Gesundheitsminister Lauterbach hat eine "weitestgehende" Freigabe der geschwärzten RKI-Protokolle angekündigt. Doch es gibt weitere Hürden. Was könnte an die Öffentlichkeit kommen?
Bald einsehbar? Eine geschwärzte Seite aus einem der RKI-Protokolle.
Nach einer Woche intensiver öffentlicher Diskussionen hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine "weitestgehende" Freigabe der internen Sitzungsprotokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) angekündigt. Was hinter den vielen geschwärzten Stellen der mehr als 2.000 Seiten steht, könnte damit bald bekannt werden. Doch es gibt weiterhin Hürden, die das verhindern könnten.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Lauterbach am Donnerstag:
Er habe am Mittwoch veranlasst, dass die Protokolle "weitestgehend entschwärzt" werden sollen.
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Wie wird die Freigabe jetzt ablaufen?
Formal hat Lauterbach damit seine Beamten angewiesen, die Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG), die Grundlage der Herausgabe ist, nochmals zu prüfen. Das wegen seiner Nähe zu Verschwörungsdenken umstrittene Onlineportal "Multipolar" hatte bereits im Mai 2021 einen IFG-Antrag gestellt und befand sich seitdem in rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem RKI, das dem Gesundheitsministerium direkt unterstellt ist.
Auch in der Politik hat die öffentliche Debatte um die RKI-Protokolle für Wirbel gesorgt. Politiker mehrerer Parteien sprachen sich in den vergangenen Tagen für eine umfassendere Aufarbeitung der Pandemie-Zeit aus. Stimmen im Überblick:
Der CDU-Politiker Armin Laschet kritisierte im ZDF heute journal, dass es "nur eine einzige Meinung" gegeben habe, "die wurde damals als die einzig richtige Meinung angesehen". "Wir müssen alles offenlegen", sagte er zu den Protokollen. Als NRW-Ministerpräsident war Laschet an der Anordnung der meisten Corona-Maßnahmen direkt beteiligt.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verlangte am Dienstag das Einsetzen einer Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Corona-Zeit: "Dass auch rationale Kritik an den verhängten Freiheitseinschränkungen oftmals in die Nähe von Corona-Leugnern gerückt wurde, hat zur Spaltung unserer Gesellschaft beigetragen."
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen wandte sich gegen eine Enquete-Kommission: "Als Arzt und Politiker finde ich es vor dem Hintergrund der unzähligen Opfer falsch, die Aufarbeitung der Pandemie nun für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen."
Als das RKI mehr als 200 Sitzungsprotokolle ihres Krisenstabes aus dem Anfangszeitraum der Corona-Pandemie von Januar 2020 bis April 2021 an das Medium herausgeben musste, waren dort viele Passagen unkenntlich gemacht, darunter auch viele Stellen zu öffentlich diskutierten Themen wie den Covid-Schutzimpfungen. Auf ebenfalls über 1.000 Seiten begründete das RKI, weshalb jede einzelne Stelle geschwärzt wurde - Gründe, die Kritiker als vorgeschoben kritisierten.
Auch zukünftig könnte es noch Stellen geben, die "unbedingt geschwärzt" bleiben müssten, merkte Lauterbach an, etwa um die Rechte von Dritten, etwa Personen, die nicht zum RKI gehören zu schützen. Das können externe Wissenschaftler, Mitarbeiter anderer Behörden, Journalisten, aber auch Impfstoff-Hersteller und andere Unternehmen sein.
Diese erneute Prüfung könnte nun mehrere Wochen dauern, Lauterbach sprach von "vielleicht vier". "Das Robert-Koch-Institut muss jetzt jeden um Erlaubnis bitten, der in den Protokollen genannt wird, oder dessen Interessen genannt werden", so Lauterbach. Diese Rückfrage bei Dritten ist ein bei IFG-Anfragen übliches Verfahren. Stimmen die Betroffenen nicht zu, bleiben die Stellen geschwärzt.
Zunächst keine Freigabe für Protokolle nach April 2021
Wozu sich Lauterbach am Donnerstag zunächst nicht äußerte, war die Frage ob sein Haus im Rahmen der nun laufenden Zweitprüfung auch die RKI-Protokolle nach dem April 2021 veröffentlichen werde. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) teilte ZDFheute am Nachmittag auf Nachfrage mit, dass aktuell keine weiteren Veröffentlichungen weiterer Protokolle geplant sei.
