Schuldzuweisungen nach Solingen: Blame Game in der Politik

    Schuldzuweisungen nach Terrortat:Nach Solingen: Blame Game in der Politik

    von Nicole Diekmann und Adrian Lächele
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    Wer trägt die politische Verantwortung für den Messerangriff in Solingen? Kurz vor den Landtagswahlen schieben sich die Parteien in dieser Frage gegenseitig die Schuld zu.

    Konsequenzen nach Messerattacke Solingen
    Am Vormittag sprachen Kanzler Scholz und Oppositionsführer Merz über Konsequenzen nach dem Anschlag. Scholz hatte bereits eine Verschärfung des Waffenrechts angekündigt.27.08.2024 | 1:32 min
    Die Tat von Solingen hat drei Menschen das Leben gekostet, acht wurden verletzt - und das ganze Land erschüttert. Die Politik zeigt nach dem mutmaßlichen Terroranschlag altbekannte Verhaltensmuster. Dazu gehört das so genannte Blame Game (Schuldzuweisungen) in Richtung der politischen Konkurrenz.
    In Anbetracht der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am kommenden Sonntag einerseits in scharfer Form - in Anbetracht auch föderaler Besonderheiten, Verantwortlichkeiten und Versäumnisse allerdings gleichzeitig in unterschiedlichen Teilaspekten.
    Michael Kretschmer bei Wahlkampfveranstaltung in Sachsen
    CDU und SPD in Sachsen fordern nach der Messerattacke in Solingen schärfere Maßnahmen gegen Straftäter. Aber es wächst auch die Sorge, dass die AfD von der schrecklichen Tat profitiert. 27.08.2024 | 2:01 min

    Merz fordert "Rückführungen"

    Friedrich Merz war am Wochenende vorgeprescht. Öffentlichkeitswirksam und selbstverständlich auch aus strategischen Gründen forderte er in seinem Newsletter einen Aufnahmestopp von Menschen aus Afghanistan und Syrien sowie die Möglichkeit, abgelehnte sowie straffällig gewordene Asylbewerber in die beiden Länder zurückzuführen. "Rückführung" ist das freundlichere Wort für "Abschiebungen".
    ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer bei ZDFheute live.
    Friedrich Merz "schwankt zwischen Anklage und Angebot", so ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer. Merz lege den Finger in die "offene migrationspolitische Wunde" der Ampel.27.08.2024 | 6:52 min
    Heute nun legt Merz nach. Nach einem rund einstündigen Treffen mit dem Bundeskanzler sagte Merz in Berlin:

    Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land.

    Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

    Bereits am Sonntag hatte Merz sehr deutlich an die Adresse der Ampel-Regierung ausgeteilt: "Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen", adressierte Merz im ARD-Brennpunkt deutlich, wo seiner Ansicht nach die Verantwortlichkeiten liegen.
    CDU-Chef Friedrich Merz bei seiner Bundespressekonferenz.
    Man sei nicht in der Politik, um zu beschreiben, was nicht möglich ist, sagt CDU-Chef Friedrich Merz. Dann müsse man Gesetze ändern, so Merz mit Blick auf den Anschlag in Solingen.27.08.2024 | 75:51 min

    Offenbar Fehler in NRW passiert

    Was Merz zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste und sich aber immer deutlicher abzeichnet: Ein eklatanter Fehler scheint im von seinem Parteikollegen Hendrik Wüst regierten Nordrhein-Westfalen passiert zu sein. Für Abschiebungen sind die Länder zuständig.
    Der mutmaßliche Terrorist von Solingen sollte nicht in seine Heimat Syrien abgeschoben werden, sondern in das Land zurückgeschickt, das laut Dublin-Regel für sein Aufnahmeverfahren zuständig ist. Dann spricht man von "Überstellung". Zuständig war Bulgarien, das sich auch bereit erklärte, den Mann zurückzunehmen. Oft scheitern Überstellungen am Veto der eigentlich zuständigen Staates.

