Gewalt und Drohungen:Wie sich die Pro-Palästina-Szene radikalisiert
von Ninve Ermagan
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Gewalt und Drohungen aus der Pro-Palästina-Szene gegen Juden, Politiker und Journalisten nehmen zu. Wie sich eine Szene radikalisiert - Betroffene berichten.
Attacken und Drohungen aus der Pro-Palästina-Bewegung beunruhigen Betroffene und Beobachter der Szene.
Quelle: epa
Nathan und Esther (Namen v. d. Red. geändert) sind an diesem Freitagabend im Juli auf dem Weg zu Freunden, um mit ihnen das jüdische Fest Schabbat zu feiern. Sie wollen vorher nur noch kurz ein Eis essen - denn endlich scheint die Sonne mal wieder in Berlin. Doch ihre gute Stimmung soll nur von kurzer Dauer sein.
Ein Autokorso fährt durch die Torstraße in Berlin-Mitte - unter dem Motto "Stoppt den Genozid in Gaza" war in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen worden. Teilnehmer filmen die Aktion und damit auch viele Passanten am Straßenrand. Als das jüdische Paar den Demonstranten klar macht, dass es nicht gefilmt werden will, eskaliert die Lage. Ein Demo-Teilnehmer steigt aus dem Auto und beleidigt sie und ihren Freund auf Arabisch, erzählt Esther ZDFheute.
Schnell sind sie von etwa zehn bis 15 Männern umzingelt, berichtet Esther weiter. Einige spucken sie wegen ihres Davidstern-Anhängers an und drohen ihr mit Vergewaltigung.
Anstatt mit einem Schabbat-Fest bei Freunden endet der Abend für Nathan mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Seit dem Vorfall fühlen sie sich in der Hauptstadt "nicht mehr sicher".
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat sich in Deutschland die Zahl antisemitischer Vorfälle deutlich erhöht.14.08.2024 | 10:11 min
RIAS: Antisemitische Vorfälle steigen nach 7. Oktober deutlich
Beleidigungen, Angriffe und versuchte Brandanschläge: Für das Jahr 2023 dokumentierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) 4.782 antisemitische Vorfälle in Deutschland. Das ist ein Anstieg von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Vorfälle ereignete sich nach dem 7. Oktober.
Dabei haben auch Attacken und Drohungen aus der Pro-Palästina-Bewegung gegen Politiker und Journalisten zugenommen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) teilt auf Anfrage mit:
Der Verband rät deshalb Journalisten, "keinesfalls allein zu Palästina-Veranstaltungen zu gehen".
Journalist: Vor Haustür mit Messer bedroht
Wie bedrohlich das werden kann, bekommt der Journalist Iman Sefati zu spüren. Der "Bild"-Reporter mit iranischen Wurzeln gibt in den sozialen Netzwerken einen Einblick in israelfeindliche Demos in Berlin. Er konfrontiert Teilnehmer direkt mit ihren antisemitischen Äußerungen, filmt die Gespräche und stellt das Material ins Netz.
Nach seinem Einsatz auf dem Berliner Dyke*March, bei dem es um lesbische Sichtbarkeit im öffentlichen Raum geht, habe ihn eine Person, die laut Sefati in der israelfeindlichen Szene bekannt ist, bis vor seine Haustür verfolgt und mit einem Messer bedroht, wie er der "Jüdischen Allgemeinen" berichtet. Dort äußert sich Sefati besorgt:
"Vor allem ist man nicht nur selbst gefährdet, sondern auch geliebte Menschen", fügt Sefati gegenüber der "Jüdischen Allgemeinen" hinzu.
DJV: Hemmschwelle für Gewalt sinkt
Der Fall zeige, dass die Hemmschwelle für Gewalt gegen Berichterstatter "bedenklich sinkt", sagt DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Seit dem 7. Oktober hat die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) Berlin-Brandenburg bundesweit über 48 Angriffe auf Journalisten aus der Pro-Palästina-Szene dokumentiert - 42 davon in Berlin. "Wir sehen insbesondere die Entwicklungen in Berlin mit großer Sorge", sagt Landesgeschäftsführer Jörg Reichel gegenüber ZDFheute.
Der "Tagesspiegel"-Redakteur Sebastian Leber erhält nach eigenen Angaben Morddrohungen aufgrund seiner Kritik an den Protesten.
Doch warum geraten besonders Journalisten ins Visier? Laut Nikolas Lelle, Mitarbeiter der Amadeu-Antonio-Stiftung, sind die Angriffe auf Pressevertreter vor allem auf antisemitische Verschwörungserzählungen zurückzuführen, wonach "die Zionisten im Hintergrund die Strippen ziehen und die Presse kontrollieren" würden.
Auch Politiker angegriffen und bedroht
Auch deutsche Politiker werden zur Zielscheibe: So wurde kürzlich die Wahlkreisstelle des SPD-Abgeordneten Lars Düsterhöft in Berlin-Oberschöneweide attackiert - eine Scheibe mit seinem Porträt wurde beschädigt und "We condemn Germany for genocide" auf eine Hauswand neben dem Büro gesprüht. "Für mich ist klar, dass sich dies auf die aktuelle Lage im Nahen Osten bezieht", schrieb der Abgeordnete auf Facebook.
Mit Flaschen beworfen, beleidigt und bedroht zu werden - das erlebt die FDP-Politikerin Karoline Preisler immer wieder. Die Berlinerin ist bekannt dafür, sich mit ihrem Plakat "Rape is not Resistance" (Vergewaltigung ist kein Widerstand) in die Menge israelfeindlicher Demonstranten zu stellen. Ende Juli wurde ein Fotograf mit einer Fahnenstange ins Gesicht geschlagen und die Politikerin auf derselben Demo attackiert, wie sie ZDFheute berichtet.
Posting von Karoline Preisler auf X
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Doch auch offener Antisemitismus, Leugnung der Hamas-Gräuel am 7. Oktober und Terrorverherrlichung seien keine Seltenheit auf diesen Versammlungen. "Die Jüdinnen darf man vergewaltigen, weil sie Ungläubige sind, höre ich oft", sagt Preisler.
Lelle: "Ganz klare Radikalisierung der Szene" seit Hamas-Angriff
Nikolas Lelle spricht gegenüber ZDFheute ebenfalls von "einer ganz klaren Radikalisierung der Szene" seit dem 7. Oktober und konstatiert zunehmende "Allianzen zwischen progressiven Milieus und islamistischen Akteuren", die zu dieser Entwicklung beigetragen haben.
Als Beispiel nennt Lelle den Social-Media-Post von Ramsis Kilani, ein Sprecher der Gruppe "Palästina Spricht" und Anhänger des trotzkistischen Netzwerks Marx21, der in seiner Story auf Instagram das Zitat teilte: "Da, wo sich die Islamisten in der Opposition befinden, sollte unsere Leitlinie sein: 'Mit den Islamisten manchmal, mit dem Staat niemals.'" Immer wieder fällt Kilani mit Terror-Verharmlosung auf. So bezeichnete er die Hamas-Gräuel am 7. Oktober 2023 auf X als "palästinensischen Widerstand" und "eine der größten Desinformationskampagnen der modernen Geschichte". Außerdem behauptet er, dass israelische Opfer in "großen Teilen" von der israelischen Armee (IDF) ermordet worden sein sollen.
Einnahmeverluste, Drohungen, Polizeischutz: Das ist Realität für manches jüdische Restaurant in Deutschland. Ein Lokal musste schließen, ein anderer Inhaber möchte auswandern.