Beratungen im Bundestag:Abtreibung: Wird Paragraf 218 neu geregelt?
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Das Ampel-Aus bremst viele Gesetzesvorhaben aus. Dennoch debattiert der Bundestag über einen fraktionsübergreifenden Antrag zur Legalisierung von Abtreibungen. Ein Überblick.
Für den Bundestag ist es die vorletzte Sitzungswoche in diesem Jahr. Ohne Mehrheit und mit einer gerade so zustande gekommen Tagesordnung soll über Abtreibung diskutiert werden.05.12.2024 | 0:27 min
Für Betroffene ist es oft die schwerste Entscheidung ihres Lebens, für die Gesellschaft ein hochsensibles Thema: Abtreibung. In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch eine Straftat - auch wenn er unter ganz bestimmten Bedingungen nicht bestraft wird.
Hunderte Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen im Bundestag wollen das jetzt neu regeln. Heute wird ihr Antrag erstmals im Parlament beraten. Es könnte das Ende einer seit Jahrzehnten geführten Debatte sein - wenn das Ampel-Aus das Vorhaben nicht ausbremst.
Was gilt bisher bei Schwangerschaftsabbrüchen?
In Paragraf 218 des Strafgesetzbuches steht aktuell quasi ein Kompromiss: Eine Abtreibung ist in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, weil laut Grundgesetz das ungeborene Leben geschützt werden muss.
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Sie ist aber nicht strafbar, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.
Warum wollen Abgeordnete Paragraf 218 ändern?
Sie sind der Meinung, dass Frauen, die abtreiben wollen, wegen des Gesetzes schlechter versorgt werden. Die strafrechtliche Regelung schrecke Ärztinnen und Ärzte davon ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.
Außerdem rechnen die Parlamentarier damit, dass Krankenkassen die Kosten für den Eingriff regulär übernehmen würden, wenn die Illegalität aufgehoben wird.
... gab es in Deutschland im Jahr 2023 rund 106.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche - rund 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr.
Oft sind junge Frauen betroffen, die meisten im Alter zwischen 18 und 34 Jahre. 96 Prozent der Abtreibungen wurden nach der Beratungsregelung vorgenommen.
Medizinische Gründe und Sexualdelikte waren in vier Prozent der Fälle Grund für den Abbruch.
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Was schlagen die Abgeordneten vor?
Der maßgeblich von Grünen und SPD vorangetriebene Entwurf sieht vor, dass Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz herausgenommen werden. Abtreibungen sollen bis zur 12. Woche rechtmäßig werden.
Die Pflicht zur Beratung soll bestehen bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wenn ein Abbruch ohne Beratungsbescheinigung vorgenommen wird, soll sich künftig nur der Arzt oder die Ärztin strafbar machen. Die Frau bliebe straffrei. Die Kosten sollen die Krankenkassen übernehmen.
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Welche Erfolgsaussichten hat eine Änderung von Paragraf 218?
Der Bundestag kann noch bis zu seiner derzeit für den 23. Februar geplanten Neuwahl Gesetze beschließen - mit straffem Plan wäre also ausreichend Zeit. Aber SPD und Grüne allein haben keine Mehrheit im Parlament.
Versucht wird die Reform deshalb über einen sogenannten Gruppenantrag. Solche Anträge werden bei ethisch komplexen Fragen über Lagergrenzen hinweg gestellt. In der Regel müssen sich die Abgeordneten bei einer Abstimmung dann nicht an der Linie ihrer Fraktion orientieren, sondern entscheiden ganz frei.
Derzeit sitzen 733 Abgeordnete im Bundestag, für eine Mehrheit sind 367 Stimmen nötig. Bisher unterstützen 327 Parlamentarier die Abtreibungs-Legalisierung, vor allem von SPD, Grünen und Linken.
Ob der Bundestag vor der Neuwahl überhaupt über den Antrag abstimmen wird, ist offen. Denn erst einmal wird er in den zuständigen Rechtsausschuss überwiesen - und wann er dann zum Beschluss auf die Tagesordnung des Bundestags kommt, wird in diesem Ausschuss entschieden.
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Wie werden sich Union, AfD und FDP verhalten?
