Russlands Schattenkrieg: Warum Deutschland so verwundbar ist
Analyse
Schutz vor hybriden Bedrohungen:Tun wir genug gegen Russlands Schattenkrieg?
von Nils Metzger und Sebastian Wirth
|
Spionage, Sabotage, Anschläge: Deutschland ist Ziel von Russlands hybrider Kriegsführung. Experten sorgen sich, dass wir es Moskau viel zu leicht machen. Es hakt auf vielen Ebenen.
Cyberangriffe, Sabotage, Brandanschläge und sogar Auftragskiller - Russlands hybride Kriegsführung hat viele Gesichter. Wie Deutschland gegen Russlands Schattenkrieg gewappnet ist.14.10.2024 | 15:08 min
Vergangenen Donnerstag griffen Feldjäger der Bundeswehr auf dem Übungsgelände in Gardelegen einen Radfahrer auf. Er war unbefugt auf das Sperrgelände gefahren und - wie sich bei der Kontrolle herausstellte - russischer Staatsbürger. Ob nur verirrt, oder ein Versuch der Spionage, blieb unklar. Die Person konnte das Gelände frei verlassen, berichtet "Business Insider".
Schon im August hatten sich Personen Zugang zu Bundeswehr-Einrichtungen verschafft. Mehrere Standorte wurden daraufhin abgeriegelt. Die Zahl mutmaßlicher Ausspähversuche mit Drohnen oder verdächtigen Fahrzeugen nahm laut Militärischem Abschirmdienst in den letzten beiden Jahren spürbar zu. Die deutschen Dienste vermuten dahinter zweifelsfrei Russland.
Und die Liste bedenklicher Vorfälle wird immer länger: Cyberangriffe auf Parteien und den Bundestag, der Tiergarten-Mord, zuletzt auch ein Anschlagsplan auf den Chef von Rheinmetall, Armin Papperger, und per Luftpost verschickte Brandsätze. Oft bleiben nach solchen Vorfällen mehr Fragen als Antworten. Kaum ein Fall kann wirklich aufgeklärt und die Verantwortlichen verhaftet werden - es wächst das Gefühl der Unsicherheit.
Im Bundestag haben die deutschen Geheimdienste vor massiven Bedrohungen durch Russland gewarnt.14.10.2024 | 1:52 min
Was ist hybride Kriegsführung?
Für die Bundesregierung ist klar: "Russland führt einen hybriden Angriffskrieg", sagte etwa Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli.
Aber was heißt das genau? Hybride Kriegsführung soll einen Gegner aus dem Verborgenen heraus schwächen, ohne dass formell ein Krieg erklärt wurde. Zivile, staatliche und militärische Ziele werden ins Visier genommen und ebenso breit sind die zur Auswahl stehenden Mittel. Der Sicherheitsexperte Nico Lange sagt ZDFheute:
Was diese Strategie so effektiv macht: Ein Akteur wie Russland kann seine Verantwortung jederzeit abstreiten - und darauf bauen, dass demokratische Staaten selten mit vergleichbaren Mitteln zurückschlagen, gleichzeitig aber besonders verwundbar und träge in ihrer Reaktion sind. Dabei zahlt sich doppelt aus, dass man westliche Gesellschaften seit Jahren mit Desinformation bespielt und nicht wenige Menschen darum empfänglich für Moskaus Schutzbehauptungen sind.
In Bayern sind zwei Männer wegen des Verdachts der Spionage für Russland festgenommen worden. Innenministerin Faeser äußert sich zu der Lage. ZDFheute live ordnet ein. 18.04.2024 | 20:59 min
Was macht uns verwundbar gegen hybride Angriffe?
Hybride Bedrohungen aus dem Ausland zu erkennen und zu bekämpfen, ist eine Kernaufgabe der deutschen Nachrichtendienste. In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Budget des BND etwa verdoppelt. Für Roderich Kiesewetter ist das allein nicht genug. Der CDU-Politiker ist Vize-Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Aufsicht über die Nachrichtendienste hat. Bei ihnen sei die "Zeitenwende" kaum angekommen.
Five Eyes bezeichnet die nachrichtendienstliche Kooperation der USA mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland.
"Die Bundesrepublik hat nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren die eigenen Spionageabwehrfähigkeiten radikal abgebaut", sagt Kiesewetter ZDFheute. Der Wiederaufbau dieser Fähigkeiten seit Russlands Krim-Besetzung 2014 sei nur vorsichtig erfolgt.
