Warum die USA Raketen in Deutschland stationieren

    FAQ

    Tomahawk und Co. in Deutschland:Warum die USA Raketen bei uns stationieren

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Die USA werden ab 2026 Langstreckenraketen und Marschflugkörper in Deutschland stationieren. Damit soll Russland abgeschreckt werden. Das ist bislang zu den Plänen bekannt.

    NATO 75th anniversary summit
    Berlin und Washington vereinbaren erstmals seit dem Kalten Krieg u.a. Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Es gehe darum, "Abschreckung sicherzustellen", so Scholz.11.07.2024 | 2:37 min
    Erstmals seit Ende des Kalten Krieges werden die USA wieder Langstreckenraketen in Deutschland stationieren. Das haben Berlin und Washington am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels bekannt gegeben.

    Um welche Waffen geht es und was können sie?

    Die kurze Pressemitteilung des Weißen Hauses benennt drei konkrete Waffensysteme, die ab 2026 in Deutschland eintreffen sollen.
    • Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von über 2.000 Kilometern, sehr unterschiedliche Bewaffnungen möglich
    • Raketen vom Typ SM-6, die oft zur Flugabwehr dienen, hier aber in einer Konfiguration gegen Bodenziele geliefert werden
    • Eine neuartige, noch in Entwicklung befindliche Hyperschallrakete
    Die Infografik zeigt die Reichweite verschiedener US-Waffensysteme. Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Das Ziel: Nato-Verbündete in Europa schützen. Zu den Waffensystemen gehören SM-6-Raketen gegen Bodenziele (bis zu 370 Kilometer), Tomahawk-Marschflugkörper (bis zu 1.650 Kilometer) und Hyperschallwaffen vom Typ AGM-183 (bis zu 3.000 Kilometer Reichweite).




    Es sind also Waffensysteme, die vor allem feindliche Ziele in großer Entfernung treffen sollen. An die Bundeswehr werden diese Waffen nicht übergeben, sie verbleiben weiterhin unter Kontrolle der US-Armee. Es handelt sich auch ausschließlich um konventionelle Waffen, keine Atomraketen.
    Generalmajor Christian Freuding und Ex-US-General Ben Hodges vor Kampfjet, Ukraine-Karte
    Nach verheerenden russischen Angriffen - wie die Ukraine Lufthoheit erlangen kann. Generalmajor Freuding und Ex-US-General Hodges über die militärische Lage bei ZDFheute live. 11.07.2024 | 38:31 min
    Der Einsatz von Raketen und Marschflugkörpern kann auf ganz unterschiedlichen Arten erfolgen. In diesem Fall sind mobile Abschussvorrichtungen wahrscheinlicher als etwa eigens gebaute Raketensilos.
    "Ich gehe aktuell davon aus, dass das mit dem System 'Typhon' gelöst wird. Das sind Begleitfahrzeuge sowie Sattelschlepper, die jeweils einen Container ziehen. In diesen wiederum stecken die Abschussvorrichtungen und in diesen wiederum jeweils vier Marschflugkörper Tomahawk oder SM-6", erklärt der Sicherheitsforscher Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München.
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    Russland reagiert mit deutlichen Worten auf die geplante Stationierung von US-Waffen in Deutschland ab 2026. Diana Zimmermann und Armin Coerper berichten.11.07.2024 | 2:31 min

    Wo werden die Raketen genau stationiert?

    Genaue Details, wo die Raketen stationiert werden, sind noch nicht bekannt. Das Verteidigungsministerium in Berlin verwies auf Nachfrage auf die US-Streitkräfte, aus dem Pentagon kam bislang keine Antwort. Die USA verfügen über zahlreiche Standorte in Deutschland und Europa. Wo etwa die US-Atomwaffen in Europa stationiert sind, sehen Sie auf dieser Karte:
    Standorte der Nato-Atomwaffen in Europa

    ZDFheute Infografik

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    Möglich ist, dass die nun zu verlegenden Waffensysteme Teil der "Second Multi-Domain Task Force" mit Sitz in Wiesbaden werden. Diesen Verband aktivierte die US-Armee 2021. Wiesbaden ist auch Sitz des 56. US-Artilleriekommandos, das schon in den Jahren bis 1991 dort über weitreichende Pershing-Raketen verfügte. Für Frank Sauer kommt die Ankündigung daher auch nicht überraschend:

    Nein, daran überrascht nichts. Wenn man sich anschaut, was in einer Multi-Domain Task Force vorgesehen ist, dann waren SM-6 und Tomahawk zu erwarten.

    Frank Sauer, Universität der Bundeswehr München

    Was ihn jedoch erstaune, ist, dass nicht auch die Stationierung von PrSM, neuartiger Raketenmunition für den aus der Ukraine bekannten Himars-Raketenwerfer, angekündigt wurde, so Sauer zu ZDFheute.
    SGS Pistorius
    Verteidigungsminister Pistorius äußert sich zu den Plänen der USA, Langstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren.11.07.2024 | 7:21 min
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestätigte am Donnerstag in Washington, dass "diese Entscheidung lange vorbereitet" und "für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung", sei, so der Kanzler. Deutschland müsse "einen eigenen Schutz haben mit Abschreckung", und dazu seien die Präzisionswaffen notwendig.
    Ex-General-Major Ben Hodges zugeschaltet aus Washington
    Ex-US-General Hodges hält die Stationierung von US-Marschflugkörpern in Deutschland für überfällig. Russland habe schon vor Jahren Langstreckenraketen in Kaliningrad stationiert. 11.07.2024 | 4:43 min

    Was unterscheidet die Pläne vom Nato-Doppelbeschluss in den 1980ern?

