Ampel-Aus: Minderheitsregierung heißt nicht sofort Chaos
Folgen des Ampel-Aus:Minderheitsregierung heißt nicht sofort Chaos
von Nils Metzger
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Kanzler Olaf Scholz will noch bis Anfang 2025 weiterregieren. Wie kann so eine Minderheitsregierung doch noch wichtige Gesetze beschließen? Anderswo funktioniert das durchaus.
Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition kündigte Bundeskanzler Scholz für Januar die Vertrauensfrage im Bundestag an. Somit will er den Weg für vorgezogene Neuwahlen ebnen.07.11.2024 | 1:58 min
Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. Trotzdem bleibt Olaf Scholz (SPD) vorerst weiter Kanzler - ohne eigene Regierungsmehrheit. Sein Plan ist, bis zur Vertrauensfrage am 15. Januar 2025 und möglichen anschließenden Neuwahlen mit einer rot-grünen Rumpfkoalition weiter zu regieren.
Um trotzdem Gesetze beschließen zu können - im Zentrum steht vor allem der Bundeshaushalt - benötigt Scholz darum Unterstützung der Opposition. Kann so eine Minderheitsregierung funktionieren - und welche historischen Beispiele gibt es dafür in Deutschland?
Wie wird Deutschland jetzt weiter regiert?
Mit dem Ende der Koalition bricht in Berlin keine Anarchie aus, die Bundesregierung stellt nicht die Arbeit ein. Die Exekutive aus Ministerien und Verwaltung funktioniert auf Basis des Status quo weiter.
Thomas Jäger, Politikwissenschaftler an der Universität Köln sagte im ZDF: "Die Apparate funktionieren, aber die Regierung hat keine Mehrheit im Parlament. (…) Der Bundeskanzler kann nicht mehr regieren, er verwaltet jetzt noch den Mangel, der ihm auf dem Tisch liegt."
Thomas Gschwend, Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim, sieht im Regieren mit wechselnden Mehrheiten hingegen nicht automatisch eine unhaltbare Lage:
Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch07.11.2024 | 2:38 min
Wie werden nun politische Mehrheiten organisiert?
"Um solche wechselnden Mehrheiten zu organisieren, müssen die Parteien mehr miteinander sprechen, mehr vorab sondieren, insbesondere in den Ausschüssen. Das ist aber nichts, was sie nicht können", sagt Gschwend gegenüber ZDFheute.
Was den politischen Handlungsspielraum einschränke, ist, dass es Parteien links und rechts gebe, mit denen man auf keinen Fall zusammenarbeiten möchte, gibt Gschwend zu bedenken. "Wie gut es funktionieren wird, kann man gerade schwer sagen, weil es so eine Situation noch nicht gab. Es ist wie beim Fahrradfahren - wenn man Erfahrung hat, läuft es besser."
Das Ampel-Aus sei ein Ausnahmefall für das deutsche politische System, so Politologe Schroeder. Scholz hoffe auf die Unterstützung einer Minderheitsregierung durch die Opposition.07.11.2024 | 2:36 min
Diese Minderheitsregierungen gab es bislang auf Bundesebene
Auch wegen der Erfahrungen während der Weimarer Republik sind Minderheitsregierungen in der Bundesrepublik negativ behaftet. Auf Bundesebene waren Minderheitsregierungen bislang meist eine Folge gebrochener Koalitionen und nur von kurzem Bestand. Mehrfach standen FDP-Minister im Zentrum dieser Entwicklungen.
19. November bis 14. Dezember 1962: In Folge der "Spiegel"-Affäre zog sich die FDP vorübergehend aus der Regierung Konrad Adenauers (CDU) zurück, handelte mit diesem aber eine neue Koalition ohne Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) aus.
28. Oktober bis 1. Dezember 1966: Die FDP-Minister zogen sich wegen eines Streits über den Bundeshaushalt aus dem Kabinett von Kanzler Ludwig Erhard (CDU) zurück, es folgt die erste Große Koalition.
17. Mai bis 15. Dezember 1972: Die sozialliberale Koalition von Kanzler Willy Brandt (SPD) hatte im Laufe der Zeit mehrere Abgeordnete durch Austritt und damit ihre Mehrheit verloren. Brandt stellte die Vertrauensfrage und stärkte seine Mehrheit nach einer anschließend gewonnenen vorgezogenen Bundestagswahl.
17. September bis 1. Oktober 1982: Im Streit über Wirtschafts- und Rüstungspolitik zog sich die FDP aus der Koalition mit Helmut Schmidts SPD zurück. Nach einem konstruktiven Misstrauensvotum wählte der Bundestag Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler. Die damalige Situation birgt einige Parallelen zur aktuellen Lage.
So schneiden die Parteien in Umfragen ab
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Auf Länderebene zählte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bislang 27 Minderheitsregierungen seit 1949. Hinzu kommt als jüngstes Beispiel die Regierungskrise von Thüringen im Februar und März 2020. Der mit Stimmen der AfD gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich bildete in dieser Zeit jedoch kein eigenes Kabinett.
Die beiden am längsten andauernden Minderheitsregierungen, jeweils für eine volle Wahlperiode von vier Jahren, gab es in Sachsen-Anhalt von 1994 bis 1998, bzw. 1998 bis 2002. In beiden Fällen tolerierte die PDS eine Regierung unter SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner, was auch als "Magdeburger Modell" bekannt wurde.
Bundeskanzler Olaf Scholz will am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit vorgezogene Neuwahlen herbeiführen. "Es gibt im Grundgesetz klare Regeln, wenn eine Regierung platzt", so ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke. 07.11.2024 | 3:49 min
Können Minderheitsregierungen auch zum Erfolg werden?
Wechselnde Mehrheiten bedeuten nicht automatisch Chaos oder Stillstand. Politikwissenschaftler Gschwend verweist auf Beispiele etwa aus Skandinavien, wo solche Regierungen eine gewisse Tradition haben. "Dort sind wechselnde Mehrheiten auch keine Notlösung, sondern funktionieren stabil." Auch an Beispielen auf Länderebene könne man sich orientieren.
Wer hat der Ampel endgültig den Stecker gezogen? Scholz sagt, Lindner war es. Lindner sagt, Scholz war es. Jetzt geht es um die beste Ausgangslage für die Neuwahlen.