Sommerinterview: Wie Weidel Kriminalität übertreibt
Faktencheck
AfD-Chefin im Sommerinterview:Wie Weidel bei der Kriminalität übertreibt
von Oliver Klein
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"Menschen werden täglich auf den Straßen umgebracht", behauptet AfD-Chefin Alice Weidel - eine deutliche Übertreibung. ZDFheute mit einem Faktencheck zum Sommerinterview.
Sehen Sie hier das ZDF-Sommerinterview mit Alice Weidel in voller Länge.07.07.2024 | 20:18 min
Migration, Kriminalität, Bundeswehr - das sind die Themen im ZDF-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel. ZDFheute liefert Kontext zu wichtigen Fragen.
Wie hoch ist die Gewaltkriminalität in Deutschland?
Die AfD-Vorsitzende zeichnet ein Bild von Deutschland, in dem es offenbar schon gefährlich ist, aus dem Haus zu gehen:
"Wir haben eine explodierende Kriminalstatistik. Wir haben eine explodierende Ausländerkriminalität, Jugendkriminalität, migrantische Gewalt", so Weidel. "Vergewaltigungen hoch, Messerdelikte hoch, 15.000 an der Zahl im letzten Jahr." Die "Kriminalitätsbelastung" in Deutschland sei "durch nichts zu verantworten", schimpft Weidel.
AfD-Chefin Alice Weidel behauptet im ZDF-Sommerinterview, dass täglich Menschen in Deutschland auf den Straßen umgebracht würden.07.07.2024 | 0:15 min
Diese dramatische Darstellung ist nicht von Fakten gedeckt. Laut Kriminalstatistik gab es in Deutschland im vergangenen Jahr 214 polizeilich erfasste Morde, dazu kommen 342 Fälle von Totschlag. In den meisten Fällen besteht eine Beziehung zwischen Täter und Opfer. Dass täglich Menschen "auf den Straßen umgebracht" würden, ist Unsinn.
Die Zahl der polizeilich erfassten Messerdelikte hat zuletzt tatsächlich zugenommen, 15.000 Fälle sind es aber nicht: Im Jahr 2023 wurden 8.951 Messerangriffe im Zusammenhang mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung gezählt (8.160 Fälle waren es im Jahr 2022). Dazu kommen 4.893 Fälle von Raubdelikten (4.195 im Jahr 2022). Zusammen sind das 13.844 Messerdelikte - die Zahl, die Weidel vermutlich meinte.
In einer früheren Version des Beitrags wurde die Zahl der Raubdelikte, bei denen ein Messer verwendet wurde, nicht erwähnt. Das Bundeskriminalamt erfasst Messerangriffe als eigenständige Delikte erst seit wenigen Jahren. Unter Messerangriffen werden Taten zusammengefasst, bei denen ein unmittelbaren Angriff mit einem Messer angedroht oder ausgeführt wurde, schreibt das BKA auf seiner Webseite. Das bloße Mitführen eines Messers reicht hingegen für eine Erfassung als Messerangriff nicht aus.
Auch die Zahl der Vergewaltigungs-Fälle ist in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gestiegen. Aber: Kriminologen weisen immer wieder darauf hin, dass die PKS nur eine eingeschränkte Aussagekraft hat: "Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist nicht gleichzusetzen mit der Kriminalitätswirklichkeit", erklärt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht der Frankfurter Goethe-Universität. Verschiedene Faktoren können zu einem Anstieg der Zahlen in den Statistiken geführt haben.
Mehr Hintergründe zu Faktoren, die die PKS verzerren können, werden hier erklärt:
Auf dem Parteitag in Essen zeichnet AfD-Chefin Alice Weidel ein düsteres Deutschland-Bild. Doch den "Kontrollverlust", den Weidel beschwört, gibt es so nicht. Ein Faktencheck.
von Kevin Schubert
Faktencheck
Taugt Australien als Vorbild bei der Grenzsicherung?
"Die Grenzen sind zu schließen und zu kontrollieren, um illegale Migration nach Deutschland einzudämmen", fordert Weidel. Doch wie soll diese Politik in der Realität umgesetzt werden? Als Beispiel nennt die AfD-Chefin Staaten wie die USA, Australien, Kanada oder Japan, die erfolgreich ihre Grenzen geschlossen hätten.
