Scholz vs. Lindner: Zum Bruch des Amtseids angestiftet?

    FAQ

    Vorwurf an Scholz:Lindner zum Bruch des Amtseids gedrängt?

    Samuel Kirsch
    von Samuel Kirsch
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    Wegen des Ukraine-Krieges will Kanzler Scholz die Schuldenbremse als Notsituation aussetzen. Ex-Minister Lindner behauptet, er hätte dazu seinen Amtseid brechen müssen. Stimmt das?

    Was nun, Herr Lindner?
    Die Ampel-Regierung ist zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Finanzminister Christian Lindner entlassen. Wie es mit dem FDP-Chef und seiner Partei weitergeht.07.11.2024 | 20:20 min
    Die Ukraine weiterhin unterstützen, Sozialleistungen aufrecht und Renten stabil halten, gleichzeitig in Wirtschaft und Infrastruktur investieren - es war ein anspruchsvoller Plan, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede nach dem Koalitionsbruch skizzierte. Die Frage "Wer soll das bezahlen?" beantwortete Scholz so:

    Das Grundgesetz sieht in Artikel 115 ausdrücklich vor, in einer außergewöhnlichen Notsituation einen Überschreitensbeschluss zu fassen (…). Der russische Angriffskrieg, der nun schon im dritten Jahr tobt, sowie alle seine Folgen sind eine solche Notsituation.

    Olaf Scholz, Bundeskanzler

    Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen hält dieses Vorgehen für verfassungswidrig. Er bezeichnete Scholz´ Pläne zum Aussetzen der Schuldenbremse in der ZDF-Sendung "Was nun?" als "leichtfertigen Umgang mit dem Grundgesetz":

    Wenn ich dem zugestimmt hätte, hätte ich meinen Amtseid verletzt.

    Christian Lindner, Finanzminister

    Olaf Scholz im Profil mit gesenktem Kopf
    Bundeskanzler Scholz zeigt sich gesprächsbereit, Organisatorisches könnte seiner Meinung nach aber dagegen sprechen. 09.11.2024 | 2:09 min
    Am Dissens über die Schuldenbremse zerbrach die Ampel-Koalition. Im Raum bleiben zwei gegensätzliche Behauptungen darüber, welche Schulden die Verfassung zulässt. Wer aber hat nun recht?

    Was sagt das Grundgesetz zur Schuldenbremse?

    Olaf Scholz beruft sich auf eine Ausnahme-Regelung zur Schuldenbremse. Danach kann der Bundestag beschließen, über das Limit der Schuldenbremse hinaus zusätzliche Kredite aufzunehmen.
    Christian Lindner und Olaf Scholz
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    Voraussetzung dafür ist eine "außergewöhnliche Notsituation", die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Sinn der Regelung: Der Staat soll handlungsfähig bleiben, wenn er mit Sondersituationen konfrontiert ist, die den Haushalt zusätzlich belasten.

    Kommt ein Krieg als Notlage in Betracht?

    Ein Krieg kommt als Notlage in Betracht. Der Gesetzgeber hatte, als er die Ausnahmeregelung 2009 schuf, neben Naturkatastrophen und Flugzeugunglücken etwa auch die Wiedervereinigung als "Ereignis von positiver historischer Tragweite" im Sinn. Das könnte dafür sprechen, dass auch länger andauernde Situationen wie der Ukraine-Krieg eine Notlage darstellen können.
    Ab welchem notlagenbedingten Finanzbedarf der Haushalt so belastet ist, dass zusätzliche Schulden gerechtfertigt sind, muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie der Gesetzgeber einschätzen. Eine Prognose, dass Deutschland sich nach einer Amtsübernahme Donald Trumps in der Ukraine künftig finanziell noch stärker engagieren muss, könnte sich durchaus innerhalb dieses Einschätzungsspielraums halten.
    Die Schuldenbremse sei nicht gleichbedeutend mit Einsparungen, so Finanzminister Lindner. Man müsse allerdings priorisieren: "Wir entscheiden also: Was ist wirklich erforderlich?"
    Die Schuldenbremse sei nicht gleichbedeutend mit Einsparungen, so Finanzminister Lindner. Man müsse allerdings priorisieren: "Wir entscheiden also: Was ist wirklich erforderlich?"05.09.2023 | 5:41 min

    Dürfen Notkredite zweckfremd verwendet werden?

    Entschließt der Gesetzgeber sich, Notkredite aufzunehmen, müssen sie aber - so das Bundesverfassungsgericht - auch zur Bekämpfung der Notlage eingesetzt werden, die die Zusatz-Kredite erst rechtfertigt. Sprich: Notkredite wegen des Ukraine-Kriegs könnten für Militärausgaben oder Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt werden. Bei Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise wird der Zusammenhang schon entfernter.
    Der Berliner Staatsrechtler Professor Alexander Thiele beantwortet die Frage so: "Wir haben die Trump-Wahl und damit verbunden den möglichen Ausstieg der USA aus den Ukraine-Hilfen. Gleichzeitig müssen wir in Europa nach der US-Wahl zusätzlich mit wirtschaftlichen Herausforderungen rechnen, Stichwort Zölle."

    Diese neue Lage vermag, nach meiner Ansicht, einen Überschreitensbeschluss genau jetzt zu tragen.

    Alexander Thiele, Staatsrechtsrechtler

    "Wenn Lindner hingegen behauptet, das sei offensichtlich verfassungswidrig", so Thiele weiter, "will er die Verantwortung für eigene politische Entscheidungen auf die Verfassung abschieben".
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    Nach Linders Rauswurf forderte die Opposition die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen im Januar. Im Streit über den Termin zeigt sich der Kanzler überraschend verhandlungsbereit.08.11.2024 | 2:26 min
    "Offensichtlich verfassungswidrig wäre ein Überschreitensbeschluss sicherlich nicht", meint auch Professor Henning Tappe, Steuerrechtsexperte der Universität Trier. Seine Einschätzung:

    Ich halte es für einen Grenzfall, es käme auf die konkrete Begründung an.

    Henning Tappe, Steuerrechtsexperte

    "Es ist jedenfalls nicht der klassische Fall für das Aussetzen der Schuldenbremse nach einem plötzlichen Ereignis wie einer Naturkatastrophe oder der Pandemie", betont Tappe. "Denn der Finanzbedarf für den Ukraine-Krieg besteht nun schon etwas länger und auch die Veränderungen nach der US-Wahl waren nicht unvorhersehbar."
    Bleibt also ein Befund: Zum Koalitionsbruch mag Olaf Scholz den Ex-Finanzminister je nach Lesart angestiftet haben - zum eindeutigen Bruch von Verfassung und Amtseid eher nicht.
    Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht & Justiz.

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    Quelle: ZDF

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