Liveblog
Umstrittener Termin:Vertrauensfrage im Januar - warum eigentlich?
von Christian Harz
|
Noch-Kanzler Scholz will erst im neuen Jahr die Vertrauensfrage stellen - das stört viele. Warum nicht jetzt? Auch der Wahlsieg Donald Trumps dürfte dabei eine Rolle spielen.
Die Ampel ist am Ende, Ende März soll es Neuwahlen geben. Doch in Berlin rumort es weiter, die Opposition fordert direkte Neuwahlen. Wie geht es jetzt weiter?07.11.2024 | 46:23 min
Erst zwei Monate nach der finalen Eskalation und dem endgültigen Ampel-Aus will Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) dem Bundestag die Vertrauensfrage stellen - mit Neuwahlen im März als Resultat des erwarteten Nicht-Vertrauens. Viel zu spät, sagen nicht nur Oppositionspolitiker.
"Er muss jetzt die Vertrauensfrage stellen", bekräftigt Alexander Dobrindt, der die CSU als Spitzenkandidat in den sich abzeichnenden Wahlkampf führen will, im ZDF. Der Bundeskanzler solle zeigen, "dass er genauso staatspolitische Verantwortung trägt - und jetzt nicht auf Zeit spielt". Der wiederum will jedoch am Termin festhalten.
Vertrauensfrage jetzt stellen, baldige Neuwahlen, schnell eine neue stabile Regierung, das ist das Credo des CSU-Landesgruppenchefs. "Sehr zügig, so zügig wie möglich", heißt es auch vereinzelt aus der Partei der Grünen, die neben der SPD in der Regierung verbleiben.
Nach dem Ampel-Aus höre er den Ruf nach staatsmännischer Verantwortung der Union, sagt Landesgruppenchef Dobrindt.07.11.2024 | 3:35 min
Auch Grünen-Politiker fordert Neuwahlen
Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, appelliert, jetzt nicht auf das zu setzen, was der Kanzler seinem gefeuerten Finanzminister vorwirft: Parteitaktik. Kretschmann fordert ebenfalls, zügig Neuwahlen einzuleiten. Er könne den Zeitpunkt aber nicht entscheiden, die Entscheidung liege allein beim Kanzler.
Olaf Scholz könne den Status Quo "sehr lange durchhalten", erklärt der Politologe Karl-Rudolf Korte im ZDF. "Das ist eine ganz starke Position, die das Grundgesetz ihm einräumt." Heißt: Wann der amtierende SPD-Kanzler die Vertrauensfrage stellt, ist verfassungsrechtlich allein ihm überlassen.
Warum mit dem Rest weiterampeln?
Dass die Mehrheit des Kabinetts per konstruktivem Misstrauensvotum Scholz zuvorkommen und ihn, analog zum Jahr 1982, stürzen könnte, das ist derzeit nicht wirklich vorstellbar. Damals schloss sich die FDP mit der Union zusammen, um Helmut Kohl (CDU) ins Bonner Kanzleramt zu hieven.
- Historische Parallelen: Wie die FDP schon zweimal Koalitionen platzen ließ
Der Kanzler hat durch das Entlassen eines Ministers Provokation in den Gang gebracht - das sei ungewöhnlich, sagt Politikwissenschaftler Karl-Rudolf-Korte. 07.11.2024 | 3:39 min
Warum also bis Januar warten und bis kommendes Frühjahr im Kanzleramt kleben bleiben? Fakt ist auch: Am gestrigen Tag, als der Ampel endgültig der Stecker gezogen wurde, hat der Wahlkampf begonnen. Die FDP kämpft dabei um den Wiedereinzug in den Bundestag, der Rest der Ampel um die eigene Bedeutung und künftige Mehrheiten.
Politologe: Zeit, um Wahlprogramme auszutesten
Offiziell begründet das Kanzleramt den anvisierten Termin damit, "dass der Wahlkampf dann mitten in die Weihnachtszeit reinfallen werde", so ZDF-Hauptstadtstudioleiterin Diana Zimmermann.
SPD und Grüne werden als Minderheitsregierung in den nächsten Wochen und Monaten versuchen, Wahlprogramme und Mobilisierungen auszutesten, glaubt auch Politologe Korte. Scholz setze darauf, dass die Bevölkerung möglicherweise erkenne, dass er "vielleicht einen Aufbruch organisieren kann".
- Folgen des Ampel-Aus: Minderheitsregierung heißt nicht sofort Chaos
Zu diesem benötige der Kanzler "aber noch bis Weihnachten, so sein Kalkül, Mehrheiten im Parlament". Es sei jedoch "absolut schwer nachvollziehbar", dass "auch noch - durch so lautes Rufen, wie auch immer - Scholz Mehrheiten hinbekommt, die nicht zusammenkommen können", so Korte.
Die Ampel-Regierung ist zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Finanzminister Christian Lindner entlassen. Wie es mit dem FDP-Chef und seiner Partei weitergeht.07.11.2024 | 20:20 min
Die Rolle des Trump-Siegs
Auch der "Ausgangspunkt dieser Scheidungssituation der Ampel" dürfte ins Kalkül des Kanzlers für die verzögerte Vertrauensfrage einfließen, so Korte. Fünf Tage nachdem der Bundestag nach jetzigem Plan über das Vertrauen zu Scholz abstimmen soll, zieht mit Donald Trump ein Präsident ins Weiße Haus, der immer wieder betont, die Ukraine-Hilfen einzudämmen und sich sicherheitspolitisch aus Europa zurückzuziehen. Für Deutschland heißt das:
"Und bei so einem Thema kann ich mir durchaus vorstellen, dass die berühmte staatspolitische Verantwortung […] ausreicht, dass die Union solche Entscheidungen mittragen wird", so Korte. Falls nicht, könnte die SPD Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) eine Blockadehaltung vorwerfen.
Mit einem Erdrutsch-Sieg ist Trump zurück im Amt des US-Präsidenten, mit mehr Macht als je zuvor. Seine Wahlkampf-Drohungen waren deutlich, auch gegen Deutschland und Europa.07.11.2024 | 10:29 min
Doch wird die Union mitziehen? Gleichzeitig dürfte auch in dieser Situation die Frage eine Rolle spielen, wie das Mehr an Geld im Haushalt berücksichtigt wird. So lässt Unions-Politiker Alexander Dobrindt bereits durchblicken: "Wir sind sehr dafür, dass die Ukraine mehr Unterstützung bekommt. Das kann man sehr wohl im Bundestag mitentscheiden." Aber:
Mehr zum Ampel-Beben
mit Video
Treffen mit CDU-Chef Merz:Scholz hält an Neuwahltermin im März fest
von Dominik Rzepka
mit Video
Was nun, Herr Lindner?:"Vogel friss oder stirb"
von Kristina Hofmann
mit Video
Entlassung des Finanzministers:Lindner wirft Scholz "kalkulierten Bruch" vor
von Tim-Julian Schneider