Palästinenserin gegen Judenhass:"Dürfen Leid nicht gegeneinander ausspielen"
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Die Palästinenserin Jouanna Hassoun setzt sich im Nahost-Konflikt für Empathie mit beiden Seiten ein - und wird dafür angefeindet. Für ihr Engagement wird sie nun ausgezeichnet.
"Dieser Angriff war kein Befreiungskampf für die Palästinenser", sagt Jouanna Hassoun über die Attacke der Hamas am 7. Oktober.
Quelle: Reuters
Die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun hat zusammen mit ihrem jüdischen Kollegen Shai Hoffmann das Projekt "Trialog" ins Leben gerufen, um in Schulen über den Nahost-Konflikt aufzuklären. Beide werden nun als "Botschafter für Demokratie und Toleranz" von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) für ihr Engagement ausgezeichnet.
Ein Gespräch mit Hassoun über ihre Arbeit, die Schwierigkeit, in Deutschland über den Gaza-Krieg zu sprechen sowie über die Themen Antisemitismus und Rassismus.
ZDFheute: Wie hat sich Ihr Leben seit dem 7. Oktober, dem Angriff der Hamas auf Israel, verändert?
Jouanna Hassoun: Mein Alltag hat sich um 180 Grad verändert. Antisemitismus und Rassismus sind stark angestiegen. Ich versuche, als Palästinenserin zu zeigen, dass es auch anders geht - dass wir uns nicht hassen müssen, dass wir die Hamas verurteilen können und auch diesen widerwärtigen Angriff.
Auch dort sind Zehntausende unschuldige Zivilisten gestorben und leiden unter Hunger und Verzweiflung.
Quelle: dpa
Jouanna Hassoun ist die Geschäftsführerin des humanitären Bildungsvereins Transaidency e.V. Der Verein wurde 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise gegründet, um Geflüchteten und Menschen in Notlagen zu helfen. Neben der humanitären Hilfe setzt sich der Verein mit politischer Radikalisierung, Rassismus, Antisemitismus und dem Nahost-Konflikt auseinander.
Im Alter von sechs Jahren floh Hassoun gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aufgrund des Bürgerkriegs im Libanon als palästinensische Flüchtlinge nach Deutschland. Durch ihre Arbeit strebt sie an, den Dialog zwischen Minderheits- und Mehrheitsgesellschaften zu fördern, um Feindbilder und Vorurteile abzubauen. Ihr aktuelles Projekt nennt sich „Trialog.“ Gemeinsam mit ihrem jüdischen Kollegen Shai Hoffmann besucht sie Schulklassen, um mit Jugendlichen über die Situation in Israel und Palästina zu sprechen.
Für ihr Engagement wurde Jouanna mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Landesverdienstorden von Berlin, dem Klara Franke Preis und als Botschafterin für Demokratie und Toleranz.
Ich sehe all die grausamen Bilder des Krieges und ich muss sagen: Mir geht es überhaupt nicht gut. Ich weiß, dass es unangebracht ist, das zu sagen, denn ich bin in Sicherheit.
Auf Instagram habe ich ein erschütterndes Bild von einem toten Kind aus Gaza gesehen. Das war so verstörend, dass ich wochenlang danach Albträume hatte. Jetzt kommen mir wieder die Tränen, wenn ich daran denke.
Jouanna Hassoun engagiert sich einem Schulprojekt zum Nahost-Konflikt. Wir sprechen mit ihr darüber, was es heißt, Palästinenserin zu sein.29.11.2023 | 9:56 min
ZDFheute: Sie waren vor kurzem in Ägypten, um Geflüchtete aus Gaza zu unterstützen. Was waren Ihre Eindrücke?
Hassoun: Ich habe eine Spendenaktion für Geflüchtete aus Gaza ins Leben gerufen und Palästinenser unterstützt, die in Ägypten Zuflucht gesucht haben.
Die Menschen haben keinerlei Perspektive und sind verzweifelt. Sie sind der Meinung, dass die ganze Welt sie im Stich gelassen hat.
Am 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung einen Festakt, bei dem jährlich bis zu fünf „Botschafter/-innen für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet werden. Diese Auszeichnung ehrt Einzelpersonen oder Initiativen, die sich durch ihre herausragenden ehrenamtlichen Tätigkeiten um Demokratie und Toleranz in Deutschland verdient gemacht haben. Die Geehrten zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine demokratische und tolerante Alltagskultur fördern, beispielhafte Zivilcourage zeigen, sich aktiv gegen jegliche Form von Extremismus und Gewalt positionieren und somit die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements hervorheben.
Die Auszeichnung "Botschafter/-innen für Demokratie und Toleranz" ist mit einem Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro dotiert. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch eine Jury, die aus Vertretern der Bundesregierung, des Parlaments, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft besteht.
ZDFheute: Sie sprechen sich für Empathie mit beiden Seiten aus. Werden Sie dafür angefeindet?
Hassoun: Ja, in den eigenen Reihen werde ich als Verräterin beschimpft und mir wird vorgeworfen, dass ich von den Zionisten gekauft wurde. Von anderen werde ich dann schnell als Antisemitin oder Israel-Hasserin bezeichnet, wenn ich auch nur ein falsches Wort sage. Einige Leute sagen: 'Was sind denn überhaupt Palästinenser? Die existieren doch gar nicht.'
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ZDFheute: Wie fühlen Sie sich, wenn in Ihren Reihen der Hamas-Angriff gefeiert wird?
Hassoun: Ich fühle mich instrumentalisiert. Ich möchte keine Solidarität von diesen Menschen. Sie benutzen mein Leid, um Antisemitismus zu schüren. Wenn unschuldige Menschen sterben, dann kann man nicht von einem Widerstandskampf sprechen.
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ZDFheute: Inwiefern erleben Sie persönlich Herausforderungen, wenn es darum geht, über den Nahost-Konflikt in Deutschland zu sprechen?
Hassoun: Die Einseitigkeit ist das Hauptproblem. Es wird entweder nur das eine oder das andere akzeptiert, und die palästinensische Identität wird oft nicht anerkannt. Und wenn, konkurriert sie immer um die israelische oder jüdische Identität, was gar nicht sein muss. Beides kann gleichzeitig anerkannt werden.
Dann frage ich mich jedes Mal: Wenn wir alle Antisemiten sind, wer bleibt denn übrig? Die in Teilen faschistische und rechtsradikale israelische Regierung darf kritisiert werden, genauso wie jede andere Regierung.
ZDFheute: Worüber beklagt sich die deutsch-palästinensische Community?
Hassoun: Die Menschen fühlen sich nicht mehr wohl. Sie haben das Gefühl, ihre Heimat in Deutschland verloren zu haben und sind unglücklich darüber, nicht als palästinensische Menschen willkommen zu sein.
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Sie fühlen sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Ich sehe das etwas anders, denn ich glaube, dass wir hier in Deutschland sehr wohl Meinungsfreiheit haben. Allerdings werden Rassismus- und Antisemitismus-Debatten hitzig und kontraproduktiv geführt.
ZDFheute: Wie sieht Ihr Wunsch für die Zukunft aus?
Hassoun: Im Moment wünsche ich mir nur, dass dieser Krieg endet, dass die Geiseln freikommen und die Familien ihre Toten bestatten können. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, bleibt das Desaster bestehen, da es keine Exit-Strategie gibt. Wohin sollen denn die Menschen gehen? Wie werden die Traumata beseitigt? Was passiert mit all den Waisenkindern?
Das Interview führte Ninve Ermagan, ZDFheute-Redakteurin.
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