    Versäumnisse der Behörden?

    Die Behörden in NRW trafen Issa al H. aber innerhalb der Frist nicht an - und scheinen, Stand jetzt, auch keine übermäßigen Anstrengungen unternommen zu haben, ihn noch zu finden. Darauf wiederum verwies der Sprecher der Bundesregierung, Regierungssprecher und Scholz-Vertrauter Steffen Hebestreit.
    Scholz besucht Solingen
    Der tödliche Messeranschlag in Solingen hat eine Debatte über innere Sicherheit ausgelöst. Bundeskanzler Scholz kündigte am Montag bei einem Gedenkbesuch am Tatort Konsequenzen an.27.08.2024 | 2:36 min
    Das reichte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul jedoch gleich weiter und betonte die Zuständigkeit seiner Kabinettskollegin Josefine Paul. Die Familienministerin sitzt für die Grünen am Düsseldorfer Lagerungstisch.

    Abschiebungen: Realität hinkt hinterher

    Die Ampel in Berlin steht ihrerseits massiv unter Druck. Kanzler Olaf Scholz hatte vergangenen Herbst in einem vielbeachteten Interview mit dem Spiegel Abschiebungen "im großen Stil" angekündigt - im Wissen, wie kompliziert dieses Thema ist, an dem sich auch schon unionsregierte Bundesregierungen die Zähne ausgebissen haben. Entsprechend hinkt die Realität seiner Aussage hinterher.
    Asylpolitik: Forderungen versus Praxis
    Nach dem Attentat in Solingen werden die Stimmen für eine Asylwende lauter. An Umsetzungsvorschlägen fehlt es nicht – dafür jedoch an praktischen und rechtlichen Voraussetzungen.26.08.2024 | 3:05 min
    Zudem liegt seine zerstrittene Ampel-Regierung auch in mehreren innen- und sicherheitspolitischen Fragen über Kreuz. "Die Fliehkräfte aus der Ampel sind immens. Sie wird nur noch durch das Gespenst Neuwahlen zusammengehalten", sagt die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele im Gespräch mit ZDFheute.

    Merz lenkt Blick auf Ampel-Streit

    Das weiß auch Merz, wenn er nach dem heutigen Treffen an Scholz und "die Teile der Koalition, die guten Willens sind" appelliert, zusammen mit der Union über Maßnahmen gegen irreguläre Migration zu beraten: Dafür würde auch eine Zusammenarbeit von Union und SPD ausreichen. FDP und Grüne bräuchte man nicht. Eine pragmatische Aussage - aber auch eine strategische: So lenkt Merz das Augenmerk der Wählerinnen und Wähler auf die großen internen Schwierigkeiten der Ampel.
    Migrationsdebatte nach dem Anschlag von Solingen
    Nach dem Anschlag von Solingen wächst der Druck auf die Regierung beim Thema Abschiebungen. Bei einem Treffen im Kanzleramt mit Olaf Scholz fordert Friedrich Merz einen Kurswechsel in der Asylpolitik. 27.08.2024 | 3:00 min
    Allen, auch der CDU, sitzt die AfD im Nacken: In Thüringen wird sie zumindest nach Stand der Umfragen am Sonntag stärkste Kraft, und auch in Sachsen könnte es eng werden für die dort amtierende CDU. Vor diesem Hintergrund ist auch die Schärfe der Auseinandersetzung nach Solingen zu sehen.

    Nach Anschlag in Solingen
    :Merz erwartet von Scholz Bruch mit Ampel

    Atmosphärisch war es ein "sehr gutes Gespräch", sagt CDU-Chef Merz. In der Sache scheint er mit Kanzler Scholz noch nicht einig zu sein. Was sich nach Solingen ändert, ist offen.
    von Kristina Hofmann
    Friedrich Merz
    mit Video

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