Tomahawk und Co. in Deutschland:Warum die USA Raketen bei uns stationieren
von Nils Metzger
|
Die USA werden ab 2026 Langstreckenraketen und Marschflugkörper in Deutschland stationieren. Damit soll Russland abgeschreckt werden. Das ist bislang zu den Plänen bekannt.
Berlin und Washington vereinbaren erstmals seit dem Kalten Krieg u.a. Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Es gehe darum, "Abschreckung sicherzustellen", so Scholz.11.07.2024 | 2:37 min
Erstmals seit Ende des Kalten Krieges werden die USA wieder Langstreckenraketen in Deutschland stationieren. Das haben Berlin und Washington am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels bekannt gegeben.
Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von über 2.000 Kilometern, sehr unterschiedliche Bewaffnungen möglich
Raketen vom Typ SM-6, die oft zur Flugabwehr dienen, hier aber in einer Konfiguration gegen Bodenziele geliefert werden
Eine neuartige, noch in Entwicklung befindliche Hyperschallrakete
Beim BGM-109 Tomahawk handelt es sich um einen Marschflugkörper. Auch wenn diese Flugkörper Raketen ähnlich sehen, sind sie doch etwas anderes. Während ballistische Raketen von ihrem Antrieb auf eine bogenförmige, ballistische, Flugbahn gebracht werden und dann auf ihr programmiertes Ziel "stürzen", haben Marschflugkörper einen permanenten Antrieb, oft kleine Tragflächen und fliegen in niedriger Höhe ihrem Ziel entgegen. Die Tomahwks sind rund 880 Kilometer pro Stunde schnell und haben eine Reichweite von mehr als 1.650 Kilometern. Es gab bis zum INF-Abrüstungsvertrag eine Tomahawk-Version, die Nuklearsprengköpfe tragen konnte. Dieser Typ wurde aber bis 1991 völlig abgerüstet. Die aktuellen Tomahawk-Marschflugkörper können während des Fluges auf neue Ziele umprogrammiert werden und verschiedene konventionelle Gefechtsköpfe tragen.
Die Standard Missile 6 (SM-6) ist eine Flugabwehr-Rakete zur Bekämpfung von Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern oder ballistischen Raketen (innerhalb der Erdatmosphäre). Die SM-6 ist mehr als 4.000 Kilometer pro Stunde schnell und hat eine Reichweite von mehr als 370 Kilometern. Es gibt Versionen die von Land, aus der Luft oder von Schiffen eingesetzt werden können. Obwohl die SM-6 originär eine Flugabwehr-Rakete ist, gibt es eine modifizierte Version für den Einsatz gegen Ziele am Boden. Diese Version ist nach Angaben von Experten für die Stationierung in Deutschland vorgesehen.
Die US-Hyperschallwaffen sind noch nicht serienreif – die Entwicklung scheint aber weit fortgeschritten. Darauf weisen erfolgreiche Test über dem Pazifik im März 2024 hin. Dabei wurde eine AGM-183 Air-launched Rapid Response Weapon (ARRW) von einem Langstrecken-Bomber des Typs B-52 auf Starthöhe gebracht, und erreichte nach der Trennung vom Trägerflugzeug mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit. In Rahmen eines weiteren Hyperschall-Projekts entwickelt die US Army die "Dark Eagle Long Range Hypersonic Weapon (LRHW)", ein landgestütztes System, dessen Flugkörper mehr als 6.000 Kilometer pro Stunde schnell sein sollen und deren Reichweite mit mindestens 2.750 Kilometern angegeben wird. Tim Thies vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg vermutet, dass die USA bei der angekündigten Stationierung mit "Dark Eagle" planen.
Quellen: ZDF, AFP, Reuters, globalsecurity.org
Es sind also Waffensysteme, die vor allem feindliche Ziele in großer Entfernung treffen sollen. An die Bundeswehr werden diese Waffen nicht übergeben, sie verbleiben weiterhin unter Kontrolle der US-Armee. Es handelt sich auch ausschließlich um konventionelle Waffen, keine Atomraketen.
Nach verheerenden russischen Angriffen - wie die Ukraine Lufthoheit erlangen kann. Generalmajor Freuding und Ex-US-General Hodges über die militärische Lage bei ZDFheute live. 11.07.2024 | 38:31 min
Der Einsatz von Raketen und Marschflugkörpern kann auf ganz unterschiedlichen Arten erfolgen. In diesem Fall sind mobile Abschussvorrichtungen wahrscheinlicher als etwa eigens gebaute Raketensilos.
"Ich gehe aktuell davon aus, dass das mit dem System 'Typhon' gelöst wird. Das sind Begleitfahrzeuge sowie Sattelschlepper, die jeweils einen Container ziehen. In diesen wiederum stecken die Abschussvorrichtungen und in diesen wiederum jeweils vier Marschflugkörper Tomahawk oder SM-6", erklärt der Sicherheitsforscher Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München.
Russland reagiert mit deutlichen Worten auf die geplante Stationierung von US-Waffen in Deutschland ab 2026. Diana Zimmermann und Armin Coerper berichten.11.07.2024 | 2:31 min
Wo werden die Raketen genau stationiert?