"Wir lassen das RKI zunächst einmal die Protokolle der frühen Phase der Pandemie aufarbeiten. Das ist sehr aufwändig", teilte ein BMG-Sprecher mit. Wie der Minister verwies auch der Sprecher auf möglicherweise tangierte Rechte Dritter und mögliche Amtsgeheimnisse. "Die entschwärzte Fassung soll sobald wie möglich veröffentlicht werden."
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Lauterbach: Habe keine Schwärzungen veranlasst
IFG-Anfragen können von jedem Bürger an Ministerien und andere öffentliche Einrichtungen gestellt werden. Die Behörden haben dafür eigene Mitarbeiter, die für die Prüfung und Freigabe der Unterlagen zuständig sind. So stellte Lauterbach im Interview klar:
Weder habe das RKI versucht, etwas zu verbergen, noch habe es eine politische Einmischung seitens der Bundesregierung gegeben, so Lauterbach. "Das Robert-Koch-Institut hat eine ganz herausragende Arbeit gemacht. Deutschland ist besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Länder."
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Was ist dran an den Vorwürfen gegen das RKI?
Die Veröffentlichung der geschwärzten RKI-Protokolle ist bei verschiedenen Medien und in der Bevölkerung auf ein höchst geteiltes Echo gestoßen. Auch ZDFheute hatte über eine mögliche "politische Brisanz" der Dokumente berichtet.
Insbesondere maßnahmenkritische Beobachter schossen sich auf Aussagen in den Gesprächsnotizen ein, wonach die Studienlage zu FFP2-Masken anfänglich lückenhaft war, das RKI über die schlechte Reputation des Impfstoffs von Astrazeneca diskutierte, oder Lockdowns nach Ansicht der RKI-Experten bei bestimmten Rahmenbedingungen in afrikanischen Staaten mehr schaden als nutzen könnten.
Andere bewerten genau dies als Beleg für eine gute, abwägende und wissenschaftlich fundierte Arbeit des RKI in höchst unsicheren Zeiten. Ein von "Multipolar" erhobener Vorwurf, eine externe Person aus der Politik habe eine Hochstufung der Gefährdungslage veranlasst, wurde durch das RKI inzwischen klargestellt und entkräftet.
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Welche Folgen kann eine Freigabe haben?
Insbesondere Kritiker der Corona-Maßnahmen fühlen sich durch die Veröffentlichung der RKI-Protokolle im Aufwind. Seit mehreren Tagen dominiert das Thema öffentliche Debatten auf X und anderen digitalen Plattformen - oft einhergehend mit Falschdarstellungen der tatsächlichen Protokoll-Inhalte und Hassbotschaften in Richtung der echten oder vermeintlich Verantwortlichen.
Maßnahmengegner fallen dort immer wieder mit Gewaltandrohungen auf, fordern Verhaftungen und unter dem Schlagwort "Nürnberg 2.0" teils sogar "Tribunale" für Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. Allein aus Sorge um die persönliche Sicherheit dürften manche Erwähnte einer Veröffentlichung widersprechen. Umgekehrt könnten die Protokolle aber auch aufzeigen, wo RKI und Politik möglicherweise intern anders kommuniziert haben, als nach außen.
Lauterbachs Interviewaussagen dürfte in jedem Fall jenen gewichtige Argumente verschafft haben, die auch auf die Veröffentlichung der weiteren Protokolle über den April 2021 drängen. Tausende zusätzliche Seiten könnten dann öffentlich werden. Und auch jede weiterhin geschwärzte Stelle dürfte die Gerichte beschäftigen. Im laufenden Verfahren zwischen "Multipolar" und RKI um die Schwärzungen war für Mai ein Urteil erwartet worden. Die juristische Auseinandersetzung um die gesamten Protokolle wird vermutlich andauern.
Anmerkung 28. März 16 Uhr: Eine Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums auf mehrere ZDF-Nachfragen wurde ergänzt und der Artikel entsprechend angepasst.
Die Protokolle des RKI-Krisenstabs galten als Verschlusssache. Journalisten klagten dagegen. Die Dokumente zur Corona-Pandemie könnten politische Sprengkraft haben.