Interview
Polen-Experte zu Tusk-Besuch:Neuer Motor für die Sicherheitspolitik?
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Tusk besucht erstmals seit seiner Wahl Berlin. Nicht, ohne vorher einen Abstecher nach Paris zu machen. Daran hat auch die PiS Schuld, erkärt Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang.
Zwei Monate nach Amtsantritt besucht Polens Regierungschef Donald Tusk Berlin. Kanzler Scholz und Tusk sehen die Chance für einen Neuanfang.12.02.2024 | 2:19 min
ZDFheute: Donald Tusk ist seit zwei Monaten im Amt. Warum besucht er erst jetzt Berlin?
Kai-Olaf Lang: Tusk muss auf die innenpolitische Situation in seinem Heimatland Rücksicht nehmen. Die nationalkonservative Opposition brandmarkt ihn als willfährigen Handlanger Deutschlands. Deswegen ist er umsichtig.
Er hat ein ganz klares außen- und europapolitisches Ziel. Er möchte Polen in das politische Gestaltungszentrum Europas zurückführen. Der Weg dahin führt über die Zusammenarbeit mit Frankreich und Deutschland.
ZDFheute: Tusk war in der Ukraine, auch Polen fühlt sich von Russland bedroht. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen gerade jetzt?
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Lang: Wir haben einen geopolitischen Kontext, der ein Mehr an deutsch-polnischer Zusammenarbeit erfordert. Für Deutschland ist Polen jetzt ein attraktiver Partner mit einer europafreundlichen Regierung, mit einer neuen sicherheitspolitischen Rolle an der Ostflanke der Nato.
Deutschland und Polen, möglicherweise auch gemeinsam mit Frankreich im Rahmen des "Weimarer Dreiecks", können wichtige Beiträge dazu leisten, dass die Europäische Union sich reformiert, dass sie sich erweiterungsfähig macht und dass die Unterstützung der Ukraine gesichert wird.
Zwei Monate nach Amtsantritt besucht Polens Regierungschef Donald Tusk Berlin. Kanzler Scholz und Tusk sehen die Chance für einen Neuanfang.12.02.2024 | 2:19 min
ZDFheute: Tusk hat sich über europäische Politiker beklagt, die die Ukraine nicht mehr ins Zentrum rücken. Kann man dann davon sprechen, dass man auf der Suche ist nach einer Koalition der Willigen, also nach Polen, Deutschland und Frankreich, die bei der Ukraine-Hilfe vorangeht?
Lang: Tusk wird sicherlich versuchen, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz davon zu überzeugen, die Hilfen für die Ukraine hochzufahren und nachhaltig zu sichern.
Die drei Länder als Schwungrad in der Europäischen Union, wenn es darum geht, die östliche Nachbarschaft zu unterstützen.
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ZDFheute: Wie schwierig ist es, dass die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen zwar abgewählt wurde, aber nach wie vor sehr machtvoll ist und ihm ja auch unterstellt, er sei ein deutscher Agent?
Lang: Tusk hat dementsprechend die Choreografie seiner Auslandsreisen gewählt: Erst Paris, dann Berlin.
Wir treten jetzt in eine neue Periode der deutsch-polnischen Beziehungen ein, die sicherlich nicht leicht sein wird, weil wir nach wie vor auch Interessensunterschiede haben. Aber Tusk zieht daraus andere Schlüsse als die Vorgängerregierung: Er sagt, natürlich haben wir Unterschiede, aber genau deswegen müssen wir mehr zusammenarbeiten.
Quelle: SWP
... ist Politologe bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Außen- und Sicherheitspolitik Polens sowie die bilateralen Beziehungen zu Deutschland.
ZDFheute: Deutschland hat Polen den Weg in die EU und in die Nato geebnet. Polen galt lange als "kleiner Bruder" Deutschlands. Ist das Verhältnis zwischen den Ländern nun auf Augenhöhe?
Lang: Es gibt natürlich ein strukturelles Machtgefälle zwischen Deutschland und Polen. Deutschland hat ein größeres Potenzial - politisch, militärisch, wirtschaftlich. Aber die Dinge haben sich in den letzten Jahren geändert. Polen hat sich wirtschaftlich sehr dynamisch entwickelt, seit es in der Europäischen Union ist. Polen spielt eine Schlüsselrolle an der Ostflanke der Nato, investiert immens in seine Streitkräfte, in seine Rüstung. Und Polen hat ein Sonderverhältnis zu den Vereinigten Staaten.
Deutschland braucht Polen, Polen braucht Deutschland. Beispielsweise bei den Reformen, die die Europäische Union vor sich hat. Beispielsweise bei der Frage, wie kann die Gemeinschaft erweiterungsreif gemacht werden. Und natürlich, wenn es darum geht, dass die Europäische Union ein effektiver geopolitischer und sicherheitspolitischer Akteur wird.
Das Interview führte Britta Spiekermann
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