Unionsfraktionschef Friedrich Merz kritisierte bereits, dass das Thema im Schnellverfahren durchgeboxt werden solle. Bis zur Wahl bleibe keine Zeit für eine seriöse Beratung eines solch grundlegenden Themas, argumentierte er.
Auch der neue FDP-Generalsekretär Marco Buschmann lehnt eine Reform vor der Neuwahl ab. Die AfD ist generell gegen eine Legalisierung von Abtreibungen.
Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. In anderen europäischen Ländern sieht die Rechtslage so aus:
In den Niederlanden sind Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche möglich, bei schweren Gesundheitsproblemen während der Schwangerschaft auch später. Frauen können sich für eine Abtreibung direkt an eine der Abtreibungskliniken im Land wenden - es gibt Beratungsangebote, aber keine Verpflichtung, diese in Anspruch zu nehmen. Die Kosten einer Abtreibung trägt der Staat, beziehungsweise die Krankenkasse. Geplant ist, dass künftig bis zur neunten Schwangerschaftswoche auch Hausärzte eine medikamentöse Abtreibung (Abtreibungspille) verschreiben können. Eine Abtreibung ist in den Niederlanden nur dann strafbar, wenn sie nicht in einem Krankenhaus entsprechend den Regeln vorgenommen wird.
In Frankreich sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche seit 1975 straffrei. Mittlerweile dürfen Schwangere bis zur 14. Woche abtreiben, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Ein psychosoziales Beratungsgespräch ist nur für Minderjährige verpflichtend. Angesichts der Verschärfungen von Abtreibungsregelungen anderswo auf der Welt in den vergangenen Jahren hat Frankreich sich dazu entschieden, das Abtreibungsrecht zu stärken und vor möglichen zukünftigen Beschneidungen zu schützen: Anfang des Jahres stimmte das Parlament dafür, die "garantierte Freiheit", eine Abtreibung durchzuführen, in die Verfassung aufzunehmen. Paris zufolge ist Frankreich das erste Land, das das Abtreibungsrecht in der Verfassung verankert hat.
In Italien sind Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche grundsätzlich möglich. Ein entsprechendes Gesetz von 1978 sieht jedoch bestimmte Voraussetzungen vor. Vor einem Schwangerschaftsabbruch ist demnach eine verpflichtende Beratung nötig. Auf das Beratungsgespräch folgt eine Bedenkzeit von sieben Tagen. Innerhalb der ersten neun Schwangerschaftswochen ist eine medikamentöse Abtreibung möglich, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche hingegen ein chirurgischer Eingriff mittels sogenannter Absaugung. Die Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Rom hat seit Amtsbeginn immer wieder betont, keine Änderungen am Abtreibungsrecht vornehmen zu wollen.
Die Iren stimmten 2018 in einem Referendum für die Legalisierung von Abtreibungen. Seit dem 1. Januar 2019 dürfen Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft vorgenommen werden. Falls Leben oder Gesundheit der schwangeren Frau gefährdet sind oder es wahrscheinlich ist, dass das Baby noch im Mutterleib oder in den ersten vier Wochen nach der Geburt stirbt, ist dies auch später noch möglich. Die Frist von maximal 84 Tagen Schwangerschaft gilt ab dem ersten Tag der letzten Periode der Frau. Eine Ärztin oder ein Arzt muss bestätigen, dass die zwölf Wochen noch nicht vorbei sind. Drei Tage später kann die Abtreibung durchgeführt werden. Diese gesetzlich vorgeschriebene Zeitspanne soll der schwangeren Frau die Möglichkeit geben, sich ihrer Sache sicher zu sein.
Derzeit hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Seit 2020 ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche nur noch nach einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt - oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen. In der Vergangenheit hat das mehrfach dazu geführt, dass Schwangere mit Komplikationen im Krankenhaus unter ärztlicher Aufsicht starben, weil sich die Mediziner nicht trauten, einen Abbruch vorzunehmen. Die seit Dezember 2023 amtierende Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk hat zwar eine Liberalisierung versprochen. Im Juli scheiterte im Parlament in Warschau dennoch ein Antrag des mitregierenden Linksbündnisses Lewica, die Beihilfe zur Abtreibung straffrei zu machen, auch an einem Teil der Regierungsabgeordneten. Seitdem steckt die geplante Reform fest.
Quelle: ZDF
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