Klimaschutzprojekte in China:Ministerin geht von Umweltkriminalität aus
von Hans Koberstein, Marta Orosz
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Umweltministerin Lemke äußert sich erstmals zu den betrügerischen Klimaschutzprojekten. ZDF frontal hatte aufgedeckt, dass mehr als ein Viertel der Projekte vorgetäuscht waren.
Umweltministerin Steffi Lemke fordert konsequente Aufklärung vom UBA (Archivbild).
Quelle: dpa
Der Umweltausschuss des Bundestages hat zum ersten Mal Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zu den Betrugsvorwürfen bei Klimaschutzprojekten der Mineralölindustrie befragt. Es geht um CO2-Projekte in China, mit denen die Ölkonzerne in Deutschland ihre gesetzlichen Klimavorgaben erfüllen. Die für die Genehmigung dieser Projekte zuständige Behörde, das Umweltbundesamt (UBA), unterliegt der Aufsicht der Ministerin.
"Es ist möglich, dass wir es hier mit einem Fall von schwerer Umweltkriminalität zu tun haben", sagte Lemke. Sie forderte konsequente Aufklärung vom UBA und erwartet, dass "mit hohem Tempo weiter gemacht wird". Das UBA prüft derzeit 40 Projekte aus insgesamt 69, die in China genehmigt worden sind.
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ZDF-Recherche: Viele UER-Projekte vorgetäuscht
Für die Prüfung vor Ort beauftragte das UBA bereits eine internationale Anwaltskanzlei, die auch in China tätig ist. Zudem erstattete die Behörde Ende Mai eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin. Die prüft derzeit, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.
Mit der Idee von sogenannten Upstream Emission Reduction Projekten gab der Gesetzgeber in Deutschland 2020 Mineralölkonzernen eine zusätzliche Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erfüllen. Bei den meisten Projekten sollen CO2-Emissionen bei der Ölförderung reduziert werden. In der Regel soll das Begleitgas, das bei der Förderung anfällt, nicht mehr abgefackelt, sondern genutzt werden.
Für jedes Kilogramm CO2, das so eingespart wird, gibt es ein UER-Zertifikat. Diese Zertifikate können Mineralölkonzerne nutzen, um ihre gesetzliche Treibhausgasminderungsquote zu erfüllen. Außerdem können sie die Zertifikate an andere Mineralölunternehmen verkaufen. Anfangs war ein UER-Zertifikat mehr als 400 Euro wert. Der Preis ist mittlerweile stark gefallen.
Umweltministerin: "Wir haben ein fehleranfälliges System geerbt"
Aus Sicht von Ministerin Lemke habe ihr Ministerium frühzeitig reagiert: Am 22. Mai beschloss das Bundeskabinett, die Möglichkeit von UER-Projekten früher als geplant abzuschaffen, auch wegen der Betrugshinweise, so die Ministerin. Eine hinreichende Kontrolle habe systembedingt nicht stattfinden können. Nun sei das betrugsanfällige System abgestellt: Seit dem 1. Juli sind keine neuen Projektanträge mehr möglich.
Aus den Antworten der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht hervor, dass das Umweltministerium erstmals bereits im Oktober 2023 vom UBA über einen möglichen Verdachtsfall erfahren hat.
Ministerin Lemke selbst wurde vom Betrugsverdacht allerdings erst im Mai dieses Jahres informiert. Christian Hirte (CDU), Mitglied im Umweltausschuss, kritisiert, dass das Ministerium bis Mai nicht hinreichend tätig wurde. "Warum nichts gemacht wurde, ist für uns nicht nachvollziehbar", sagt Hirte.
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Erste personelle Konsequenz im Umweltbundesamt
Im UBA gibt es mittlerweile eine erste personelle Konsequenz. Die Behörde suspendierte nach Informationen von ZDF frontal im Zuge der Betrugsvorwürfe einen leitenden Mitarbeiter, der für die Zulassung der UER-Projekte verantwortlich war. Auf Nachfrage wollte sich das UBA zu der Suspendierung nicht äußern.
Das UBA hat zudem zwei Projekte rückabgewickelt. Projektträger, die Anträge für Freischaltung von UER-Nachweisen bei dem UBA eingereicht hatten, zogen ihre Anträge in vier Fällen zurück.
Weisgerber: Ministerin trägt Verantwortung
Doch der Handel mit UER-Zertifikaten läuft weiterhin, er könne nicht gestoppt werden, erklärte das Umweltministerium. Die beteiligten Unternehmen müssten damit rechnen, dass sich einmal erworbene UER-Zertifikate im Nachhinein als gefälscht herausstellen können.
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Die umweltpolitische Sprecherin der Union, Anja Weisgerber (CSU), sieht ein Kontrollversagen. "Die Ministerin trägt aus meiner Sicht die politische Verantwortung", sagt Weisgerber. "Sie muss jetzt schleunigst und deutlich aufklären. Meiner Meinung nach ist sie jetzt unter Druck."
Ihr Fraktionskollege Christian Hirte (CDU) wies darauf hin, dass das Geld nicht für echte Klimaschutzmaßnahmen, sondern für gefälschte Zertifikate ausgegeben wurde. Am Mittwoch sagte er:
Der Schaden ist eher der, dass Klimaschutzprojekte nicht auf den Weg gebracht wurden.
„
Christian Hirte, CDU
Hans Koberstein und Marta Orosz sind Redakteure in der ZDF-Redaktion frontal.
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