Kraftstoff-Lobby: Wie Wissing das Verbrenner-Aus kippen will
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FDP und HVO-Kraftstoff-Lobby:Wie Wissing das Verbrenner-Aus kippen will
von Nils Metzger, Nathan Niedermeier
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Das Bundesverkehrsministerium unterstützte eine Lobby-Kampagne für den neuen Kraftstoff HVO100. Geht es weniger um Klimaschutz als darum, Verbrenner-Autos eine Zukunft zu sichern?
Wie die FDP den angeblichen Klima-Diesel an deutsche Tankstellen brachte und warum die Sache stinkt.16.07.2024 | 16:33 min
Am Donnerstag will Ursula von der Leyen erneut EU-Kommissionspräsidentin werden. 2019 gewann sie mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur neun Stimmen. Und auch diesmal könnte es knapp werden. Mehrere Parteien knüpfen ihre Stimmen an von der Leyens Unterstützung für ihre Positionen.
Allen voran die deutsche FDP mit dieser Bedingung: Von der Leyen soll das mühsam ausgehandelte Verbrenner-Aus der EU wieder kippen. Stand jetzt sollen ab 2035 keine Neuwagen mehr zugelassen werden, die mit fossilem Diesel oder Benzin fahren. Doch dieses Vorhaben ist noch nicht in trockenen Tüchern - 2026 wird es eine sogenannte Revision, eine Überprüfung, der geplanten Regeln geben. Schon jetzt arbeiten Kraftstoff-Lobbyisten eifrig auf diese Gelegenheit hin, das Verbot doch noch zu kippen - und rennen damit offene Türen im Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) ein.
Die vollständige ZDF frontal Recherche von Dienstag lesen Sie hier:
FDP-Spitzenpolitiker unterstützen eine Lobby-Kampagne für alternative Kraftstoffe. Nach ZDF frontal Recherchen wurden Treffen mit Verkehrsminister Wissing gegen Geld angeboten.
von Nils Metzger, Nathan Niedermeier
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Lobby-Kampagne will "Abschaffung des Verbrennerverbots"
Wichtig für diesen Plan: der alternative Diesel-Kraftstoff HVO100. Seit rund zwei Monaten ist er an deutschen Tankstellen verfügbar. Am Dienstag hatte ZDF frontal berichtet, wie sich FDP-Spitzenpolitiker, darunter Wissing und sein Parlamentarischer Staatssekretär Oliver Luksic (FDP), für eine HVO-Lobbykampagne des Vereins "Mobil in Deutschland" einspannen ließen.
HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) ist ein alternativer Diesel-Kraftstoff, hergestellt aus Pflanzen- und Tierölen. Wenn dafür Rest- und Abfallstoffe verwendet werden, kann bis zu 90 Prozent CO2-Neutralität trotz Verbrennungsmotor erreicht werden, so das Hersteller-Versprechen. Seit Ende Mai darf HVO in Reinform, also HVO100, an deutschen Tankstellen verkauft werden. "Durch den Einsatz erneuerbarer Ressourcen und den hydrierten Produktionsprozess leistet der Kraftstoff einen bedeutenden Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen", schreibt Mobil in Deutschland auf seiner HVO100-Kampagnenseite.
Theoretisch können so Diesel-Autos auf dem Papier fast klimaneutral unterwegs sein. Am Auspuff sorgen aber auch Verbrenner, die HVO100 tanken, für etwa die gleichen CO2-Emissionen, je nach Studie. Ein Problem: Für einen nennenswerten Klimaeffekt gibt es am Markt viel zu wenig HVO100 und die für die Herstellung benötigten Rohstoffe, sagt Horst Fehrenbach, Kraftstoff-Experte am Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg. Er rechnet mit keinem signifikanten Klima-Effekt durch HVO100.
"90 Prozent Klimagaseinsparung beim Einsatz von HVO stimmt natürlich nicht, wenn ich diesen Rohstoff einem anderen Sektor wegnehme. Netto gewinnen wir dadurch eigentlich nichts", sagt Fehrenbach. Er fürchtet eine Verschleppung der E-Mobilität durch HVO100. "Im Bereich Straßenverkehr haben wir Alternativen, die ausgebaut werden können. Im Bereich Flugverkehr wird es sehr viel schwieriger. Dort sind diese Stoffe sehr viel besser untergebracht."
