Sexuelle Gewalt gegen Kinder - Was kann man dagegen tun?

    Sexuelle Gewalt gegen Kinder:Missbraucht und kämpferisch: Einsatz für Opfer

    Alexandra Hawlin
    von Alexandra Hawlin
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    Sexualisierte Gewalt passiert im Verborgenen. Viele Täter werden nie überführt, wie in Lena Jensens Fall. Ein neues Gesetz soll Kinder besser schützen und Betroffene unterstützen.

    Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen,l), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, geben ein Statement zum Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
    Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf dem Weg gebracht, dass Kinder besser vor sexualisierter Gewalt schützen soll. Auch die Aufarbeitung soll Opfern einfacher gemacht werden. 19.06.2024 | 1:34 min
    Sie ist von außen unsichtbar. Sie passiert ohne Zeugen, oft ohne Beweise. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder wird meist von Personen im nahen Umfeld begangen. So war es auch im Fall von Lena Jensen.
    Als Kind wurde sie über mehrere Jahre schwer sexuell missbraucht, von Menschen, denen sie und ihre Eltern vertrauten. "Es hat begonnen, als ich zwei Jahre war und hat geendet, als ich sechs war", erzählt die 31-Jährige gegenüber ZDFheute.

    Jeder fühlt sich damit alleine, weil nicht darüber gesprochen wird, weil man sich dafür schämt. Das ist eigentlich falsch. Wir sollten stolz darauf sein, überlebt zu haben.

    Lena Jensen, 31 Jahre

    Großes Dunkelfeld: 1-2 Kinder pro Schulklasse betroffen

    "Das Thema braucht mehr Sichtbarkeit", sagt die Betroffene Lena Jensen. Im Jahr 2023 wurden mehr als 18.000 betroffene Kinder ermittelt, in 16.375 Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder wurde laut der Polizeilichen Kriminalstatistik das Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Das Dunkelfeld ist aber um ein Vielfaches größer.
    Lena Jensen
    Lena Jensen will gegen das Schweigen ankämpfen und Betroffenen Mut machen, sich zu wehren.17.06.2024 | 1:29 min
    Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass in Deutschland bis zu einer Million Kinder betroffen sind - das sind ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Viele dieser Fälle gehen nicht in die Kriminalstatistik ein, weil sie nicht zur Anzeige gebracht werden.
    Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Unter den Frauen ist jede fünfte bis sechste Frau betroffen.

    Sexualisierte Gewalt schwer zu erkennen

    Von vielen Taten erfährt nie jemand. Obwohl sich Lena Jensens Verhalten als Kind verändert, finden selbst Ärzte und Psychologen nicht die Ursache. Lena selbst vertraut sich niemandem an, auch weil sie von den Tätern unter Druck gesetzt wird.
    "Ich habe wieder angefangen, ins Bett zu machen, wurde aggressiv meiner Mama gegenüber, habe aufgehört zu reden und wollte mich nicht mehr waschen", erinnert sich die 31-Jährige.

    Das Schwierige ist, dass man sexualisierte Gewalt eigentlich nicht erkennen kann.

    Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin Childhood Foundation

    Es gibt keine eindeutigen Hinweise oder Symptome für sexualisierte Gewalt. "Die Kinder können völlig unauffällig im Alltag sein oder sie sind traurig, aggressiv, fühlen sich unwohl, haben Sprech- oder Lernschwierigkeiten", erklärt Dr. Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin der World Childhood Foundation Deutschland gegenüber ZDFheute.
    "Selbst Verletzungen heilen so unglaublich schnell, teils innerhalb weniger Stunden, dass man bei einer medizinischen Untersuchung nichts sieht." Mit den Childhood-Häusern in zahlreichen Städten setzt sich die Childhood Foundation für eine kindgerechte Versorgung in Fällen von Kindesmissbrauch ein. Polizei, Justiz, Psychologen sowie das Jugendamt arbeiten unter einem Dach zusammen.
    Hilfe-Telefon: "Niedrigschwellig, anonym"
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    Neues Gesetz: Mehr Kinderschutz, bessere Aufarbeitung vergangener Fälle

    Auch die Bundesregierung hat das Thema auf ihre Agenda gesetzt und will nun mit einem neuen Gesetz konsequenter gegen Kindesmissbrauch vorgehen. Die Pläne dafür hat das Kabinett nun in Berlin auf den Weg gebracht. Damit hole man die Anliegen der Betroffenen in die Mitte der Gesellschaft, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne).

    Wir verbessern die Möglichkeiten der Aufarbeitung und wir stärken Prävention und Qualitätsentwicklung im Kinderschutz.

    Lisa Paus, Familienministerin (Grüne)

    Zunächst soll ein zuständiger Beauftragter oder eine Beauftragte des Bundes per Gesetz dauerhaft eingesetzt und vom Bundestag künftig gewählt werden. Schon heute gibt es zwar das Amt der "Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs" (UBSKM). Ein konkretes Gesetz dazu gab es bisher aber nicht.

    • Lagebericht: Künftig sollen die Beauftragten regelmäßig einen Lagebericht vorlegen, der auf konkrete Missstände hinweist und Grundlage für politische Entscheidungen sein kann.
    • Forschungszentrum: Neu entstehen soll daneben ein "Zentrum für Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen", dessen Ergebnisse in den Bericht einfließen. 
    • Bundesweite Anlaufstelle: Zudem soll es eine bundesweite Anlaufstelle geben, an die sich Menschen mit Missbrauchserfahrungen wenden können.
    • Akteneinsicht für Betroffene: Erwachsene mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit bekommen mit dem Gesetz spezielle Akteneinsichts- und Auskunftsrechte. Die Jugendämter werden den Plänen zufolge verpflichtet, Betroffenen Einsicht in Erziehungshilfe-, Heim- oder Vormundschaftsakten zu geben und Auskünfte zu erteilen. Zudem werden die Ämter dazu verpflichtet, die Akten jahrzehntelang aufzubewahren.
    • Information und Aufklärung: Mit dem Gesetz wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verpflichtet, gemeinsam mit den Bundesländern bundeseinheitliche Informationen und Medienangebote zur Prävention zu entwickeln, um zum Beispiel Eltern für das Thema zu sensibilisieren. Die Bundeszentrale soll außerdem Einrichtungen, die mit Kindern zu tun haben, bei Schutzkonzepten unterstützen.

    Quelle: dpa

    Das "Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen" aus dem Haus von Bundesfamilienministerin Lisa Paus muss noch durch Bundestag und Bundesrat.

    Selbstbestimmtes Leben für Betroffene möglich

    "So schlimm die Erlebnisse sind, über die wir sprechen, so sehr kann man die Zukunft beeinflussen und auch die Betroffenen können eine Zukunft für sich haben, aufbauen und gut und glücklich leben", beobachtet Helling-Bakki. Der Auftrag an alle sei, Ohren und Augen offen zu haben.
    Lena Jensen engagiert sich heute für mehr Kinderschutz und klärt unter anderem in sozialen Medien über das Thema auf. "Ich habe mir gesagt: Die Täter*innen haben die ersten sieben Jahre meines Lebens geklaut, ich werde ihnen keine Sekunde weiter von meinem Leben schenken und es mir wieder zurückholen", erzählt sie. "Ich habe so dafür gekämpft, dass ich ein glückliches Leben selbstbestimmt führen kann." Heute lebt sie mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Kind in Hamburg.

    Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch
    0800 22 55 530

    Nummer gegen Kummer
    Kinder- und Jugendtelefon
    116 111
    Elterntelefon
    0800 111 0 550

    Weitere Anlaufstellen:
    Jugendamt
    Polizei

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