K-Frage der SPD: Politologe hält Wechsel für "sehr riskant"

    Interview

    Politologe zur K-Frage der SPD:Faas: Kandidatenwechsel wäre "sehr riskant"

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    Der Politologe Faas geht davon aus, dass die SPD Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten wählt. Es wäre "sehr riskant", jetzt einen Wechsel zu Boris Pistorius vorzunehmen, sagt er.

    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler, im Berlin-direkt-Interview
    Die Rufe nach Boris Pistorius müssten die SPD "nervös" machen, sagt der Politologe Thorsten Faas im ZDF. Die Partei brauche in der K-Frage "schnell eine Entscheidung".17.11.2024 | 0:20 min
    ZDFheute: Die Ampel ist zerbrochen. Wo steht die SPD gerade?
    Thorsten Faas: Das ist eine sehr schwierige Situation, denn der Kanzler stand natürlich an der Spitze dieser Regierung. Die Umfragewerte sind nicht gut, das heißt, da muss jetzt wirklich noch etwas passieren. Da muss Momentum entstehen. Das sind ganz entscheidende Tage. Aber die SPD streitet im Verborgenen eher. Es ist nicht ganz klar, wohin die Reise gehen soll. Das muss sich sehr schnell ändern.

    Berlin: Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin.
    Quelle: dpa

    ... Politologe und Wahlforscher an der Freien Universität Berlin. Er leitet dort die Arbeitsstelle Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland.

    ZDFheute: In den Umfragen liegt die SPD deutlich hinter der Union, ähnlich wie 2021. Kann die Aufholjagd auch dieses Mal gelingen?

    Wir haben viele Wahlkämpfe erlebt in der jungen Vergangenheit, wo sich eine Menge bewegt hat, aber eben auch in sehr, sehr verschiedene Richtungen.

    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler

    Faas: Wir haben auch Wahlkämpfe erlebt, wo sich nichts bewegt hat. Das ist spannend, aber das macht es eben auch so schwer, vorauszusagen, ob jetzt noch was geht. Aber richtig ist auch, die SPD stand 2021 um diese Zeit, 100 Tage vor der Wahl, ähnlich schlecht da wie heute. Scholz selber stand damals ein bisschen besser da. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt. Kann man das nochmal drehen, sein Image nochmal in eine andere Richtung bewegen, oder gelingt das eben nicht?
    Rechts Boris Pistorius, links Olaf Scholz.
    Wer soll die SPD als Kanzlerkandidat in die nächste Wahl führen? Für Olaf Scholz ist das keine Frage. Doch viele in der Partei sehen in Boris Pistorius den besseren Kandidaten.17.11.2024 | 4:02 min
    ZDFheute: Ist es für Scholz ein Nachteil, dass er schon drei Jahre lang Kanzler war?
    Faas: Es sind jetzt polarisiertere Zeiten, und es ist schwieriger, auch positives Momentum zu gewinnen. Natürlich werden Menschen jetzt darauf verweisen, wie schwierig diese Koalition gewesen ist, wie sehr Scholz auch persönlich Führung versprochen hatte, aber vermeintlich nicht geliefert hat. Man wird ihn da ganz gezielt angreifen.
    Man muss aber sagen, auch 2021 waren seine Werte nicht gut. Auch damals wurde er skeptisch gesehen an vielen Stellen. Es würde auch genügen, ein bisschen besser am Ende dazustehen, denn auch sein Herausforderer Friedrich Merz steht nicht wirklich gut da. Es ist im Prinzip die Frage: Wer kann aus dieser schwierigen Lage, in den Umfragen nicht sehr beliebt zu sein, herauskommen? Das gilt für Merz wie für Scholz.
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    ZDFheute: Wenn Personen so wichtig sind, wäre Boris Pistorius, der in den Umfragen beliebter ist, nicht der bessere Kandidat?
    Faas: Das sehen wir in den Umfragen, aber wir haben auch in der Vergangenheit erlebt, dass gerade, wenn jemand neu in eine solche Position kommt, Armin Laschet 2021, Annalena Baerbock 2021, dass das auch Momente sind, wo solche Werte sich ganz, ganz schnell verändern können.

    Boris Pistorius ist immer noch ein vergleichsweise neuer Kandidat im politischen Berlin, und so richtig gewogen worden ist er eigentlich noch nicht.

    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler

    Die hohen Umfragewerte haben auch damit zu tun, dass Boris Pistorius als Verteidigungsminister durchaus breites Ansehen genießt. Auch da muss man sagen, wir wissen nicht, was passieren würde, wenn er plötzlich der Kanzlerkandidat der SPD wäre.
    ZDFheute: Wie bewerten Sie die Rufe aus den Ländern nach Boris Pistorius?
    Faas: Das muss die SPD nervös machen, insbesondere wenn sie es mit 2021 vergleicht. Da war man extrem geschlossen, und auf der anderen Seite bei der Union stand eine zerstrittene Partei, die sehr, sehr lange um Kandidatenfragen gerungen hat, eigentlich bis zum Wahltag selber. Da haben wir erlebt, dass eine solche Ausgangslage eigentlich keinen produktiven zielführenden Wahlkampf erlauben kann.
    Das heißt, was auch immer passiert, es braucht jetzt schnell eine Entscheidung und dann muss die SPD eigentlich geschlossen stehen. Aber das steht mehr denn je in Frage.
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    ZDFheute: Ist es schlau oder politisch eher dumm, wenn man so kurz vor der Wahl noch einen Spitzenkandidaten austauscht?
    Faas: Ich würde es für sehr, sehr riskant halten. Ich glaube tatsächlich, dass der Blick auf Boris Pistorius plötzlich ein ganz, ganz anderer wäre. Auch das haben wir schon erlebt, als Peer Steinbrück plötzlich der Kanzlerkandidat war, sind auch gute Werte ganz schnell ins Gegenteil gedreht worden.
    ZDFheute: Die SPD-Spitze scharrt sich um Olaf Scholz. Sehen Sie irgendwo die Möglichkeit, kann es passieren, dass die Deckung aufbricht, dass es einen gibt, der das Messer wetzt, der den Tyrannenmörder macht?
    Faas: Dass die Partei gerade an der Spitze so geschlossen zu Scholz steht, heißt wahrscheinlich auch, dass die Kampagne einfach schon in Grundzügen angelegt ist, und sicherlich auch auf Olaf Scholz und eine Zuspitzung Scholz gegen Merz hin ausgerichtet ist. Auch da müsste man neu anfangen. Gleichwohl, wenn so ein Momentum entsteht, weiß man nie, wo das hinführt.

    Stand heute fällt es mir tatsächlich schwer zu sehen, dass die SPD nochmal wechseln würde an der Stelle.

    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler

    Das Interview führte Lars Bohnsack, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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