EuGH-Urteil: Grünes Licht für Vorratsdatenspeicherung

    Bei allgemeiner Kriminalität:EuGH: Ja zu Vorratsdatenspeicherung

    von Jan Henrich
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    Lange Zeit hat der Europäische Gerichtshof die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen jegliche Kriminalität abgelehnt. Nun gab er grünes Licht. Datenschützer sehen das kritisch.

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    Der EuGH hat den Zugriff auf personenbezogene Daten nun auch bei allgemeinen Verstößen wie Urheberrechtsverletzungen erlaubt.
    Quelle: dpa

    Daten von allen Internetnutzern vorsorglich zu speichern, um im Fall einfacher Straftaten Täter ausfindig machen zu können - lange Zeit hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Praxis abgelehnt.
    Diese Woche gaben die Richterinnen und Richter in Luxemburg erstmals grünes Licht für ein System der Speicherung von Vorratsdaten in allgemeinen Fällen der Strafverfolgung. Zumindest IP-Adressen könnten so anlasslos gespeichert werden. Datenschützer sehen in dem Urteil eine besorgniserregende Entwicklung.
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    Vorratsdatenspeicherung immer wieder vor Gericht

    Immer wieder hatte das Thema Vorratsdatenspeicherung in den vergangenen Jahren Gerichte beschäftigt und immer wieder hatte der EuGH in seinen Urteilen der ausufernden Internetüberwachung Grenzen gesetzt.
    Noch im September 2022 hatten das Gericht in Luxemburg klargestellt, dass eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Einer entsprechenden Regelung aus Deutschland wurde damit eine Absage erteilt.

    Eine gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten, die Verkehrsdaten aller Nutzer über einen vorgegebenen Zeitraum zu speichern und diese im Bedarfsfall an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Je nach Ausgestaltung des Systems kann es sich dabei um Verkehrsdaten wie beispielsweise die IP-Adresse, Telefonkontakte oder auch Standortdaten handeln.

    Quelle: ZDF

    Dass der Europäische Gerichtshof allerdings nicht ewig bei seiner harten Haltung gegenüber der Vorratsdatenspeicherung bleiben würde, hatte sich bereits angedeutet.

    Fall aus Frankreich bringt Wende

    Nun die Wende in einem Verfahren, das der französischen Conseil d’État dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatte. Konkret ging es um die allgemeine Speicherung von IP-Adressen zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen.
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    Ein solches System würde nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen darstellen, so die Richterinnen und Richter in ihrem aktuellen Urteil.
    Eine zuvor bestehende Beschränkung auf Fälle der schweren Kriminalität gibt es damit nicht mehr.

    Eine IP-Adresse ist eine individuelle Adresse, die ein Gerät im Internet identifiziert. Im Rahmen einer sogenannten IP-Vorratsdatenspeicherung speichern Anbieter von Internet- und Telekommunikationsdiensten, welche IP-Adresse für welchen Zeitraum von einem Internetanschluss verwendet wurden.

    Quelle: ZDF

    Allerdings müsse gewährleistet werden, dass IP-Adressen und übrige personenbezogene Daten getrennt werden, damit die Verwendung der Daten keine konkreten Rückschlüsse auf das Privatleben der Nutzer zulässt.

    Datenschutzorganisationen kritisieren Entscheidung

    Das Urteil stößt auf Kritik, insbesondere bei Datenschutz- und Grundrechtsorganisationen. Es ließe sich kaum verhindern, dass man aus den gespeicherten Informationen nicht auch Rückschlüsse auf das Privatleben der Menschen ziehen könne, so Erik Tuchtfeld vom Verein D64. Er sieht in der Entscheidung eine besorgniserregende Entwicklung und einen Türöffner für ausufernde Überwachung.

    Der Vorratsdatenspeicherung liegt ein besorgniserregendes Menschenbild zugrunde. Alle sind potenzielle Täterinnen und Täter.

    Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt

    Es gebe andere Wege für die Strafverfolgung in der digitalen Welt sagt Tuchfeld. Die massenhafte Speicherung aller IP-Adressen brauche es nicht, damit Ermittlungsbehörden arbeiten können.

    Ampel-Koalition hatte sich auf "Quick-Freeze" geeinigt

    Das Urteil betrifft zunächst die Regelung aus Frankreich, aber auch in Deutschland könnte die Entscheidung die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung erneut entfachen.
    Erst vor wenigen Wochen hatte sich die Ampel-Koalition auf ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren als datenschutzfreundliche Alternative zur Vorratsdatenspeicherung geeinigt.
    Schaltgespräch mit Lob-Hüdepohl, 01.09.2021
    Andreas Lob-Hüdepohl vom Deutschen Ethikrat betont: Gesundheits- und Datenschutz müssen in Pandemiezeiten gegeneinander abgewogen werden. Im Schulwesen, in Kitas und Großraumbüros könne die Abfrage des Impfstatus‘ jedoch "von Vorteil" sein.02.09.2021 | 3:42 min
    Das System erlaubt, anlassbezogen beim Verdacht schwerer Straftaten, vorhandene oder anfallende IP-Adressen beim Internetanbieter "einfrieren" zu lassen. Wobei Speicherung und Verwendung der Daten von einem Richter angeordnet werden müssen.
    Jan Henrich arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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