So steht es auch in einem Papier des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags, das Fazit dort: "Die verfügbare Menge an Biomasse wird perspektivisch nicht ausreichen, um den Verkehrssektor umfassend zu dekarbonisieren. Deshalb sind alternative Biokraftstoffe wohl vorrangig in Bereichen einzusetzen, in denen eine Elektrifizierung schwer umsetzbar ist." Das Fazit von Forscher Fehrenbach: "Wenn wir alles Potenzial an HVO mobilisieren, um es in den Pkw-Verkehr zu bringen, dann tun wir dem Klimaschutz einen Bärendienst."
Neben Werbung für den "grünen Diesel" verfolgt die Kampagne unter dem Namen "HVO100 goes Germany" ein deutlich größeres Ziel: "Abschaffung/Aufweichung des Verbrennerverbots" und "ein positives Image für den Verbrennungsmotor aufbauen", so steht es in einer internen Präsentation von Mobil in Deutschland, die ZDF frontal vorliegt. Dort wird explizit auf die EU-Revision 2026 verwiesen, bis dahin soll die Kampagne fortgeführt werden.
Laut Recherchen von ZDF frontal sollen von einer Lobby-Organisation Treffen mit hochrangigen Mitarbeitern des Verkehrsministeriums angeboten worden sein. 16.07.2024 | 2:48 min
Staatssekretär Luksic sieht HVO als Werkzeug gegen Verbrenner-Aus
Wen die Sorge vor der geplanten EU-Regulation zu Verbrenner-Autos auch umtreibt, ist Staatssekretär Oliver Luksic. Er war offizieller Schirmherr der HVO-Kampagne von Mobil in Deutschland, inzwischen ruht die Schirmherrschaft in Folge der ZDF frontal Berichterstattung.
Zu Gast bei einer Mobil in Deutschland Veranstaltung am 22. Juni 2023, vor Übernahme seiner Schirmherrschaft, berichtete Luksic, wie die FDP in der Ampel-Koalition und auf EU-Ebene Druck für Kraftstoffe wie HVO100 und synthetisch hergestellte E-Fuels machte: "Und nach langen Diskussionen in der Bundesregierung konnten wir mit viel Mühe unsere Position durchsetzen."
Über die im März 2023 von Wissing bei der EU durchgedrückten E-Fuels-Ausnahmen beim Verbrenner-Aus sagte Luksic bei der Panel-Veranstaltung mit Kraftstoff-Lobbyisten: "Wenn ich es allein geschrieben hätte, würde es nochmal ganz anders aussehen. (...) Aber wir haben jetzt das, was realpolitisch umsetzbar war, umgesetzt." Die HVO100-Zulassung sei laut Luksic "ein wichtiger Zwischenschritt".
Frontal berichtet über Treffen mit FDP Verkehrsminister Wissing, die ein Auto-Lobby Verein gegen Geld angeboten haben soll. 16.07.2024 | 1:59 min
Experten im Ministerium: HVO100 "kaum verfügbar"
Der Kraftstoff-Experte Horst Fehrenbach vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg kritisiert im Interview mit ZDF frontal, dass der tatsächliche Klimaeffekt bei der HVO100-Einführung nur eine untergeordnete Rolle spiele:
Während Wissings Verkehrsministerium HVO100 öffentlich als "wichtigen Schritt für mehr Klimaschutz im Verkehr" beschreibt, äußerten sich die zuständigen Fachabteilungen des Ministeriums intern deutlich kritischer.
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Es handle sich um "einen sehr speziellen Kraftstoff, der kurz- und mittelfristig an Tankstellen kaum verfügbar sein wird" - "wegen begrenzter Lagekapazitäten" und "begrenzter Ausgangsstoffe" für die Herstellung, schreiben die Ministeriumsexperten ihrem Minister in die Entscheidungsvorlage. Ihr Fazit: Es sei ein "Nischen-Kraftstoff".
Außerdem habe die Kampagne einen "sehr werblichen Charakter" und "die Aufklärung der Öffentlichkeit und Bewerbung des Kraftstoffs ist die Aufgabe von Industrie und Verbänden", und somit nicht des Ministeriums. Trotz dieses eindeutigen Votums seiner Experten entschied sich Wissing für die Schirmherrschaft.
