Sozialabgaben steigen: Wirtschaftsweise warnen vor Kosten
Exklusiv
Wirtschaftsweise warnen:Prognose: Sozialabgaben rauf auf 50 Prozent
von Julia Friedrichs
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Nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen werden die Rentenpläne der großen Parteien teuer für die Arbeitnehmer. Die Prognose für Kosten von Rente, Pflege und Gesundheit ist düster.
Jochen Breyer reist bis nach Japan, spricht mit den Wirtschaftsweisen und zeigt, wie Reformen das Rentensystem sichern könnten – aber Politik oft nicht handelt.14.01.2025 | 43:44 min
In einem exklusiven Papier für die ZDF-Dokumentation "Die Wahrheit über unsere Rente" hat der Wirtschaftsweise und Rentenexperte Martin Werding berechnet, wie sich die Sozialabgaben in einer alternden Gesellschaft entwickeln werden. Sein Ergebnis: "Die Summe der Beitragssätze von Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung wird bis 2035 mindestens auf rund 45 Prozent steigen. Danach wird es noch teurer."
Höhe der Sozialabgaben hängt von Rentenpolitik ab
Wie sehr die Sozialabgaben danach steigen werden, hängt von der Rentenpolitik der zukünftigen Regierung ab. CDU und CSU schließen Rentenkürzungen aus. Die SPD und Grüne sagen in ihren Wahlprogrammen zu, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren. AfD, Linke und BSW versprechen noch stärkere Rentensteigerungen.
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Bezahlen würden das, so Werdings Analyse, vor allem die Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Positionen der Parteien zur Rente
Kernversprechen der SPD ist, dass das Rentenniveau dauerhaft auf mindestens 48 Prozent festgeschrieben werden soll. An der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, der sogenannten Rente mit 63, hält die SPD fest. Das Renteneintrittsalter soll nicht steigen.
Auch die Union will das Rentenniveau stabil halten. Sie setzt bei der Finanzierung auf Wirtschaftswachstum. Die sogenannte Rente mit 63, also die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, will die CDU fortführen. Anders als noch im Grundsatzprogramm fordert die CDU in ihrem Wahlprogramm nicht mehr, das Renteneintrittsalter bei steigender Lebenserwartung mitsteigen zu lassen. Stattdessen soll mit der "Aktiv-Rente" das freiwillige Arbeiten über das Rentenalter hinaus gefördert werden.
Um Kinder an die private Vorsorge heranzuführen, plant die CDU eine "Frühstart"-Rente. Der Staat soll für Kinder zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr jeden Monat zehn Euro in ein privates Aktiendepot zahlen. Die CSU setzt sich für eine höhere Mütterrente ein.
Auch die Grünen wollen, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinkt. Sie hoffen, das durch mehr Zuwanderung und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen mitfinanzieren zu können. In einem ersten Schritt sollen Politiker gesetzlich versichert werden, "perspektivisch", wie es heißt, auch Beamte und Selbstständige. Die Grünen planen, dass der Staat Geld in einen Klima-Investitionsfonds investiert. Aus den Erträgen sollen die Zuschüsse an Menschen mit geringer und mittlerer Rente gezahlt werden.
Kernforderung der FDP ist eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Ein Teil der Rentenbeiträge soll in Zukunft in einen Fonds investiert werden. Die Erträge landen auf persönlichen Konten der Versicherten. Das Renteneintrittsalter will die FDP, wie sie betont, "flexibel" gestalten. Wer später in Rente geht, bekommt eine höhere Rente, wer früher ausscheidet, muss mit Abschlägen leben. Auch eine Teilzeitrente soll möglich sein.
Die AfD verspricht, die Renten anzuheben. Als Vorbild wird das österreichische Rentensystem genannt. Dort sind die Renten höher, aber auch die Beiträge und die Zuschüsse aus dem Haushalt. Um die steigenden Kosten für die Sozialversicherung auszugleichen, fordert die AfD eine Steuersenkung. Die Gesamtfinanzierung bleibt vage.
Die AfD will, dass auch Politiker gesetzlich versichert werden. Familien sollen zum Beispiel mit einem "Babystart-Geld" von 20.000 Euro Rentengutschrift gefördert werden.
Die Linke will das Rentenniveau anheben, das Renteneinstrittsalter absenken und die sogenannte Rente mit 63 nicht nach 45, sondern schon nach 40 Beitragsjahren auszahlen. Die Finanzierung bleibt vage. Aus der Rentenversicherung soll eine Erwerbstätigen-Versicherung werden, in die alle, auch Beamte und Selbständige, einzahlen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht möchte die Renten nach österreichischem Vorbild anheben. Dort sind die Renten höher, aber auch die Beiträge und die Zuschüsse aus dem Haushalt. Wer 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll eine Mindestrente in Höhe von 1.500 Euro bekommen. Renten sollen bis 2.000 Euro steuerfrei sein. Menschen, die wenig verdienen, sollen keine Sozialabgaben zahlen. Zur Finanzierung nennt das BSW höhere Steuern auf Kapital und Vermögen sowie eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze.