Beispiel Australien: Das Land verfolgt seit Jahren eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik und fängt Menschen, die ohne Visum per Boot das Land erreichen wollen, noch auf dem Meer ab, schickt sie zurück oder inhaftiert sie in Lagern. Diese befinden sie meist in Drittstaaten, mit denen das Land entsprechende Abkommen erzielt hat. Auch anerkannte Flüchtlinge kommen nach diesem System kaum in Australien an, sondern werden in weitere Länder umgesiedelt. Das kostet Australien Milliarden.
Bund und Länder suchen eine Lösung für die hohe Zahl Geflüchteter in Deutschland. Der Lösungsvorschlag von Christian Dürr (FDP) und Hendrik Wüst (CDU): das "Ruanda-Modell".
von Moritz Flocke
FAQ
Als Vorbild für Deutschland taugt das australische Modell dennoch nur sehr eingeschränkt:
Menschenrechtsbedenken: Dass Australien Flüchtlinge auf abgelegenen Inseln teils jahrelang inhaftiert, wurde international stark kritisiert, auch von den UN. Es gibt zahlreiche Berichte über unmenschliche Bedingungen, Menschenrechtsverletzungen und schwere Gesundheitsprobleme unter den Asylsuchenden. Menschenrechtler kritisieren, dass diese Praktiken gegen die Genfer Konvention verstoßen.
Geografische Unterschiede: Australien ist von Wasser umgeben, was dem Land ermöglicht, seine Grenzen strenger zu kontrollieren als Deutschland seine lange Landgrenzen zu zahlreichen anderen Staaten.
Ohne Drittstaaten geht es nicht: Australien ist für seine Politik auf die Hilfe bitterarmer oder korrupter Drittstaaten angewiesen, die bereit sind, gegen Geld Flüchtlinge in abgeschotteten Lagern aufzunehmen. Deutschland müsste einen ähnlichen Deal eingehen und würde sich damit in eine rechtliche Grauzone begeben. Der Oberste Gerichtshof in London hatte zuletzt ähnliche Asylpläne Großbritanniens für rechtswidrig erklärt, illegale Migranten generell nach Ruanda abzuschieben.
Die italienische Ministerpräsidentin Meloni möchte Menschen, die in der EU Asyl suchen, außerhalb der EU unterbringen. Dort sollen die Asyl-Chancen geprüft werden. 05.06.2024 | 1:38 min
Steht die AfD zum Zwei-Prozent-Ziel bei Verteidigungsausgaben?
Im Jahr 2014 vereinbarte die Nato das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel - dass also zwei Prozent der Wirtschaftsleistung von allen Ländern für Verteidigung ausgegeben werden sollen. Eine Forderung, die auch Donald Trump immer wieder unterstreicht - der republikanische Kandidat, den Weidel sich als nächsten US-Präsidenten wünscht.
Aber: Im Grundsatzprogramm der AfD ist diese Verpflichtung nicht klar benannt. Hier heißt es nur allgemein, die Erfüllung von "Verpflichtungen gegenüber den Nato-Bündnispartnern" sei "eine wichtige Aufgabe deutscher Außen- und Sicherheitspolitik."
AfD-Chefin Alice Weidel bekennt sich im ZDF-Sommerinterview zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato und kritisiert die bisherigen Ausgaben für die Bundeswehr.07.07.2024 | 0:15 min
Weidel stellt klar, dass die AfD zum Zwei-Prozent-Ziel stehe: "Es sollte eigentlich viel mehr sein, weil überhaupt gar nicht investiert wurde. Wir sind noch nicht mal für die eigene Landesverteidigung fähig. Und dementsprechend muss die Bundeswehr ertüchtigt werden."
Damit wiederholt Weidel eine Forderung, die es seit Jahren in der AfD gibt: Mehr Geld für die Bundeswehr und die Rüstung. Auch in ihrem Europawahlprogramm fordert die AfD, die sich selbst als "Friedenspartei" bezeichnet, den "Ausbau der wehrtechnischen Fähigkeiten", "neue wehrtechnische Programme" und "Planungssicherheit für die deutsche Industrie und unsere Streitkräfte".