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Wie kam die HVO-Kampagne trotzdem zustande?
Am 13. März war Minister Wissing zu Gast bei einer Veranstaltung von Mobil in Deutschland in Berlin und hielt dort eine Rede über die HVO100-Einführung: "Das war ziemlich zäh (...). Manche mussten da vielleicht auch ihren Traum beerdigen, weil sie sich in den Kopf gesetzt haben, der Verbrenner muss verboten werden. Aber am Ende konnten wir uns dann doch durchsetzen, mit viel Hartnäckigkeit." Insbesondere das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) hatte sich gegen HVO100 gesperrt.
Mobil in Deutschland als "Verbündeter" des Ministers? Vereinspräsident Michael Haberland beschrieb am gleichen Abend mit Wissing im Publikum, wie er die Kampagne mit dem Verkehrsministerium eingefädelt habe. Videos dieses Auftritts hat Mobil in Deutschland inzwischen aus dem Netz gelöscht. "Mit den Grünen über einen Kraftstoff zu sprechen, (...) das macht Ihnen oft vermutlich keinen Spaß, Herr Wissing. Und das ist auch der Grund, warum wir diese Kampagne ins Leben gerufen haben", erzählte Haberland. "Es entstand aus einem Gespräch, das wir mal geführt haben, beim Bund der Steuerzahler in München (...). Und wir haben gesagt, wir entwickeln diese Kampagne."
Hier fand die HVO-Schirmherrschaft offenbar ihren Anfang: Michael Haberland (links) und Volker Wissing (rechts daneben) bei der Verleihung des "Sparlöwen" des Bunds der Steuerzahler 2023.
Quelle: Johannes Reichart
Ministerium und Verein bestätigen auf Anfrage, dass es diese Begegnung beim Bund der Steuerzahler im September 2023 gegeben habe. Eine unrechtmäßige Einflussnahme von Interessengruppen habe es nicht gegeben. Haberland teilt ZDF frontal per Anwalt mit, dass Wissing "in einem persönlichen Gespräch (...) seine Unterstützung der Kampagne zugesagt" habe. "Wir bitten um Verständnis, dass wir Motivation, Anlass und Dauer von uns als sinnvoll erachteter Aktivitäten nicht in jedem Detail mit Ihnen erörtern möchten", so Haberland weiter.
In einer am Dienstagabend veröffentlichten Stellungnahme sprach Mobil in Deutschland von "falschen Anschuldigungen". "Wir stehen dem EU-Verbrenner-Aus für Pkw ab 2035 (...) sehr kritisch gegenüber, weil Verbote für uns keine Lösung darstellen. (...) Dass das einigen Verbänden, Vereinen oder Parteien nicht gefallen mag, ist daher offensichtlich", so der Verein.
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Wie es jetzt in Europa weitergeht
Die Blicke der Kraftstoff-Lobbyisten sind nun vor allem nach Brüssel gerichtet. Das FDP-Vorhaben, die Verkehrswende in Europa technologieoffen anzugehen, ist jedoch kein Selbstläufer. Das gesteht auch Staatssekretär Luksic ein - bei einer weiteren Mobil in Deutschland Veranstaltung am 13. Dezember 2023:
"Wir kämpfen ja, was extrem schwierig ist, in den Ratsarbeitsgruppen für eine Öffnung, für eine Zulassung von Fahrzeugen, die mit E-Fuels betankt werden. Das konnten wir mit viel Mühe als deutsche Position durchsetzen. Wir haben dafür Mehrheiten in Europa", so Luksic weiter. "Die Debatte wird hoffentlich nach der Europawahl nochmal geführt werden können."
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Rückendeckung kommt vom HVO-Lobbyisten Michael Haberland, hier im Interview mit dem konservativen Medium "Tichys Einblick": "Das Verbrennerverbot sowohl für Pkw, das ab dem Jahr 2035 gilt, (...) und das faktische für Lkw, das sogar schon ab 2030 gelten soll, bereits beschlossen, das muss beides wieder weg. Es gibt keinen einzigen Grund, wenn ich mit so einem CO2-neutralen Diesel unterwegs bin, sich für ein Verbrennerverbot auszusprechen."