Umsturz in Syrien: Kritik an Abschiebedebatte

    Interview

    Syrischer Bürgermeister:"Eine Debatte, die nur Schaden hinterlässt"

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    Auf den Umsturz in Syrien folgte in Deutschland eine Abschiebedebatte. Ryyan Alshebl, Bürgermeister im Schwarzwald und 2015 selbst syrischer Flüchtling, äußert nun Kritik.

    Der Bürgermeister Ryyan Alshebl steht vor dem Rathaus in Ostelsheim.
    Ryyan Alshebl ist der erste Bürgermeister in Deutschland, der 2015 als Flüchtling aus Syrien kam.
    Quelle: Reuters

    Ryyan Alshebl floh 2015 aus Syrien vor Assads Regime. Im Nordschwarzwald fand er eine neue Heimat und Aufgabe: Seit zwei Jahren ist er Bürgermeister der Gemeinde Ostelsheim.
    Im Gespräch mit ZDFheute kritisiert er die Debatte um Abschiebungen und Fachkräfte und fordert mehr außenpolitisches Engagement Deutschlands.
    ZDFheute: Was bedeutet Ihnen das Ende des Assad-Regimes?
    Ryyan Alshebl: Freiheit. Für mich persönlich, meine Generation und die meiner Eltern ist ein Syrien ohne dieses brutale Regime kaum vorstellbar gewesen. Damit ist jetzt Schluss. Ich bin immer noch überwältigt.

    Aber das Land liegt in Trümmern. Der syrische Staat muss neu aufgebaut werden. Dabei kommt es auf die Syrer an, aber auch auf internationale Akteure.

    Ryyan Alshebl, Bürgermeister von Ostelsheim

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    ZDFheute: Wie sollte Deutschland den Wiederaufbau Syriens unterstützen?
    Alshebl: Zum einen mit humanitärer Hilfe. Damit Flüchtlinge, die jetzt im Libanon, der Türkei oder Jordanien leben, wieder langsam in Syrien Fuß fassen können.
    Zum anderen sollte sich Deutschland für eine Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz einsetzen. Dabei könnten Leistungen an Bedingungen und Fristen geknüpft werden, wie zum Beispiel demokratische Wahlen und eine neue Verfassung.
    Das wäre ein Prozess, der, denke ich, in drei bis vier Jahren abgeschlossen sein könnte.

    Der Bürgermeister von Ostelsheim Ryyan Alshebl lächelt in die Kamera.
    Quelle: Reuters

    Ryyan Alshebl (30) ist Bürgermeister der Gemeinde Ostelsheim im Schwarzwald. Vor neun Jahren floh er aus Syrien nach Deutschland, machte eine duale Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt und wurde Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Zur Bürgermeisterwahl im April 2023 trat er als parteiunabhängiger Kandidat an und gewann mit absoluter Mehrheit. Er ist der erste Bürgermeister in Deutschland, der 2015 als Flüchtling kam.

    ZDFheute: In Deutschland ist unterdessen eine Abschiebedebatte entflammt. Jens Spahn forderte 1.000 Euro Startgeld für Rückkehrer. Asyl-Verfahren wurden ausgesetzt. Wie bewerten Sie diese Debatte?
    Alshebl: Deutschland ist ein großartiges Land, die drittgrößte Volkswirtschaft weltweit und mehr oder weniger das wichtigste Land in Europa. Aber wir machen Politik wie eine Provinz. Wir schauen nur nach innen, statt nach außen.
    Wenn Jens Spahn jetzt Rückflüge und 1.000 Euro Startgeld fordert, macht er Wahlkampf für die CDU. Und wenn morgen zwei Millionen Flüchtlinge zu uns kommen, woher auch immer, dann würden wir uns hier nur streiten, ob wir sie ins Bürgergeld bringen oder unter dem Asylbewerberleistungsgesetz erwarten.
    Statt zu überlegen, wie wir ein effektiver Teil der Lösung sein können, Fluchtursachen bekämpfen können und geopolitisch vorgehen. Das ärgert mich.
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    ZDFheute: Ein anderer Aspekt der Debatte: Die Sorge, dass Fachkräfte mit syrischen Wurzeln Deutschland nun verlassen - zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte.
    Alshebl: Das ist eine Debatte, die nur Schaden hinterlässt. Es ist eine individuelle Entscheidung, ob man zurückgeht nach Syrien oder nicht. Wer zum Beispiel Kinder hat, die hier zur Schule gehen und besser Deutsch als Arabisch sprechen, wird bleiben wollen.
    Junge Familien werden ihr Leben hier nicht leichtfertig aufgeben. Ganz unabhängig von der Frage von Krieg oder Frieden. Für andere ist Deutschland nur ein Übergang.

    Junge Männer, die nicht gebunden sind, denen Perspektiven fehlen, werden sich die Frage eher stellen, ob sie zurückgehen.

    Ryyan Alshebl, Bürgermeister von Ostelsheim

    Und wer sein Land vor Ort wieder aufbauen will, sollte die Möglichkeit bekommen.
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    ZDFheute: Inwiefern schadet diese Debatte?
    Alshebl: Die AfD beispielsweise will die Frage, wer nun bleibt und wer geht, nicht differenziert führen. Sie vermittelt den Anschein, dass Menschen mit syrischen Wurzeln an sich problematisch sind. Sie wollen bei den Wählern den Eindruck erwecken, jetzt sei der Moment, diese Leute loszuwerden.
    Und das bleibt hängen bei denjenigen, die nicht nur ein Gewinn sind für Deutschland, sondern eher eine Notwendigkeit - wie Ärzte, Ingenieure oder Busfahrer. Sie fühlen sich nicht gewollt und nicht willkommen. Das wird der Gesellschaft insgesamt schaden.
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    ZDFheute: Was erwarten Sie, wie die Debatte nun weitergeht?
    Alshebl: Wir müssen jetzt schauen, dass die deutsche Außenpolitik tätig wird und zusammen mit europäischen Partnern Kontakte nach Syrien aufbaut. Damit dort Ruhe und Stabilität einkehrt und im Frühjahr eine Konferenz stattfinden kann, die diese Fragen von Wiederaufbau und Rückkehr von Geflüchteten aufgreift.
    Bis dahin wird man billige Rückkehrdebatten, federführend geführt von der AfD und der Union, nicht vermeiden können. Alles gut. Das kann man verkraften.
    Das Interview führte Luisa Houben, ZDF-Reporterin im Landesstudio Stuttgart.

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