Die Rolle von Sahra Wagenknecht in Thüringen und Brandenburg
Analyse
Nach Landtagswahlen im Osten:CDU hat ein Wagenknecht-Problem
von Andrea Maurer
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Führen oder geführt werden. Die CDU ringt um ihr Verhältnis zur Partei von Sahra Wagenknecht. Der geht es vor allem um eins: Debatten, die ihr Zustimmungswerte bringen.
Die CDU hadert mit der Rolle von Sahra Wagenknecht und ihrem BSW nach den Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg.
Quelle: epa
Sahra Wagenknecht darf zufrieden sein. Sie setzt die Parteien, die mit ihrer neu gegründeten Partei koalieren müssen, unter Stress. Allen voran die CDU. Schon am Tag nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, am 2. September, hatte sie in Berlin ihre Bedingungen klar gemacht.
Wagenknecht stellt Bedingungen
Erstens: "Wer mit uns koalieren möchte, muss auch mit mir sprechen." Zweitens: "Es geht darum, dass die Landesregierung sich positioniert, (…) dass sie diese Aufstellung der Mittelstreckenraketen ablehnt, dass sie sehr deutlich sagt, dass sie sich von der Bundesregierung mehr diplomatische Initiativen wünscht für Frieden und für Diplomatie, auch zur Lösung des Ukraine-Krieges (…) Und wir erwarten natürlich von einem Ministerpräsidenten, dass er das dann auch öffentlich zum Ausdruck bringt."
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Bedingungen so gut wie erfüllt
Erstens und zweitens ist jetzt beides so gut wie erfüllt. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt und auch Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke - sie alle sind zur ihre nach Berlin gefahren.
Und alle drei haben am 4. Oktober in der FAZ einen Gastbeitrag verfasst. Darin schreiben sie: "Die Bundesregierung muss ihre außenpolitische Verantwortung durch mehr erkennbare Diplomatie aktiver wahrnehmen." Und: "Die Pläne für eine Stationierung von Mittelstreckenraketen hätte man besser erklären und breiter diskutieren müssen."
Seitdem ist die Aufregung groß. Von einem "rückratlosen Kotau" (Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP) ist die Rede oder vom "Weichspüler für Koalitionsverhandlungen" (Michael Roth, SPD).
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Merz: "Zur Diplomatie gehören immer zwei..."
CDU-Chef Friedrich Merz widersprach umgehend in der "Süddeutschen Zeitung" und macht die Haltung der Unionsführung auch auf Nachfrage von ZDFheute nochmal klar: "Wir sind der festen Überzeugung, dass der Krieg in der Ukraine erst dann endet, wenn die russische Seite keinen Erfolg mehr sieht im weiteren militärischen Vorgehen.
Friedrich Merz, der Transatlantiker, hat sich immer zu noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine bekannt, den Kanzler für Zögerlichkeit scharf kritisiert. Er wird es kaum dulden können, dass die Außenpolitik nun im Sinne Wagenknechts durch Debattenbeiträge aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg mitbestimmt wird, die mehr Diplomatie fordern - obwohl Wladimir Putin selbst wenig Interesse an Verhandlungen zeigt und auch ein Telefonat mit dem deutschen Bundeskanzler ablehnt.
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Das Dilemma der CDU
Für die CDU ist das Dilemma noch größer als für die SPD. Die Westbindung versteht die Adenauer-Partei als ihre "DNA". Und: Die CDU hat ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei aus dem Jahr 2018 - auch wegen jener Frau, die damals noch in der Linken war: Sahra Wagenknecht, von 1999 bis 2010 Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften Kommunistischen Plattform, lange Verteidigerin der DDR, heute Gründerin einer linkskonservativen Partei.
Andererseits ist es auch im Sinne des CDU-Chefs, dass es zwei CDU-Ministerpräsidenten in Sachsen und Thüringen gibt. Und die haben auf Landesebene durchaus gute Dräthe zum BSW: Michael Kretschmer zu Sabine Zimmermann in Sachsen, Mario Voigt zu Katja Wolf in Thüringen.
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Streit ist im Sinne Wagenknechts
Im BSW hört man unterdessen viel, man könnte fast sagen: vergiftetes Lob für Kretschmer, Voigt und Woidke. Sahra Wagenknecht lobt gegenüber ZDFheute den Gastbeitrag: "Es ist ein erfrischender und mutiger Beitrag, weil er hilft, die Diskussion in Deutschland zu verändern. Und die Frage von Krieg und Frieden ist eine zentrale Frage." Die BSW-Frontfrau in Thüringen Katja Wolf betont in der "Süddeutschen Zeitung", dass die drei in Eigeninitiative gehandelt hätten und weiter: "Nein, das reicht natürlich nicht, aber das Signal war wichtig."
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In der Aufregung geht fast unter, dass Kretschmer, Voigt und Woidke in ihrem Gastbeitrag auch Positionen vertreten, die Wagenknecht explizit nicht teilt. Ein klares Bekenntnis zur Nato etwa oder ein Bekenntnis zur "Verteidigungsfähigkeit".
Aber das dürfte Wagenknecht egal sein: Sie will ja kein zweites BSW, sondern weiter Aufmerksamkeit für ihre Themen. Das eigentliche Interesse von Sahra Wagenknecht ist, dass sie und ihre Partei die Debatten bestimmen, dass die Themen, die ihnen Zustimmungswerte sichern, präsent bleiben - und die anderen Parteien in Dilemmata stürzen. Am liebsten natürlich bis ins nächste Jahr, denn dann beginnt der Bundestagswahlkampf und Sahra Wagenknecht will Spitzenkandidatin ihrer Partei werden. Je mehr sich die anderen bis dahin über ihre Themen streiten - umso besser für sie.
Andrea Maurer ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
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von Daniela Sonntag
mit Video
Quelle: ZDF
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