Thüringer Landtag: Wie geht es nach der Chaos-Sitzung weiter?
Chaos-Sitzung unterbrochen:Thüringer Landtag: Wie geht es nun weiter?
von D. Heymann und V. M. Rolke
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Nach über vier Stunden voller Unterbrechungen, Zwischen- und Ordnungsrufen war klar: Der Verfassungsgerichtshof muss die Regeln für die konstituierende Sitzung klarstellen.
Die konstituierende Sitzung war von heftigem Streit geprägt - und ohne Wahl des Landtagspräsidenten. Thüringens Verfassungsgericht soll nun Klarheit über Verfahrensfragen liefern.26.09.2024 | 2:59 min
Die erste Sitzung eines neu gewählten Parlaments verläuft in der Regel unspektakulär. Es geht um Formales, Organisatorisches - Fragen um die Geschäftsordnung eines Landtags sind üblicherweise von überschaubarem politischem Interesse.
Anders gestern in Erfurt, als der neue thüringische Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammentrat. Zwischen der neuen stärksten Kraft im Parlament, der AfD, und den anderen Fraktionen kam es zum Eklat. Im Mittelpunkt: Der sitzungsleitende Alterspräsident Jürgen Treutler, 73, von der AfD, dem der CDU-Abgeordnete Bühl zwischenzeitlich sogar "Machtergreifung" vorwarf. Hinter dem Disput steht die Frage, nach welchen Regeln das wichtige Amt des Landtagspräsidenten besetzt wird.
Eine Einschätzung zu den Ereignissen gestern - und wie es heute, nachdem die CDU den Thüringer Verfassungsgerichtshof angerufen hat, weitergehen könnte:
Was genau ist passiert?
Eigentlich soll in dieser ersten Sitzung des Parlaments nach der Wahl der Landtagspräsident gewählt werden, erst dann ist das Parlament voll arbeitsfähig. Nach der Landesverfassung muss das innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl geschehen. Doch dazu kam es gestern nicht.
Die erste Sitzung des Thüringer Landtages verlief turbulent. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, warf Alterspräsident Jürgen Treutler "Machtergreifung" vor.26.09.2024 | 3:14 min
Konkret ging es um den Antrag von CDU und BSW zur Änderung der Geschäftsordnung. Ihr Ziel: Das Verfahren über das Vorschlagsrecht zum Landtagspräsidenten zu ändern. Bisher hat die stärkste Fraktion, aktuell also die AfD, das erste Vorschlagsrecht für die Wahl eines Landtagspräsidenten. Die anderen Parteien wollen daher das Verfahren ändern, um selbst bereits im ersten Wahlgang einen Vorschlag machen zu können.
AfD-Mann Treutler jedoch ignorierte diesen Antrag - und ging noch weiter: Er ließ keine Wortmeldungen zu, erteilte Ordnungsrufe, wollte sogar die Mikrofone abstellen lassen. Außerdem unterbrach er die Sitzung mehrmals. Die CDU rief daher nach über vier chaotischen Stunden Thüringens Verfassungsgerichtshof an.
War Treutlers Verhalten rechtswidrig?
Vieles spricht dafür, dass Treutler geltendes Recht missachtet hat, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Das Amt des Alterspräsidenten ist eigentlich nur ein zeremonielles - man erlangt es durch Lebensjahre, nicht durch demokratische Legitimation. Dementsprechend eingeschränkt sind nach Auffassung des Verfassungsrechtlers Michael Brenner von der Universität Jena seine Möglichkeiten:
Das Wort zu entziehen, Anträge nicht zuzulassen, Mikrofone abstellen zu wollen - das ist ein weites Überschreiten der Befugnisse eines Alterspräsidenten.
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Prof. Michael Brenner, Universität Jena
AfD-Alterspräsident Treutler weigerte sich, über ein neues Wahlverfahren zur Wahl des Landtagspräsidenten abstimmen zu lassen. Mehr dazu von ZDF-Korrespondentin Melanie Haack.26.09.2024 | 1:42 min
Brenner betont, dass die genannten Maßnahmen in der Entscheidungsgewalt eines Landtagspräsidenten liegen - der sei im Unterschied zum Alterspräsidenten aber von den Abgeordneten gewählt. Ohne diese Legitimation sei ein derartiges Verhalten nicht zu rechtfertigen.
Nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers hat Treutler durch seine Sitzungsleitung sowohl das Selbstorganisationsrecht des Parlaments als auch das das Recht der einzelnen Abgeordneten auf ihr freies Mandat verletzt.
Mit diesen Fragen wird sich heute der Thüringer Verfassungsgerichtshof in einem Eilverfahren beschäftigen, eine Entscheidung wird im Laufe des Abends erwartet. Dabei geht es nicht darum, ob einzelne Ordnungsrufe rechtswidrig waren - mit solchen Fragen des Geschäftsordnungsrechts befassen sich die Richterinnen und Richter in Weimar nicht.
Wenn es aber um das Recht des Parlaments auf Selbstorganisation und das freie Mandat der Abgeordneten geht, sind Kernbereiche des Verfassungsrechts betroffen. Deshalb rechnet Michael Brenner damit, dass den Eilanträgen von CDU und BSW stattgegeben wird:
Der Alterspräsident hat die Anträge der anderen Fraktionen einfach nicht zugelassen - damit ist die Selbstorganisation des Landtags genauso wie das freie Mandat klar betroffen.
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Prof. Michael Brenner, Universität Jena
Der neu gewählte Thüringer Landtag ist zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Es geht um die Frage: Wer wird Landtagspräsident/in?26.09.2024 | 1:39 min
Laut Brenner könnte der Verfassungsgerichtshof Treutler dazu verpflichten, die Anträge zuzulassen. Dann könnten alle Fraktionen Wahlvorschläge für das Amt des Landtagspräsidenten machen.
Hätte der Eklat verhindert werden können?
Dabei hätte es zu dieser Posse im Parlament nicht kommen müssen. Denn: Einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung, wie ihn CDU und BSW nun fordern, gab es in der letzten Wahlperiode bereits. Im Dezember 2023 hatten die seinerzeit noch im Landtag vertretenen Grünen denselben Antrag gestellt. Die offen formulierte Geschäftsordnung sollte geändert werden. Demnach sollten alle Fraktionen einen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen dürfen.
Doch die CDU lehnte diesen Vorschlag ab. Bühl, schon damals Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, meinte, man habe zu diesem Zeitpunkt keinen dringenden Handlungsbedarf gesehen. Deshalb richten sich die Blicke nun von Erfurt nach Weimar. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs heute Abend soll die Sitzung im Landtag morgen fortgesetzt werden.
Daniel Heymann und Vanessa Meilin Rolke arbeiten in der Redaktion Recht und Justiz.
Quelle: dpa
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