TikTok-Videos: So ködern Rechtsextreme Kinder & Jugendliche

    Safer Internet Day:TikTok: So ködern Rechtsextreme Jugendliche

    von Laura Ozdoba
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    Rechtsextreme Ideologien, versteckt hinter Hashtags: Extremisten umgarnen mit TikTok-Videos gezielt Kinder und Jugendliche. Experten warnen vor schleichender Radikalisierung.

    Hände halten ein Smartphone, auf dem das TikTok-Logo zu sehen ist.
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    Sanfte Musik und eine Frau, die die Lippen passend zum Text bewegt - Videos wie diese sind auf TikTok nichts Besonderes. Das sogenannte "Lipsyncen" ist auf der chinesischen Kurzvideoplattform stark verbreitet.
    Erst bei genauerem Hinhören fällt auf: Der Text des Songs enthält eine völkisch-nationale Botschaft, ruft auf zu Kampf und Widerstand für "Heimat, Freiheit, Tradition".

    Klicks mit unscheinbaren Clips generieren

    Auch das nächste Video wirkt zunächst unscheinbar: "Wisst ihr, was das Geheimnis ist, warum ich so gut aussehe?", fragt ein durchtrainierter Mann in die Kamera. Die Anwort: "Chicken Nuggets und Milchshake von Netto." Dann ist der auf Unterhaltung ausgelegte, siebensekündige Clip auch schon vorbei.
    Kaum genug Zeit, um den Slogan auf seinem T-Shirt der Neonazi-Szene zuzuordnen. Oder gar zu erkennen, dass es sich um einen verurteilten militanten Neonazi handelt.
    Videos wie diese gewinnen auf TikTok immer weiter an Popularität. Rechtsextreme Akteure verschleiern ihre Ideologien hinter Jugendsprache, Hashtags und Emojis und versuchen mit plattformgerechten Clips gezielt Kinder und Jugendliche zu erreichen. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz warnt vor einer schrittweisen Radikalisierung.
    TikTok: Gefahren rechtsextremer Inhalte
    Rechtsextreme Inhalte auf TikTok - welche Gefahr birgt die Plattform für Kinder und Jugendliche? Politikwissenschaftlerin Eva Berendsen erläutert die Problematik.06.02.2024 | 5:02 min

    Ziel: Auf TikTok rechtsextremen Nachwuchs rekrutieren

    Dass die Szene gerade TikTok auswählt, um ihre Propaganda zu verbreiten, ist kein Zufall. Rechtsextreme Akteure wollen Nachwuchs rekrutieren, junge Menschen, die noch keine feste moralische Haltung oder politische Meinung haben.
    Und an kaum einem anderen Ort können sie so viele potenzielle Anhänger ansprechen. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Plattform sehr beliebt - 54 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen nutzen TikTok regelmäßig. Daraus ergibt sich der Schritt auf die Plattform, sagt Daniel Hajok, Professor für für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Erfurt:

    Wenn es um die Rekrutierung neuer Kader geht, müssen die Rechten im Prinzip auf TikTok gehen.

    Daniel Hajok, Kommunikations- und Medienwissenschaftler

    TikTok-Algorithmus und rechtsextreme Symbolik

    Entgegen kommt den Rechtsextremisten dabei der Algorithmus der Plattform. Dieser sorgt dafür, Nutzerinnen und Nutzern eine individualisierte Abfolge von Clips auf die sogenannten "For You-Pages" zu spielen. Wer sich für ein Thema interessiert, bekommt also immer mehr passende Videos vorgeschlagen.
    Wer es einmal auf die "For You-Pages" einiger Nutzerinnen und Nutzer geschafft habe, könne eine relativ große Reichweite erzielen, wenn sich die Videos viral verbreiten, erklärt Daniel Hajok.
    So kann es passieren, dass Nutzer, die sich für Lipsyncen begeistern, auch Rechtsrock-Videos vorgeschlagen bekommen. Wer sich über Umweltthemen informiert, bekommt mitunter Wandervideos von selbsternannten Survival-Experten angezeigt, die sich über Hashtags wie #patriot, #heimatverbunden oder Herzen in schwarz, weiß, rot mehr oder minder offensichtlich dem rechtsextremen Milieu zuordnen.
    Und bei denen, die sich für das aktuelle Weltgeschehen interessieren, "schaffen es eben dann natürlich auch extreme, radikale Auseinandersetzungen mit aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen in diese 'For You-Pages'", so Hajok.

    Gefahr: Mehr rechtes Gedankengut nach Erstkontakt

    Das Radikalisierungspotenzial auf TikTok selbst hält der Experte für relativ begrenzt. Der Knackpunkt sei jedoch, dass hier ein Erstkontakt mit entsprechendem Gedankengut, Einstellungen und Haltungen stattfinde.
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    Entwickeln Kinder und Jugendliche dann Interesse für diese Ideologien, können sie mit Leichtigkeit zu alternativen, ungeschützten Kommunikationskanälen wechseln. Oft verlinken rechtsextreme Akteure Telegram-Chats auf ihren Profilen, wo dann die eigentliche Radikalisierung stattfindet.
    TikTok untersagt Hassrede auf der Plattform und filtert einen Großteil hasserfüllter Beiträge nach eigenen Angaben noch vor der Veröffentlichung heraus. Bei der Sperrung von Konten und Löschung von Kommentaren greift das Unternehmen auf Moderation und KI-Tools zurück. Per Knopfdruck können Nutzende TikTok problematische Inhalte melden.

    Wie Radikalisierung auf TikTok verhindern?

    Dafür müssen Nutzerinnen und Nutzer jedoch in der Lage sein, rechtsextreme Inhalte zu identifizieren. Dabei sei es wichtig, mit Kindern und Jugendlichen über das zu sprechen, was sie auf TikTok sehen, meint die Politikwissenschaftlerin Eva Berendsen. Es sei besser, einen verantwortungsvollen Umgang zu vermitteln statt Verbote auszusprechen.

    Eltern können in der Schule dafür eintreten, dass es medienpädagogische Angebote gibt. Da ist ganz klar eine Lücke zu füllen.

    Eva Berendsen, Leiterin Politische Bildung, Bildungsstätte Anne Frank

    Auch Angebote von etablierten Medien und Organisationen können helfen, jungen Menschen eine kritische Haltung beizubringen. Und die ist nötig, denn soziale Netzwerke wie TikTok und Co. sind und bleiben fester Teil der Lebensrealität von vielen Kindern und Jugendlichen.

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