Solingen: Mutmaßlicher Attentäter bereits in Syrien beim IS?
Recherche zum mutmaßlichen Täter:Solingen: Tatverdächtiger in Syrien beim IS?
von Laura Kipfelsberger und Michael Trammer
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Der mutmaßliche Solingen-Attentäter Issa al H. soll bereits in seiner syrischen Heimatregion Kontakt zum IS gehabt haben. Das legen Recherchen des ZDF-Formats "Die Spur" nahe.
Ein friedliches Stadtfest endete tragisch: In Solingen ersticht im August 2024 ein Attentäter drei Menschen. Der mutmaßliche Täter: ein syrischer Mann. Terror im Namen des IS?26.02.2025 | 28:54 min
Am 23. August 2024 feiert Solingen seinen 650. Stadtgeburtstag, unter dem Motto "Festival der Vielfalt". DJs legen auf, es herrscht ausgelassene Stimmung. Doch dann sticht ein Mann mit einem Messer in der Menge der Feiernden um sich, tötet dabei drei Menschen und verletzt acht weitere.
Etwa 24 Stunden nach der Tat reklamiert die Terrororganisation "Islamischer Staat" das Attentat für sich. Der IS veröffentlicht ein Bekennervideo des mutmaßlichen Täters. Es ist der zwölfte Anschlag des IS in Deutschland. 24 Menschen haben die Islamisten hierzulande seit 2016 getötet.
Nach der Tat werden neue Gesetze zur erlaubten Klingenlänge von Messern erlassen. Eine Debatte um das Recht auf Asyl und Abschiebungen in das krisengebeutelte Syrien, das zu diesem Zeitpunkt noch vom brutalen Diktator Bashar al-Assad regiert wurde, bricht los. Denn der mutmaßliche Täter Issa al H. war als Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland gekommen.
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Bereits in Syrien IS-Kontakte
In seiner Asylanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab der mutmaßliche Täter an, nichts mit dem IS zu tun gehabt zu haben. ZDF-Recherchen im Gebiet der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien zeichnen ein anderes Bild. Ein "Die Spur"-Team des ZDF konnte für eine neue Dokumentation einen Informanten auftun, der Issa al H. schwer belastet.
Der Informant gibt an, selbst Teil des IS gewesen zu sein und in diesem Zusammenhang auf al H. getroffen zu sein. Aus Sorge vor Vergeltungsaktionen durch den IS will er anonym bleiben. Laut seiner Aussage soll Issa al H. bereits in Syrien Teil der Terrororganisation gewesen sein. Das lokale Medium "+963media" hatte den Kontakt hergestellt und erhält seit Jahren exklusive Informationen von der Quelle.
Unter IS-Herrschaft aufgewachsen
Der mutmaßliche Täter Issa al H. stammt aus einer ehemaligen Hochburg des IS - der Region Deir ez Zor. Die Wüstengegend war einer der letzten Orte, die von der Internationalen Koalition unter Führung der "Syrian Democratic Forces" 2019 vom IS befreit wurde.
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"Issa war als Kind sehr beliebt und ein guter Schüler", erzählt der Informant. "Dann kam der IS in die Region. Issa hatte eine Leidenschaft: Waffen. Schon als Kind trug er sie gern." Der mutmaßliche Täter soll sich, als 2014 die Islamisten die Macht übernahmen, zum IS hingezogen gefühlt haben, sagt der Informant gegenüber dem ZDF. Auch einen sogenannten Scharia-Kurs soll al H. durchlaufen haben:
Er hatte enge Verbindungen zum Leiter dieses Kurses und veränderte sich komplett. Er wurde radikal, dachte nur noch an Religion.
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Informant über Issa al H.
Er habe Ambitionen gezeigt, in der Organisation aufzusteigen, sei zunächst bei der IS-Polizei und an Checkpoints gesehen worden.
Er habe zudem zu einem lokalen IS-Anführer aufgeschaut, der später durch einen Luftschlag der Anti-IS-Koalition getötet worden sei, so die Quelle weiter. Der Informant sagt, al H. habe daraufhin bei dessen Familie kondoliert. Dort habe er ihn selbst getroffen. Bis 2018 habe al H. in der Region gelebt. Gegenüber dem "Spiegel" gab die Familie von al H. an, diesen nach Deutschland gesendet zu haben, "um ihn vor den maskierten Männern zu schützen".
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Mitbewohner schockiert
"Wir sind vor genau diesen Leuten geflohen und sie verfolgen uns bis hierher nach Deutschland", sagt ein Bewohner der Solinger Flüchtlingsunterkunft, in der auch Issa al H. wohnte, dem ZDF. Aus Angst vor Anfeindungen will er anonym bleiben. Seit dem Attentat, so berichtet er, begegne man ihm in Solingen mit Skepsis. Das ZDF konnte mit insgesamt fünf Mitbewohnern aus der Unterkunft sprechen. Sie alle waren vor den Jihadisten, dem brutalen Regime und dem Krieg in Syrien geflohen.