Genaue Details, wo die Raketen stationiert werden, sind noch nicht bekannt. Das Verteidigungsministerium in Berlin verwies auf Nachfrage auf die US-Streitkräfte, aus dem Pentagon kam bislang keine Antwort. Die USA verfügen über zahlreiche Standorte in Deutschland und Europa. Wo etwa die US-Atomwaffen in Europa stationiert sind, sehen Sie auf dieser Karte:
Standorte der Nato-Atomwaffen in Europa
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Möglich ist, dass die nun zu verlegenden Waffensysteme Teil der "Second Multi-Domain Task Force" mit Sitz in Wiesbaden werden. Diesen Verband aktivierte die US-Armee 2021. Wiesbaden ist auch Sitz des 56. US-Artilleriekommandos, das schon in den Jahren bis 1991 dort über weitreichende Pershing-Raketen verfügte. Für Frank Sauer kommt die Ankündigung daher auch nicht überraschend:
Was ihn jedoch erstaune, ist, dass nicht auch die Stationierung von PrSM, neuartiger Raketenmunition für den aus der Ukraine bekannten Himars-Raketenwerfer, angekündigt wurde, so Sauer zu ZDFheute.
Verteidigungsminister Pistorius äußert sich zu den Plänen der USA, Langstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren.11.07.2024 | 7:21 min
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestätigte am Donnerstag in Washington, dass "diese Entscheidung lange vorbereitet" und "für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung", sei, so der Kanzler. Deutschland müsse "einen eigenen Schutz haben mit Abschreckung", und dazu seien die Präzisionswaffen notwendig.
Ex-US-General Hodges hält die Stationierung von US-Marschflugkörpern in Deutschland für überfällig. Russland habe schon vor Jahren Langstreckenraketen in Kaliningrad stationiert. 11.07.2024 | 4:43 min
Was unterscheidet die Pläne vom Nato-Doppelbeschluss in den 1980ern?
Die Pläne wecken Erinnerungen an Spannungsphasen des Kalten Kriegs. 1983 stationierten die USA im Rahmen des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses Langstreckenraketen in Deutschland. Anders als damals geht es heute nicht um die Stationierung von Atomraketen, sondern um konventionelle Waffen.
"Nato-Soldaten sagen No!": Demo mit Raketen-Attrappe
Trotz Verbot nehmen Bundeswehrsoldaten in Uniform an einer Großdemonstration am 22. Oktober 1983 im Bonner Hofgarten teil. Mit dabei: eine Attrappe einer Pershing-2-Rakete.
Quelle: dpa
Der Beschluss verbindet die Ankündigung der Nachrüstung bei nuklearen Mittelstreckenraketen mit der Forderung nach Abrüstungsverhandlungen. 06.10.2011 | 3:10 min
Was ist der Zweck dieser neuen Stationierung?
Für den Experten Sauer ist die Verlegung der US-Raketen auch eine Reaktion auf russische Aufrüstung - insbesondere in der Exklave Kaliningrad, von wo aus Raketen schnell ganz Europa erreichen können. "Russland hat bereits 2016 in Kaliningrad Iskander-Systeme installiert, die Nuklearsprengköpfe tragen können. Das Lager für selbige wurde von 2016 bis 2018 renoviert. Schon lange vor der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 stand also wieder eine russische nukleare Bedrohung für uns im Raum."
Die russische Exklave Kaliningrad mit den europäischen Nachbarstaaten.
Quelle: ZDF
Mit den geplanten Waffen theoretisch bald Ziele weit in Russland erreichen zu können, soll Moskau von Angriffen auf Nato-Gebiet abhalten. Wie damals auch ist diese Absicherung glaubhafter, wenn der Nato für solch einen Schritt nicht vor allem große Interkontinentalraketen, also die maximale Eskalation, zur Verfügung stehen, sondern Raketen mit unterschiedlicher Zerstörungskraft.
Hat die Nato eine Strategie, um Putins Aggression einzudämmen? Ex-Nato-General Ramms ordnet ein.09.07.2024 | 32:58 min
Was sind die langfristigen Pläne für die US-Raketen?
Die Mitteilung des Weißen Hauses stellt klar, dass es sich um "episodische" Stationierungen auf Rotationsbasis handele. Das bedeutet, die US-Waffen werden nicht auf unbegrenzte Zeit in Deutschland bleiben.
Für Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist damit klar die Erwartung verbunden, "dass wir selber investieren in die Entwicklung und Beschaffung von derartigen Abstandswaffen", sagte Pistorius an diesem Donnerstag im Deutschlandfunk. Die Verlegung durch die USA werde "uns genau die Zeit geben, die wir dafür brauchen."
Aktuell verfügt die Bundeswehr über keine eigenen Langstreckenraketen. Die begrenzt verfügbaren Marschflugkörper vom Typ Taurus können Ziele bis zu 500 Kilometer entfernt treffen. Sauer verweist auf die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, wo festgehalten ist, dass man "die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähigen Präzisionswaffen befördern", wolle.
Im Juni hatten Deutschland, Frankreich und Polen eine Kooperation bei der Entwicklung neuer "weitreichender Abstandswaffen" verkündet. Am Donnerstag berichtete die "FAZ", dass sich auch Italien dem Projekt angeschlossen habe. Die neue Rakete soll eine Reichweite von "deutlich mehr als Tausend Kilometer" haben, berichtete die Zeitung. Weitere Details sind noch nicht bekannt.
Russlands neue Taktik stellt eine Bedrohung dar, der die ukrainische Flugabwehr nicht vollständig begegnen kann. Ob neue Patriots helfen können, bleibt abzuwarten.