Ex-RAF-Terroristin Maier-Witt: "Das nehme ich mit ins Grab"
Ex-RAF-Terroristin erinnert sich:"Das nehme ich mit ins Grab"
von Normen Odenthal
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Silke Maier-Witt war Mitglied der RAF, beteiligt an der Schleyer-Entführung. Sie berichtet von Reue und Scham. Doch selbst wenn sie es wollte: Diese Geschichte lässt sie nicht los.
Silke Maier-Witt gehörte zum engsten Kreis der RAF, half bei der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer. Wie blickt sie heute auf ihr Leben in der Roten Armee Fraktion?06.02.2025 | 3:06 min
Man kann Silke Maier-Witt beim Nachdenken zusehen. Sie kramt in Erinnerungen, sucht Worte, zweifelt, hinterfragt sich offenbar selbst. Unser Gespräch braucht Zeit. Aber ohne Zögern kann sie diesen Text aufsagen: "Wir haben heute nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet."
Es ist der Text, den Maier-Witt am 19. Oktober 1977 der Zeitung "Liberation" durchtelefoniert hat. Im Namen der RAF (Rote Armee Fraktion). Sie hat die Sätze nicht formuliert, nur vorgetragen. "Das macht es nicht besser", sagt sie heute.
Mitglied der zweiten brutalen RAF-Generation
Silke Maier-Witt ist 75 Jahre alt. Der "Deutsche Herbst" von 1977 ist 47 Jahre her. Aber dieses Kapitel ihres Lebens lässt sie nicht los. Was sie als junge Frau erlebte und selbst getan hat, prägte alles, was folgte. Stellte die Weichen - bis heute. "Ich bin der Wolf, die Einsame, das ist mir geblieben", sagt Maier-Witt.
Das ist vielleicht der höchste Preis, den ich bezahlt habe. Weil es mir auch nach dem Ende nicht möglich war, jemanden zu finden, mit dem ich das irgendwie teilen konnte.
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Silke Maier-Witt, Ex-RAF-Terroristin
Ob das schmerzhaft sei? "Ja, manchmal schon", antwortet sie.
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Maier-Witt gehörte zur zweiten Generation der RAF, der linksextremistischen Terrorgruppe, die die Bundesrepublik in den 70er Jahren herausforderte mit bis dato nicht gekannter Radikalität: Geiselnahme in der Botschaft in Stockholm, der Mord an Generalbundesanwalt Buback, der Mord an Bankchef Ponto oder die Entführung und Hinrichtung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. Manche Frage ist dabei bis heute ungeklärt, etwa wer die Schützen waren.
Maier-Witt selbst hat nicht geschossen - in keinem Fall, darüber besteht laut den Ermittlungen Gewissheit. Aber sie hat Wege ausgekundschaftet, Waffen geschmuggelt, konspirative Wohnungen gemietet. Genug für eine Haftstrafe von zehn Jahren, von denen sie fünf absitzen musste. Und genug für einen Sinneswandel, den sie heute jedenfalls unterstreicht:
Um Verzeihung zu bitten, das geht eigentlich gar nicht. Ich kann nur sagen, dass ich es wirklich bereue, auch Scham empfinde, daran teilgenommen zu haben.
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Silke Maier-Witt, Ex-RAF-Terroristin
Entschuldigung bei Schleyer-Sohn
Maier-Witt ist die einzige RAF-lerin, die es jemals zu einer Entschuldigung gebracht hat, auch zu einer persönlichen. Mit Jörg Schleyer hat sie sich getroffen, dem jüngsten Sohn, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten sieht. "Was mich ein bisschen versöhnt, ist, dass sie sagt, wie irre muss ich gewesen sein? Das nehme ich ihr wirklich ab", sagt Schleyer danach.
Aber verzeihen möchte ich eigentlich nicht. Nee, will ich nicht. Ich kann es nicht verzeihen, weil es unnötig war.
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Jörg Schleyer, Sohn des RAF-Opfers Hanns Martin Schleyer
Unnötig. Klingt merkwürdig, aber es passt zum Fazit, das Maier-Witt zieht. Weil die RAF doch nichts erreicht habe, kein einziges Ziel. "Das ist schwer, sich einzugestehen", sagt sie und versucht damit auch zu erklären, warum andere noch immer schweigen.
Witt warnt vor neuer Faszination an Radikalität
In ihrer Biografie, die sie jetzt veröffentlicht, spürt man eine gewisse Lust am Abenteuer, die Faszination an der Radikalität, am Handeln. "Eine Demo, noch eine Demo, aber wenn ich jung bin, will ich doch sehen, dass etwas passiert."
Frustration, Ungeduld, die Anfälligkeit, sich einer Ideologie hinzugeben, all das sei weiter eine Gefahr, gerade jetzt in politisch wieder aufgeheizten Zeiten - links wie rechts, meint sie. "Diese abstruse Logik funktioniert ja auch heute noch."
345 Seiten auf denen Maier-Witt ihre RAF-Zeit beschreibt - und das, was folgte: das Untertauchen in der DDR mithilfe der Stasi, Prozess und Verurteilung nach der Wende, der Einsatz als Friedenshelferin auf dem Balkan. Die Auseinandersetzung mit sich selbst sei nicht leicht, sagt sie. "Im Ansatz weiß ich schon warum, ja."
Aber es bleibt immer noch so ein Phänomen, dass ich das billigend in Kauf genommen habe, rechtfertigt habe: das Töten von Menschen. Das nehme ich mit ins Grab.
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Silke Maier-Witt, Ex-RAF-Terroristin
Quelle: dpa
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