Quelle: Julia Friedrichs
15 Millionen Babyboomer gehen in Rente
Hintergrund ist, dass Deutschland in den nächsten Jahren besonders schnell und drastisch altern wird. Rund 15 Millionen Babyboomer gehen von nun an in Rente.
Als das Umlagesystem eingeführt wurde, zahlten im Schnitt sechs Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für einen Rentner. Im Jahr 2035 werden es nur noch zwei sein.
Im Jahr 2025 betragen die allgemeinen Beiträge laut Wirtschaftsweisem Martin Werding in der Sozialversicherung 18,6 Prozent in der Rentenversicherung, 14,6 Prozent in der Krankenversicherung, 3,6 Prozent in der Pflegeversicherung und 2,6 Prozent in der Arbeitslosenversicherung. Hinzu kommt der Zusatzbeitragssatz der Krankenkassen, im Schnitt 2,9 Prozent.
Das Rentenniveau ist ein rechnerisches Maß: Es zeigt das Verhältnis zwischen der sogenannten Standardrente (45 Jahre Beitragszahlung als Durchschnittsverdiener) und dem Durchschnittseinkommen der aktuellen Arbeitnehmer.
Wirtschaftsweise fordern Reformen bei der Rente
"Sozialabgaben in Höhe von rund 50 Prozent: Man sagt als Ökonom nicht so schnell, irgendetwas geht nicht. Aber da kommen wir in den Bereich", betont Martin Werding. Die Wirtschaftsweisen hatten deshalb die Politik zu Reformen bei der Rente aufgefordert. Auf einer Skala von eins bis zehn sähe sie den Handlungsbedarf bei der Rente bei zehn, so Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen.
Immer mehr Seniorinnen und Senioren müssen weiter arbeiten, weil die Rente nicht reicht. Die Zahl der Erwerbstätigen über 70 Jahre ist rasant gestiegen. Ohne ein Gegensteuern wird die Altersarmut weiter zunehmen.07.12.2024 | 4:43 min
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Weniger Geburten, weniger Zuwanderung mit Auswirkungen
Martin Werding geht in seinen Berechnungen von sehr günstigen Annahmen bei der Arbeitslosenquote, der Geburtenrate und der Zuwanderung aus. Er nimmt zum Beispiel an, dass jedes Jahr im Schnitt 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern. "Das ist definitiv kein Horrorszenario, sondern eher eine milde Variante", sagt er.
Sollte, wie in den letzten beiden Jahren, die Geburtenrate wieder sinken, sollten weitaus weniger Menschen nach Deutschland einwandern oder die Zahl der Arbeitslosen deutlich ansteigen, würden sich die Sozialabgaben noch stärker erhöhen.
Die Arbeitslosenquote ist Ende 2024 leicht gestiegen: auf 6 Prozent. Im Dezember waren gut 2,8 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, 170.000 mehr als im Vorjahreszeitraum.03.01.2025 | 0:22 min
Niedrige und mittlere Einkommen überdurchschnittlich belastet
Die Sozialabgaben belasten vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen überdurchschnittlich, da die Abgaben nur bis zu einer bestimmten Gehaltsgrenze, der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze, erhoben werden. Diese liegt bei der Kranken- und Pflegeversicherung bei rund 5.500 Euro Monatsverdienst, bei der Rente bei rund 8.000 Euro. Höhere Einkommen sind beitragsfrei.
2024 lagen die Beiträge bei 41,2 Prozent. Anfang 2025 erhöhte sich der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozent. Die Krankenkassen hoben den Zusatzbeitrag im Schnitt um 0,8 Prozent an. Damit liegen die Sozialabgaben bei über 42 Prozent und nähern sich einem historischen Höchststand.
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Keine "magische Grenze" im Grundgesetz
Die große Koalition unter Angela Merkel hatte noch das Versprechen abgegeben, die Beiträge bei 40 Prozent zu deckeln. Der ehemalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier wollte dieses Limit sogar als "magische Grenze" ins Grundgesetz schreiben.
Als Wirtschaftsweise bezeichnet man die Mitglieder des sogenannten "Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage". Das Gremium aus Wirtschaftsexperten soll der Bundesregierung regelmäßig Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung im Land vorlegen.
Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Mitgliedern, berufen von der Bundesregierung. Derzeit sind das
An der Bundestagswahl können 41 Parteien teilnehmen. Das hat der Bundeswahlausschuss in einer zweitägigen Sitzung entschieden. Alle News hier im Wahlkampf-Ticker.