Arbeitszeit: Was für und gegen die Vier-Tage-Woche spricht
Zukunft der Arbeit:Was für und gegen die Vier-Tage-Woche spricht
von Philipp Dietrich
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Ist die Vier-Tage-Woche in Deutschland sinnvoll? Für die Linke Grosse-Röthig ist sie die "Arbeitswelt von morgen". FDP-Politiker Vogel sieht das im Moma-Duell anders.
Ist eine generelle 4-Tage-Woche möglich? Darüber diskutieren Ulrike Grosse-Röthig, Linke-Vorsitzende in Thüringen und der stellvertretender FDP-Vorsitzende Johannes Vogel.04.04.2024 | 11:55 min
Vier Tage arbeiten, aber für fünf bezahlt werden. Ist das die Zukunft? Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung wollen 81 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Vier-Tage-Woche. Lässt sich mit weniger Arbeitszeit mehr Wohlstand erreichen und sogar der Fachkräftemangel eindämmen?
Darüber debattieren Ulrike Grosse-Röthig, Co-Vorsitzende der Linken in Thüringen und Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP im ZDF-Moma-Duell.
Quelle: dpa
Ulrike Grosse-Röthig ist Co-Vorsitzende der Linken in Thüringen. Sie wurde 1980 in Weimar geboren, ist evangelisch, verheiratet und hat zwei Kinder. Grosse-Röthig ist zudem seit 2021 stellvertretende Landesvorsitzende der Awo Thüringen.
Quelle: Awo Thüringen
Quelle: Imago
Johannes Vogel ist Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Er wurde 1982 in Wermelskirchen geboren, ist evangelisch, verheiratet und hat ein Kind.
Quelle: Bundestag
Unrealistisch oder die Zukunft der Arbeitswelt?
Für Vogel "wird es nicht funktionieren, wenn wir mehr Wohlstand und Aufstiegschancen haben wollen, dass wir alle weniger arbeiten fürs gleiche Geld". Er hält das für unrealistisch, fordert aber "mehr Flexibilität und Selbstbestimmung". Generell meint er, die Idee, "alle arbeiten weniger und wir haben trotzdem dasselbe Einkommen und den selben Wohlstand, das klappt nicht".
Für welche Branchen ist das Arbeitszeitmodell der Vier-Tage-Woche geeignet?15.05.2023 | 4:33 min
Grosse-Röthig dagegen sieht für die Arbeitswelt der Zukunft große Veränderungen. Sie glaubt:
Die Unternehmen mit Vier-Tage-Woche in Thüringen hätten "keinen Fachkräftemangel mehr, die haben zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die haben höhere Produktivität, die konnten ihre Umsätze steigern", sagt die Linken-Politikerin. Für sie ist "die Arbeitswelt von morgen die Vier-Tage-Woche", es sei nur die Frage, wie der Weg dorthin verlaufen soll.
Die üblichen 40 Regelstunden werden auf vier Tage umverteilt, sodass unter dem Strich vier 10-Stunden-Arbeitstage stehen.
Flexibler 100-80-100-Ansatz: 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit bei 100 Prozent des Gehalts, hundertprozentige Produktivität wird erwartet.
Vier Tage arbeiten bei reduzierter Wochenarbeitszeit und weniger Gehalt.
In Deutschland läuft seit dem 1. Februar 2024 die bisher größte heimische Pilotstudie "Intraprenör" zur Vier-Tage-Woche - an ihr nehmen knapp 50 Unternehmen teil. Wissenschaftlich begleitet wird das Experiment von der Universität Münster.
Vogel: Brauchen realistischen Blick auf die Produktivität
Vogel möchte vor allem das Arbeitsrecht flexibilisieren:
Es sei "gar nicht erlaubt, dass Menschen selbstbestimmt entscheiden, wie sie arbeiten." Ein weiterer wichtiger Punkt ist für ihn der realistische Blick auf die Produktivität: "Ein Fünftel, also 20 Prozent mehr Produktivität auf einen Schlag, das klappt nicht", sagt Vogel. Es sei zudem "nicht Aufgabe der Politik", über die Vier-Tage-Woche zu entscheiden, "sondern das sollten die Tarifpartner machen".
Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf laut Arbeitszeitgesetz (ArbZG) acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
Grosse-Röthig möchte, dass die Politik hier Rahmen setzt: "Es geht nicht darum, den Menschen etwas aufzustülpen, sondern es geht darum, die Möglichkeit zu schaffen." Sie sieht weitere Arbeitszeitmodelle wie die "lebensphasenorientierte Arbeitszeit".
Zufriedenere Beschäftigte und weniger Fachkräftemangel - das soll die Vier-Tage-Woche bringen, so deren Befürworter. Die Industrie sieht dabei ihre Produktivität in Gefahr.16.05.2023 | 6:27 min
Unternehmen in ihrer Heimat Thüringen berichten nach ihren Worten, dass eine 20-Prozent-Steigerung der Produktivität mit der Vier-Tage-Woche möglich sei. Vogel freut sich über die "neue" Flexibilität der Linken, er nimmt "gerne das Angebot heute an, dass die Linke mit mir plötzlich für die Modernisierung des Rechtes ist."
Die Frage, ob der Staat Unternehmen finanziell bei der Einführung der Vier-Tage-Woche unterstützen soll, beantworten die beiden Gäste des Moma-Duells im ZDF-Morgenmagazin erwartbar unterschiedlich. Die Politikerin der Linken hätte nichts dagegen und argumentiert mit positiven Beispielen aus Spanien. Für FDP-Mann Vogel bleibt staatliche Unterstützung ein Zeichen dafür, dass es am Markt eben nicht funktioniert.
Die Vier-Tage-Woche ist in Belgien seit Ende 2022 gesetzlich verankert. Angestellte können ihre wöchentliche Arbeitszeit auch an vier Tagen absolvieren, alternativ kann gegen Gehaltsabzug die Stundenzahl verringert werden.
Island führte von 2015 bis 2019 Pilotprojekte und Studien durch, bei denen die Arbeitszeit reduziert wurde. Mittlerweile ist das Konzept gesetzlich verankert. 90 Prozent der Erwerbstätigen haben aktuell reduzierte Arbeitszeiten oder andere Anpassungen.
An einer Studie in Großbritannien nahmen 202261 Unternehmen und rund 2.900 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teil. Die Ergebnisse verdeutlichen: 39 Prozent der Mitarbeiter fühlten sich durch den 100-80-100-Ansatz weniger gestresst, 71 Prozent wiesen am Ende der Studie ein geringeres Burnout-Niveau auf. Auch Angstzustände, Müdigkeit und Schlafprobleme gingen zurück. Von den 61 Unternehmen hielten ein Jahr nach der Untersuchung 54 an der Vier-Tage-Woche fest.
In Australien und Irland, Spanien und Portugal laufen Modellprojekte.