Auffällig fänden sie am Verhalten des Tatverdächtigen im Nachhinein, dass er sehr zurückgezogen gewesen sei und sich mehrfach zum Telefonieren im Gemeinschaftsbad eingeschlossen habe. Andere Mitbewohner berichteten gegenüber dem NDR-Format "STRG_F", der mutmaßliche Attentäter habe ihnen auf seinem Handy IS-Videos gezeigt.
Der IS herrscht gerade über kein großes Gebiet, wirkt aber durch Online-Foren und Propaganda weltweit - und sendet auch immer wieder Propagandavideos aus Issa al H.s Heimatregion. Bis heute ist die Terrororganisation dort sehr aktiv. Über 50 Angriffe hat der IS in der Region in den letzten sechs Monaten für sich beansprucht. Regelmäßig kommt es zu bewaffneten Überfällen und Sprengstoffanschlägen auf zivile und militärische Ziele. Denn die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien geht - gemeinsam mit internationalen Verbündeten - weiterhin militärisch gegen den IS vor.
Tausende IS-Kämpfer sind dort in Gefängnissen inhaftiert. In mehreren Lagern leben mehr als 60.000 von deren Angehörigen sowie ehemalige Bewohner des IS-Staats. Unter ihnen auch Deutsche. Dort gedeiht die Ideologie der Islamisten in den Köpfen weiter. Jugendliche trainieren beispielsweise für den Jihad - das zeigen Propagandavideos. Immer wieder kommt es auch zu Ausbrüchen. Expert:innen warnen vor der Gefahr.
Irgendwann könnte die Terrororganisation wieder Territorien erobern, Minderheiten und Frauen unterdrücken und im Namen des Glaubens morden. Dabei spielen auch die aktuellen Entwicklungen in Syrien eine Rolle. Die Selbstverwaltung, die ab 2012 durch die Kurden initiiert wurde, wird von der "Syrian National Army" angegriffen, einer von der Türkei unterstützten Söldnermiliz, der auch zahlreiche ehemalige IS-Kämpfer angehören.
Aktuell verhandelt die Selbstverwaltung mit der syrischen Interimsregierung über die Zukunft der Region - mit unklarem Ausgang.
Behörden und Mitbewohner könnten Radikale identifizieren
"Wenn mir jemand sagt, er kommt aus der Region Deir ez Zor oder al Rakka und er habe nichts mit dem IS zu tun gehabt, würden bei mir alle Alarmglocken angehen", sagt der Psychologe Kizilhan. Er kritisiert damit die Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von al H.s Herkunft. Kizilhan behandelt IS-Betroffene therapeutisch und sprach für das Buch "Psychologie des IS" mit zahlreichen IS-Tätern. Laut Kizilhan müssten Behörden bei Asylverfahren noch genauer hinsehen.
Bei der IS-Ideologie handele es sich um eine Saat, die auch spät Früchte tragen könne. Bei al H. vermutet Kizilhan, dass es sich um einen langen Prozess gehandelt habe. Soziale Medien spielten dabei oft eine Rolle - und auch die Sozialisation.
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Eine Chance, um Radikale zu identifizieren, sind laut dem Psychologen auch Mitbewohner in Flüchtlingsunterkünften. Doch oft bestehe nicht genug Kontakt zu Sozialarbeiter:innnen, die laut Kizilhan notorisch unterbesetzt sind.
Hätte das Attentat verhindert werden können?
Mit dieser Frage beschäftigt sich aktuell auch ein Untersuchungsausschuss in NRW. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt - und äußert sich nicht zum laufenden Verfahren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagt auf ZDF-Anfrage, man dürfe sich nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren äußern.
In der neuen Folge des ZDF-Dokuformats "Die Spur" begeben sich Michael Trammer und Laura Kipfelsberger auf Spurensuche des mutmaßlichen Attentäters von Solingen. Die Doku "Anschlag im Auftrag des IS? – Der Fall Solingen" finden Sie hier in der ZDFmediathek.
Allgemein seien Entscheiderinnen und Entscheider aber sensibilisiert und eine Software würde zudem die Protokolle der Asylanhörungen auf Anzeichen von Islamismus prüfen. Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen, zuständig für den Landesverfassungsschutz, sagt auf Anfrage, die Polizei suche bereits Unterkünfte auf, um Ansprechbarkeit zu schaffen. Ein Generalverdacht gegen Flüchtlinge in Unterkünften bestehe aber ausdrücklich nicht.
Der mutmaßliche Täter Issa Al H. sitzt in Untersuchungshaft. Laut seinem Anwalt hat sich al H. bisher nicht gegenüber den Ermittlungsbehörden geäußert und will auch weiterhin schweigen. Er gilt als dringend tatverdächtig, das Attentat von Solingen begangen zu haben. Neben den Morden wird ihm die Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" zur Last gelegt.
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