen Konservativen um eine demokratische Mehrheit zittern, kommentiert Anne Gellinek, die stellvertretende Chefredakteurin des ZDF.
09.06.2024 | 1:37 min