    Die Pläne wecken Erinnerungen an Spannungsphasen des Kalten Kriegs. 1983 stationierten die USA im Rahmen des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses Langstreckenraketen in Deutschland. Anders als damals geht es heute nicht um die Stationierung von Atomraketen, sondern um konventionelle Waffen.
    bundeswehrsoldaten demonstrieren in bonn 1983 gegen die nachruestung
    bonner friedensdemonstration - 1983
    Grüne blockieren 1983 US-Militärgelände in Frankfurt/Main
    friedenscamp gegen atomraketen
    schmidt, helmut im bundestag - 1982
    abtransport einer rakete nach inf-abkommen 1988

    "Nato-Soldaten sagen No!": Demo mit Raketen-Attrappe

    Trotz Verbot nehmen Bundeswehrsoldaten in Uniform an einer Großdemonstration am 22. Oktober 1983 im Bonner Hofgarten teil. Mit dabei: eine Attrappe einer Pershing-2-Rakete.

    Quelle: dpa


    Der NATO-Doppelbeschluss
    Der Beschluss verbindet die Ankündigung der Nachrüstung bei nuklearen Mittelstreckenraketen mit der Forderung nach Abrüstungsverhandlungen. 06.10.2011 | 3:10 min

    Was ist der Zweck dieser neuen Stationierung?

    Für den Experten Sauer ist die Verlegung der US-Raketen auch eine Reaktion auf russische Aufrüstung - insbesondere in der Exklave Kaliningrad, von wo aus Raketen schnell ganz Europa erreichen können. "Russland hat bereits 2016 in Kaliningrad Iskander-Systeme installiert, die Nuklearsprengköpfe tragen können. Das Lager für selbige wurde von 2016 bis 2018 renoviert. Schon lange vor der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 stand also wieder eine russische nukleare Bedrohung für uns im Raum."
    Karte: Kaliningrad
    Die russische Exklave Kaliningrad mit den europäischen Nachbarstaaten.
    Quelle: ZDF

    Mit den geplanten Waffen theoretisch bald Ziele weit in Russland erreichen zu können, soll Moskau von Angriffen auf Nato-Gebiet abhalten. Wie damals auch ist diese Absicherung glaubhafter, wenn der Nato für solch einen Schritt nicht vor allem große Interkontinentalraketen, also die maximale Eskalation, zur Verfügung stehen, sondern Raketen mit unterschiedlicher Zerstörungskraft.

    Im Licht der russischen Aggression bleibt aber aktuell nichts anderes, als bestimmte Fähigkeitslücken in Europa zu füllen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Perspektivisch muss man das alles irgendwann wieder wegverhandeln.

    Frank Sauer, Universität der Bundeswehr München

    Putin ist abgebildet vor einer Karte der Mitgliedsstaaten der Nato.
    Hat die Nato eine Strategie, um Putins Aggression einzudämmen? Ex-Nato-General Ramms ordnet ein.09.07.2024 | 32:58 min

    Was sind die langfristigen Pläne für die US-Raketen?

    Die Mitteilung des Weißen Hauses stellt klar, dass es sich um "episodische" Stationierungen auf Rotationsbasis handele. Das bedeutet, die US-Waffen werden nicht auf unbegrenzte Zeit in Deutschland bleiben.
    Für Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist damit klar die Erwartung verbunden, "dass wir selber investieren in die Entwicklung und Beschaffung von derartigen Abstandswaffen", sagte Pistorius an diesem Donnerstag im Deutschlandfunk. Die Verlegung durch die USA werde "uns genau die Zeit geben, die wir dafür brauchen."
    Auf der Infografik wird der Marschflugkörper Taurus gezeigt. Die Waffe findet und zerstört ihr Ziel selbstständig. Dafür wird der Flugweg mehrere Tage vorgeplant und in der Waffe abgespeichert.
    Aktuell verfügt die Bundeswehr über keine eigenen Langstreckenraketen. Die begrenzt verfügbaren Marschflugkörper vom Typ Taurus können Ziele bis zu 500 Kilometer entfernt treffen. Sauer verweist auf die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, wo festgehalten ist, dass man "die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähigen Präzisionswaffen befördern", wolle.
    Im Juni hatten Deutschland, Frankreich und Polen eine Kooperation bei der Entwicklung neuer "weitreichender Abstandswaffen" verkündet. Am Donnerstag berichtete die "FAZ", dass sich auch Italien dem Projekt angeschlossen habe. Die neue Rakete soll eine Reichweite von "deutlich mehr als Tausend Kilometer" haben, berichtete die Zeitung. Weitere Details sind noch nicht bekannt.

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