RAF-Prozess: Was bleibt heute noch von Stammheim?

Vor 50 Jahren:RAF-Prozess: Was bleibt von Stammheim?

von Jasmin Astaki-Bardeh
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Vor genau 50 Jahren begannen die spektakulärsten Strafprozesse der Bundesrepublik. Ein Gerichtssaal wurde zum Symbol des Staates im Kampf gegen Terror - mit Folgen bis heute.

Ausstellung «Stammheim 1975 - Der RAF-Prozess»
Der Name des Stuttgarter Stadtteils Stammheim ist seit 50 Jahren untrennbar mit dem RAF-Terror verbunden. Am 21. Mai 1975 begann dort der erste große Prozess gegen die Terroristen.21.05.2025 | 2:50 min
Stammheim. Der kleine Stadtteil im Norden Stuttgarts wurde schlagartig bekannt - und ist bis heute berühmt. Dort saß die Gründungsgruppe der "Rote Armee Fraktion" in Einzelhaft, es waren linksradikale Terroristen. Als "Baader-Meinhof-Bande" waren sie damals durch Fahndungsplakate auf Bahnhöfen, Flughäfen und Postämtern landesweit bekannt. In Stammheim sollte ihnen der Prozess gemacht werden.
Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe waren wegen Mordes und versuchten Mordes in 54 Fällen angeklagt. Im Mai 1972 hatten sie mehrere Sprengstoffattentate verübt, bei denen vier Menschen ums Leben kamen, etliche weitere wurden verletzt.
Mainz, 10.07.2022: Ein ehemaliger Gerichtssaal der RAF ist zusehen.
Die RAF, die Rote Armee Fraktion, ermordete ab den 1970er Jahren in Deutschland mehr als 30 Menschen. Der ersten RAF-Generation wurde ab 1977 in der JVA in Stuttgart-Stammheim der Prozess gemacht. Jetzt wird der Gerichtssaal von damals abgerissen. 10.07.2022 | 3:05 min

Hochsicherheitstrakt aus Beton und Stahl

Für ihren Prozess war eigens eine Halle gebaut worden, Hochsicherheitstrakt aus Beton und Stahl. Ohne Fenster. Maschendraht, Polizeitrupps zur Überwachung. Es war der bis heute aufwendigste und am strengsten kontrollierte Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Der RAF-Kenner Stefan Aust, der zwei Jahrzehnte später "Spiegel"-Chefredakteur wurde, hält diesen Bau für einen fatalen Fehler der Bundesrepublik. Denn das sei der Grundstein für den Mythos gewesen, den die RAF bis heute hat. Dass sie als Opfer besonders harter Justiz gesehen wird, glaubt Aust, sei auch dadurch hervorgerufen worden.

Stammheim ist die Hauptstadt der RAF gewesen.

Stefan Aust

So bringt es Aust auf den Punkt. Als Autor hat er davon profitiert. 1985 wurde sein Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" zum Mega-Bestseller.
Prozess Daniela Klette
Die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette stand im März diesen Jahres vor Gericht. Angeklagt wird sie jedoch nicht wegen ihrer RAF – Taten, sondern wegen mehrerer schwerer Raubüberfälle.25.03.2025 | 1:39 min
Die Terroristen selbst gaben sich als Revolutionäre, deren Attentate Vergeltung gegen Imperialismus, Kapitalismus, gar Faschismus seien. Sie sahen die Bundesrepublik als "faschistoiden Staat". Im Gerichtssaal provozierten sie, schrien die Richter an. Für Aust bloßes Kalkül von brutalen Killern:

Die wollten den Staat provozieren, damit er sich so verhält, wie sie sich den vorstellen.

Stefan Aust

Ließ sich der Staat provozieren? Es kam zu mehreren juristischen Auffälligkeiten: Den Einsatz von Zwangsverteidigern. Weitergabe von vertraulichen Dokumenten. Später das Abhören von vertraulichen Gesprächen zwischen Verteidigung und Angeklagten.

Stammheim als Kehrtwende im Strafprozessrecht

Für die Rechtswissenschaftlerin Inga Schuchmann markiert Stammheim eine Kehrtwende im Strafprozessrecht: "Vorher gab es noch Reformen, die die Rechte der Beschuldigten ausgedehnt haben und erweitert haben" sagt Schuchmann, die an der Humboldt-Universität lehrt. In Vorbereitung auf diesen Prozess seien "eine ganze Anzahl von strafprozessualen Reformen durchgeführt" worden. "Und die haben eigentlich allesamt Verteidigungsrechte und Rechte der Beschuldigten recht stark eingeschränkt."

Diese Trendwende dauert bis heute an und ein Ende ist auch nicht wirklich in Sicht.

Inga Schuchmann, Rechtswissenschaftlerin

Stefan Aust
Man müsse davon ausgehen, dass "Leute, die illegal gelebt haben, sich nicht ohne Weiteres von der Polizei festnehmen lassen", so Stefan Aust, Autor von "Der Baader-Meinhof-Komplex".05.03.2024 | 6:12 min
Während Aust die Strenge des angegriffenen Staats nachvollziehen kann, hielten andere Zeitzeugen sie für skandalös. Claudia Roth, die später für die Grünen Staatskarriere bis hin zur Kultur-Staatsministerin im Kanzleramt machte, erinnert sich an - wie sie heute noch meint - überzogene Reaktionen gegen linke Demonstranten: "Ist ein starker Staat derjenige, der Demonstrationen zusammenprügelt oder mit Wasserwerfern niederprügelt, gegen diejenigen, die gegen die Atomkraft demonstrieren? Oder ist ein starker Staat, der sagt, wir sind stärker als die Verbrecher, als die Terroristen, weil wir ein Rechtsstaat sind?"
Da Demokratiefeinde heutzutage wieder stärker würden, so warnt Roth, müsse sich die Demokratie in der Stärke des Rechtsstaats bewähren und nicht wie damals mit Sonder- und Notstandsgesetzen.

Was hat der Staatsschutz heute aus Stammheim gelernt?

Herbert Anderer, Vorsitzender Richter des Staatsschutz-Senats am Oberlandesgericht Stuttgart, ist sich sicher, dass Justiz offensiv sein muss. Dort würden immer wieder mal Fehler gemacht, darüber müsse gesprochen und transparent diskutiert werden, um besser zu werden. "Wir müssen versuchen, zu erklären, was wir tun", zieht er eine Lehre aus Stammheim.

Wir sprechen nicht nur durch unsere Urteile, wir sprechen durch die Art und Weise, wie wir sind, wie wir verhandeln, wie wir uns geben.

Herbert Anderer, Vorsitzender Richter des Staatsschutz-Senats am Oberlandesgericht Stuttgart

Ein halbes Jahrhundert nach dem historischen RAF-Prozess ist diese Rechtsgeschichte immer noch präsent. Das Haus der Geschichte in Stuttgart zeigt dazu eine Ausstellung über den inzwischen weltweit bekannten Stadtteil: Stammheim 1975.

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