Thüringen: CDU vor Verfassungsgericht gegen AfD erfolgreich

    Nach Chaos im Thüringer Landtag:AfD unterliegt der CDU vor Verfassungsgericht

    von Daniel Heymann und Alexandra Tadey
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    Nach der Chaos-Sitzung im Erfurter Landtag hat nun der Thüringer Verfassungsgerichtshof klargestellt: Der AfD-Alterspräsident muss Anträge der anderen Fraktionen zulassen.

    Thüringen, Weimar: Ein Schild vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof weist auf den Sitz des Gerichts hin.
    Erst nach 22 Uhr kamen die Verfassungsrichter am Freitagabend zu einer Entscheidung.
    Quelle: dpa

    Es war ein skurriles Schauspiel, das am Donnerstag im Thüringer Landtag dargeboten wurde. In der Hauptrolle: der 73-jährige Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD.
    Treutler entzog anderen Abgeordneten das Wort, ließ ihre Anträge nicht zu, wollte sogar ihre Mikrofone abschalten lassen - und maßte sich so Befugnisse an, die weit über das eher zeremonielle Amt eines Alterspräsidenten hinausgehen.
     Thüringen, Erfurt: Jürgen Treutler (AfD, r), Alterspräsident des Landtags, und Torben Braga, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, unterhalten sich während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.
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    Nach über vier Stunden voller Unterbrechungen, Zwischen- und Ordnungsrufen kündigte die CDU deshalb den Gang vor den Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar an.
    Die Richterinnen und Richter haben am Freitagabend nun im Eilverfahren entschieden: Das Verhalten des Alterspräsidenten war verfassungswidrig. Treutler habe sowohl das Recht des Parlaments auf Selbstorganisation als auch die Rechte der Abgeordneten auf freie Mandatsausübung missachtet.

    Gericht: Alterspräsident muss neutral agieren

    Die Entscheidung macht deutlich, dass der Alterspräsident bei Ausübung seiner Rolle Zurückhaltung zu üben hat. Mangels demokratischer Legitimation und besonderer Qualifikation sind seine Befugnisse allein auf die vorläufige Leitung der Sitzung bis zur Wahl des Landtagspräsidenten beschränkt:

    Der Alterspräsident ist, anders als der Landtagspräsident, gerade nicht oberster Repräsentant des Landtags. Er hat alleine eine 'dienende Aufgabe' gegenüber dem Parlament […].

    Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs (VerfGH 36/24)

    Treutler hingegen, dem während der Sitzung immer wieder die AfD-Abgeordneten Torben Braga und Stefan Möller beratend zur Seite standen, sah in dem Amt offensichtlich eine parteipolitische Bühne - dass die AfD eine Eskalation und den Gang vor den Verfassungsgerichtshof provozieren wollte, hat er inzwischen offen zugegeben.
    Thüringen, Erfurt: Andreas Bühl (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer, meldet sich zur Geschäftsordnung während der konstituierenden Sitzung des Landtags.
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    Wie geht es jetzt weiter?

    Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss klargestellt: Es ist eines der fundamentalen Rechte eines Parlaments, sich selbst zu organisieren.
    Bei der konstituierenden Sitzung des Landtags, die am Samstag fortgesetzt werden soll, haben dementsprechend auch die anderen Fraktionen das Recht, ihre Anträge zu stellen.

    Der Landtagspräsident oder die Landtagspräsidentin ist eine Art Aushängeschild oder Visitenkarte des Thüringer Parlaments. Im Amt vereinen sich sowohl repräsentative als auch organisatorische Aufgaben: Unter anderem vertritt er oder sie den Landtag nach außen, führt die Geschäfte, übt Hausrecht oder Ordnungs- und Polizeigewalt aus - kann also auch entscheiden, wem Zutritt zum Landtag gewährt oder verweigert wird.

    Alle Fraktionen können Kandidaten vorschlagen

    Mit einer entsprechend geänderten Geschäftsordnung haben sie ebenso wie die AfD die Möglichkeit, sofort Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen - und so endlich die Arbeitsfähigkeit des Parlaments herzustellen:

    Die beabsichtigte Regelung, die vorsieht, dass sämtliche Fraktionen […] für den ersten Wahlgang Wahlvorschläge für die Wahl des Landtagspräsidenten unterbreiten dürfen, verletzt das Verfassungsrecht nicht. […] Eine Nichtbehandlung des […] Antrags durch den Alterspräsidenten kommt deshalb unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.

    Medieninformation zum Beschluss des Verfassungsgerichtshofs

    Ob sich die AfD sich an die Vorgaben aus Weimar hält, ist unklar. Bislang hat sich die Partei in maximaler Provokation geübt. Für das Amt der Landtagspräsidentin will sie die Abgeordnete Wiebke Muhsal vorschlagen. Muhsal wurde im Jahr 2018 rechtskräftig verurteilt - wegen Betrugs am Landtag.

    Höcke schimpft auf "Kartellparteien"

    Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD, sprach mit Blick auf die chaotische Sitzung von einem "Tiefpunkt parlamentarischer Kultur" - verursacht jedoch nicht durch das Verhalten Treutlers, sondern durch angebliche "Obstruktion der Kartellparteien".
    Bildmontage: Portraitaufnahme von Björn Höcke - linke Seite: aktuelles Foto und rechte Seite älteres Foto von Björn Höcke
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    Die Verfassungsrichter wiederum seien nach "Altparteienproporz" bestimmt.

    CDU erleichtert

    Die CDU begrüßte die Entscheidung des Verfassungsgerichts am Freitagabend. Es habe das "rechtsmissbräuchliche Verhalten des Alterspräsidenten" eindeutig festgestellt und ihn verpflichtet, so zu verfahren, wie es die Parlamentsmehrheit verlange.
    Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, betonte, dass damit alle Voraussetzungen für einen geordneten parlamentarischen Ablauf erfüllt seien.

    Die Entscheidung des Gerichts setzt klare Leitplanken, um einen Landtagspräsidenten zu wählen und damit die Arbeitsfähigkeit des Parlaments herzustellen.

    Andreas Bühl, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion

    Was auch immer passiert, wenn die Sitzung am Samstagmorgen fortgesetzt wird: Der Ton für diese Legislaturperiode ist gesetzt. Die neue stärkste Kraft im Landtag hat deutlich gemacht, wie sie mit ihrer Position umzugehen gedenkt. Für die anderen Parteien dürfte auch der parlamentarische Alltag zur Herausforderung werden.
    Daniel Heymann und Alexandra Tadey sind Mitglieder der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
    Quelle: dpa, ZDF

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