Doch alle gewonnenen Informationen helfen kaum, wenn sie wegen rechtlicher Vorgaben oder föderalen Zuständigkeiten nicht dort landen, wo zu verdächtigen Vorfällen ermittelt wird - häufig die einfachen Polizeien vor Ort. Bis rechtlich einwandfrei nachgewiesen werden kann, dass Russland hinter einem Vorfall steckt, arbeiten deren Hacker und Agenten längst an den nächsten Aktionen.
Deutsche Behörden standen offenbar kurz davor, einen der mutmaßlichen Nord-Stream-Saboteure zu fassen.03.09.2024 | 10:20 min
Wenn Deutschland Lehren zieht, dann oft erst nach Jahren. In Neustadt an der Ostsee soll etwa ein neuer Standort der Bundespolizei-Spezialeinheit GSG 9 entstehen - als Reaktion auf die wohl von einem ukrainischen Kommando verübte Nord-Stream-Sabotage und viele weitere maritime Vorfälle der letzten Jahre. Fokus des Standorts soll der Schutz kritischer Infrastruktur auf dem Meer, etwa Seekabeln oder Windparks, sein. Ein genauer Zeitplan für das Vorhaben ist noch nicht öffentlich bekannt.
Warum sind die Behörden so langsam?
Ein neuer Polizei-Standort, Jahre nach den Pipeline-Anschlägen - das allein wird Täter kaum abschrecken.
Russlands hybride Kriegsführung trifft auch Deutschland. Geheimdienste fordern mehr öffentliches Bewusstsein, warnen heute in Berlin, Deutschland mache es Russland viel zu leicht.14.10.2024 | 1:27 min
Hinzu kommt ein Bürokratie-Dschungel, der bis in die Bundespolitik reicht. Da entwerfen etwa Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium, Gesundheitsministerium und andere parallel zueinander eigene Lagebilder für Bedrohungen. Auf einen nationalen Sicherheitsrat, der alle Anstrengungen koordiniert, konnte sich die Ampel-Koalition nicht einigen.
Es sind zahllose kleine und große Baustellen, die alle zur Gefährdung beitragen. Etwa dass Anfang 2024 von 2.495 IT-Stellen im Bundesinnenministerium 446 unbesetzt waren. Oder dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Anlagen, die weniger als 500.000 Personen versorgen, oft nicht als "kritische Infrastruktur" klassifiziert, womit besonderer Schutz einhergeht. "In den ländlichen Räumen haben wir eine ganze Reihe von Stadtwerken, die sich um 70.000 oder 80.000 Menschen kümmern. Die würden da hinten runterfallen", ist eine Sorge von Kiesewetter.
Der hybride russische Krieg reiche von Propaganda bis zu Sabotage und Mord, so Ex-BND-Mitarbeiter Gerhard Conrad. Ziel sei es, politische Gegner zu verunsichern oder zu erpressen.12.07.2024 | 14:45 min
Armin Schuster, damaliger Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, forderte 2022 zehn Milliarden Euro für einen modernen Zivilschutz. Stattdessen wurde das Budget seiner Behörde von 286 Millionen Euro auf 162 Millionen im aktuellen Jahr gekürzt.
Braucht es einen Mentalitätswandel?
Nico Lange kritisiert, dass sich Deutschland beim Schutz vor hybriden Bedrohungen zu sehr auf seine Verbündeten verlasse, insbesondere auf deren Nachrichtendienste. "Ich persönlich finde es auch peinlich, dass, weil die Fähigkeiten unserer Dienste gesetzlich so beschränkt sind, wir immer auf die Hilfe von Partnerdiensten angewiesen sind, um in Deutschland Dinge zu ermitteln."
Die Geheimdienste warnen die Bevölkerung vor Naivität im Umgang mit Russland. Wie das zu verstehen ist, erklärt ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann aus Berlin.14.10.2024 | 1:39 min
Im Rahmen der "Zeitenwende" hätte man die gesetzlichen Grundlagen für die Gegenspionage anpassen müssen, so Lange. Teile der Öffentlichkeit, aber auch der politischen Entscheidungsträger wollten das aber nicht wahrhaben.
Auch Kiesewetters Fazit ist düster: "Wir sind bisher der zunehmenden Sabotage, der Spionage, der Zersetzung, der Desinformation, aber auch den gezielten Tötungen nicht gewachsen."
In Europa häufen sich Sabotageakte, immer wieder finden Ermittler Spuren nach Russland. ZDF-frontal-Recherchen zeigen nun, wie Recruiter auf Telegram Saboteure anwerben.
von C. Huppertz, A. Izumrudov, I. Lozovsky, B. Obermayer, H. Roonemaa, M. Vunš, F. Schmid