"Form von Alltagsrassismus":"Biodeutsch" ist Unwort des Jahres 2024
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Nach "Remigration" im Jahr 2023 ist "biodeutsch" zum Unwort des Jahres 2024 gekürt worden. Der Begriff teile Menschen anhand "vermeintlich biologischer Abstammungskriterien" ein.
Unwort des Jahres: "biodeutsch"
Quelle: dpa
Der Begriff "biodeutsch" ist zum "Unwort des Jahres" 2024 gekürt worden. Das gab die Jury der sprachkritischen "Unwort"-Aktion am Montag in Marburg bekannt. Der Begriff sei im vergangenen Jahr verstärkt im öffentlichen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch sowie vor allem in den sozialen Medien verwendet worden, "um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren", begründete die Jury ihre Entscheidung.
Die mit dem Gebrauch von biodeutsch einhergehende Unterteilung in angeblich "echte" Deutsche und in Deutsche zweiter Klasse ist eine Form von Alltagsrassismus.
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Jury "Unwort des Jahres"
Der Begriff "biodeutsch" sei ursprünglich ironisch als satirischer Ausdruck verwendet worden, erklärte Jurysprecherin Constanze Spieß, Professorin für Pragmalinguistik an der Universität Marburg. Seit mehreren Jahren werde er aber unreflektiert wörtlich verwendet: "Dabei wird 'Deutschsein' naturbezogen begründet, um eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiografie vorzunehmen."
Das Wort diene im Zusammenhang mit Substantiven wie "Biodeutsche" dazu, "Menschengruppen, die vor dem Gesetz gleich sind, ungleiche Eigenschaften zuzuschreiben und sie somit hierarchisch zu klassifizieren".
"Heizungsverbot" auf Platz zwei
Auf Platz zwei landete der Begriff "Heizungsverbot". Der im Zusammenhang mit dem Gebäudeenergiegesetz verwendete Ausdruck sei irreführend und verwendet worden, um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren.
"Remigration" war Unwort des Jahres 2023
2023 wurde der rechte Kampfbegriff "Remigration" zum Unwort des Jahres gekürt. Das Wort werde als beschönigende Tarnvokabel benutzt, hieß es damals zur Begründung. Tatsächlich solle damit eine menschenunwürdige Abschiebepraxis verschleiert werden.
"Importierter Antisemitismus" ist persönliches Unwort
Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion "Unwort des Jahres" besteht aus vier Sprachwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, einer Journalistin sowie jährlich wechselnden Mitgliedern. In diesem Jahr beteiligten sich die Publizistin und Politologin Saba-Nur Cheema sowie Meron Mendel, Publizist, Historiker und Pädagoge sowie Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Sie kürten den Begriff "importierter Antisemitismus" zu ihrem persönlichen Unwort.
Der Ausdruck suggeriere, dass Judenhass vor allem mit dem Zuzug von Migrantinnen und Migranten zu einem Problem geworden sei, hieß es in der Begründung. Der Begriff werde vor allem in rechten Kreisen verwendet, um Musliminnen und Muslime sowie Menschen mit Migrationsbiographie auszugrenzen "und vom eigenen Antisemitismus abzulenken", erklärte die Jury.
Mehr als 3.000 Einsendungen
Das "Unwort des Jahres" wird nach verschiedenen Kriterien aus Vorschlägen ausgewählt, die Bürgerinnen und Bürger jeweils bis 31. Dezember eines Jahres einsenden können. Insgesamt gab es dieses Mal 3.172 Einsendungen, das waren erneut deutlich mehr als im vorangegangenen Jahr. Sie enthielten 655 verschiedene Ausdrücke, von denen rund 80 den Kriterien der Jury entsprachen.
Als "Unwort des Jahres" kommen nach Angaben der Verantwortlichen Begriffe und Formulierungen infrage, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind. Wie häufig ein Begriff vorgeschlagen wurde, ist nicht entscheidend für die Kür zum "Unwort" des Jahres.
Rechte Parteien und Rechtsextreme würden den Ausdruck beschönigend für ihre Forderung nach Zwangsausweisungen und Deportationen missbrauchen, argumentierte die Unwort-Jury. Remigration sei ein "rechter Kampfbegriff" und eine "beschönigende Tarnvokabel".
Die Verwendung des Begriffs kritisiert die Jury, weil Aktivistinnen und Aktivisten mit Terroristen "gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden". Gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands würden so in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.
Der aus dem Englischen stammende Begriff bedeutet zurückdrängen oder zurückschieben und wird im Zusammenhang mit möglichen illegalen Zurückweisungen von Migranten an der EU-Außengrenzen verwendet. Die Jury kritisiert die Nutzung des Ausdrucks, "weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess" beschönigt werde.
Erstmals gibt es ein "Unwort"-Paar: "Corona-Diktatur" sei ein Begriff von sogenannten Querdenkern und rechten Propagandisten, um die Politik zur Eindämmung der Pandemie zu diskreditieren.
"Rückführungspatenschaften" sei zynisch und beschönigend. Mit Rückführung sei nichts anderes gemeint als Abschiebung und die Patenschaft sei ein eigentlich positiv besetzter Begriff.
Mit dem Wort werden nach Auffassung der Jury Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert.
Der Ausdruck "Anti-Abschiebe-Industrie" wurde 2018 durch den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag eingeführt. Laut Jurymitglied Janich zeigt sich dadurch "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern."
Die Bezeichnung "alternative Fakten" ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen, so die Jury.
Das Schlagwort werde "antidemokratisch und diffamierend verwendet", begründete eine Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, die Entscheidung.
Der Vorwurf diffamiere Hilfsbereitschaft und Toleranz pauschal als naiv und dumm, begründet die "Unwort"-Jury ihre Wahl.
Diese pauschale Verurteilung "verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit", so die Jury.
Der Ausdruck diskriminiert laut Jury Menschen, "die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu".
Die "Unwort"-Jury kritisiert, der Begriff stelle Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann hatte die Wortschöpfung, die seine Frau Miriam erfunden habe, unter anderem in einem "Spiegel"-Interview verwendet. Darin ergänzte er: "Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden."
Dieser Begriff ist für die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Terroristen verwendet worden. Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, erklärt die Jury.
Das Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei.
Damit würden Arbeitnehmer-Interessen in völlig unangemessener Weise als Seuche dargestellt.
Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf. (Quelle: dpa)
Quelle: dpa
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